12/10/2013

Das Leben nach dem Tod in Dortmund (eklig)

Die Menschen in Dortmund sind die Besten, die ich je kennengelernt habe. Man sagt der Gegend in der ich wohne oft nach, dass es dort nur Mord und Totschlag, Prostitution, Drogenhandel und jede Menge andere kleinkriminelle Machenschaften gibt. Das stimmt auch mit der Ausnahme des kleinen Wörtchens "nur". Es gibt nämlich auch noch Menschenhandel, Vandalismus und Schutzgelderpressung. Vermutlich gibt es in diesem kleinen Mikrokosmos jegliche Art von Kriminalität, aber trotzdem habe ich in all der Zeit nie deswegen Angst gehabt. Ehrlich gesagt kann ich heute gar nicht mehr sagen, wo damals meine Ängste herkamen, vermutlich war es das Zusammenspiel mit meinem körperlichen Verfall, immerhin habe ich fast ein halbes Jahr überlebt, obwohl ich keine funktionierende Niere mehr übrig hatte. Zwar konnte ich meine Wohnung nicht mehr verlassen und habe die meiste Zeit im Bett oder über die Kloschüssel gebeugt verbracht aber ich habe überlebt. Wie oft habe ich mir gewünscht, dass die grüne Galle, die in Schwallen im Keramikbecken vor mir landete das letzte war, das ich sehen muss. Jedesmal wenn ich morgens neben dem Brecheimer auf den kalten Fliesen aufgewacht bin, weil ich es in der Nacht kräftemäßig nicht mehr zurück ins Bett geschafft habe oder ohnmächtig einfach umgekippt war, verfluchte ich den Tag. Jeden neuen Tag wünschte ich, dass der Sonnenuntergang der letzte sei, den ich je sehen muss.
Irgendwann gingen auch die Zigaretten aus. Ich glaube das war schon zu einer Zeit, wo es mich ängstigte vor die Tür zu gehen, nicht nach draußen ins Viertel, oder zum Briefkasten, eine Etage tiefer. Nein, die Furcht begann sobald ich einen Fuß vor meine Wohnungstür setzte, sofort reagierte mein Darm und ich bekam Schweißausbrüche, Herzrasen und begann mich zu fühlen als würde ich sterben. Der Tod war mir in dieser Zeit so nah, dass ich von ihm gefangen war, vielleicht besessen. Meine Welt wurde jeden Tag kleiner, weil ich es oft tagelang nicht schaffte mir etwas zu essen zu machen, oft schleppte ich mich mit letzter Kraft zur Kiste Wasser nur um mir einen Vorrat für drei Tage an mein Bett zu holen. Ich weiß gar nicht, wie ich so überhaupt leben konnte, aber im Endeffekt war das auch kein Leben mehr, es war das pure Überleben und der Kampf gegen das selbstverursachte Versagen des Körpers.
Wenn man einen Suizid plant, sollte man ihn auch bis zum Ende durchdenken und sich sicher sein, dass man es auch wirklich will. Alles andere sind Hilfeschreie von gequälten Seelen, die ihr Leben zwar leben wollen, es aber einfach nicht auf die Reihe bekommen. Ich fürchte ich war eine dieser gequälten Seelen, oder besser gesagt, Teile meiner Persönlichkeit waren es. Wenn ich den Ausführungen einer Psychiaterin glauben soll, dann hat sich ein Teil meiner Persönlichkeit abgespalten, um mich als Person zu schützen, weil irgendwas mich so sehr erschüttert hat, dass ich es nicht verarbeiten konnte. Dieser abgespaltene Persönlichkeitsteil hat dann eine schwere Depression ausgebildet und da ich über Jahre keinen positiven Ausgleich fand die Kontrolle übernommen. Im letzten Winter starb dann dieser Teil den Tod der Rationalität. Ich brauchte einfach keinen Schutz mehr vor dem Leben, sondern vor dem Sterben. Und seitdem ich mehr oder weniger jahrelang tot war fühle ich mich mittlerweile wieder fast wie "Der Alte Alex"!

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