9/04/2022

10 Jahre Vol. 11 - Matsch und Hilfe

Wacken, 02. August 2016,

Der Boden war locker, aber noch konnte man es ertragen. Long Story short (hinter den Worten verbirgt sich die Origin Story "Muddy Wacken", deren Alternative Fassung, jene ist, die erzählt was wirklich geschah. Meine Schwäche übermannte mich und ich konnte dem Matsch nichts entgegensetzen. Heute kann ich darüber lachen, dass ich zwei paar Schuhe dort verlor und im Krankenwagen nach Itzehoe gefahren bin, wo ich in Kliniknähe einen der stolzesten Momente meines Lebens feierte.

Kurz zur Klarstellung, ich spreche in Muddy Wacken von meinem niedrigen Blutdruck, ja seit ich die Serotoninwiederaufnahmehemmer nahm hatte sich mein Blutdruck komplett normalisiert. Woche für Woche wurde aus dem bunten Pott an Tabletten gegen Bluthochdruck eine leere Hand. Ich brauchte mittlerweile eher was zum Aufputschen, da ich mich sklavisch an meine Trinkmengen hielt. Auch in Extremsituationen, nun ja und Bier ist eben auch nicht die passende Flüssigkeit um seinen Wasserhaushalt aufzufüllen.

Die Schuhe, die ich anhatte hatten eine so dicke Kruste angenommen, der getrocknete Schlamm hatte sich mit meiner Hose verbunden und bei jedem Schritt war es, als würde man etwas davon verlieren. Ich blickte zum Mond, ging umher, obwohl ich eigentlich wirklich kräftemäßig auf der letzten Rille lief, ich rekapitulierte den Erfolg, trank aus der Colaflasche, die ich aus dem Automat im Krankenhaus gezogen hatte nachdem ich bei der netten Nachtschwester Geld wechselte. Stolz machte sich in mir breit, darüber was ich innerhalb der letzten Monate geschafft hatte. Ich war mir bewusst, dass dies jetzt nicht meine seelische Heilung bedeuten würde, Rückschläge würden kommen, der Druck von außen würde wieder zunehmen und ich würde noch viel Hilfe brauchen, bis ich mir selbst genügen würde.

Und eine dieser Hilfen war definitiv die Möglichkeit eine Ausbildung im Home Office zu machen, welches erst Jahre später ein allgemeines Standing bekommen sollte, aus Gründen, die zu diesem Zeitpunkt noch niemand ahnen konnte. Allerdings half mir bei dieser Ausbildung sehr, dass ich ja schon ein unvollendetes Wirtschaftsstudium vorzuweisen hatte. Dadurch fiel es mir sehr leicht und ich konnte oft glänzen ohne mich anzustrengen, während ich zeitgleich jeden zweiten Tag zur Dialyse ging und knappe 5 Stunden weiterhin litt und für mein Leben kämpfte (ein Arzt sagte mal, für den Körper wären diese 5 Stunden wie ein Marathonlauf, nur eben im Liegen). Meistens fühlte ich mich auch genauso, wenn ich nach Hause kam, es gab dann meistens nur noch, Zähneputzen - ab ins Bett!

Nach außen habe ich natürlich den Deckel drauf gehalten und erst einmal niemandem verraten, dass ich überhaupt eine Ausbildung mache, um mir selbst auch nicht den Druck zu machen, irgendwem außer mir selbst gerecht zu werden. So konnte ich dann auch nebenbei das Ein oder Andere Spiel auf der Playstation durchzocken, das ich schon lange nicht mehr gespielt hatte und nebenbei etwas BWL machen. Die Arbeit in der Firma war nach kurzer Einarbeitung auch irgendwann Routine und passte sich durch den variablen Zeitplan im Home-Office gut in mein Leben ein. Irgendwie fühlte es sich eine Zeit lang richtig an und ich begann ein Gefühl dafür zu bekommen, mein Leben auf die Reihe zu bekommen. Die kleinen Unwegbarkeiten des Alltags ließen sich eine Zeitlang wirklich gut verdrängen. Meist waren es gesellschaftliche Anlässe und Freizeitaktivitäten, die mich in Panik versetzten. Mich für einen Geburtstag raus zu putzen, auf den ich keine Lust habe und mit Menschen zu feiern, die keinerlei Interesse an mir haben, meine Zeit absitzen, zwei Anstandsbier trinken und dann wieder gehen? Nicht nur, dass ich mich in solchen Situationen schon immer unwohl gefühlt habe, mittlerweile führten sie zu Panikattacken und hielten mich dann mit stundenlangen Sitzungen auf dem Keramikthron davon ab, sie noch wahr zu nehmen. Und wenn ich mich dann doch mal dazu durchrang, waren es meist trostlose Veranstaltungen, bei denen ich mich oft irgendwo zwischen durchsichtig und Erwachsener auf einer Teenagerparty gefühlt habe. Einzig meine Oma zu besuchen war ein positiver Nebeneffekt.

Die Kickers haben auch nie verstanden, dass ich mit meinem Film zur Saison 2011 theoretisch meinen Rücktritt eingereicht habe und das ständige "Alex, warum kommst du nicht zum Filmen vorbei?" zeigte mir langsam, aber sicher auch, wo mein Platz in den Augen der Verantwortlichen war.

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