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8/28/2022

10 Jahre Vol. 10 - Psychische Stabilisierung

2016

Ich gewöhnte mich langsam daran, dass ich meine Zukunft alleine gestalten müsste, viel Unterstützung hatte ich ja bisher eh nie erhalten, das machte mich nur stärker und gab mir die Möglichkeit mich weiter mit mir selbst auseinander zu setzen. Tiefe tiefe Selbstsitzungen, ich hatte das Gefühl wieder in der Depression zu landen, doch der jämmerliche Ölprinz hatte mich aufgerüttelt, ich ließ mir helfen, weil ich nicht mehr in diese Richtung gehen wollte, genug des Selbstmitleids und die ganze Welt für die eigenen Missstände verantwortlich machen, eine Möglichkeit musste her, gleichzeitig wieder in die Spur zu kommen und irgendwas zu machen und dabei nicht wieder zusammenzubrechen. Ich war bei drei verschiedenen Psychiatern, es war die Hölle, die erste hatte nichts weiter übrig als Hohn und Spott, erzählte mir was von meiner Blässe und darum müsse sich der Nephrologe kümmern und lachte als sie mir sagte, dass ich schwer depressiv sei, aber das wäre meine Sache, verschrieb mir ein paar Tavor, damit ich die nächsten Termine wahrnehmen könne und das war's dann. FUCK YA!


Nachdem sich meine Wut gelegt hatte besuchte ich einen Herren, ich erinnere mich nur daran, dass wir in einem abgedunkelten Raum saßen und meine Geschichte durchgangen und ich den Fensterblick über Bünde genoss, in der steten Erwartung, dass alles explodiert und in sich zusammenfällt und irgendwo im Hintergrund Placebos Coverversion von "Where is my mind" leise einfadet. Wahrscheinlich hatte ich eine Tavor zu viel genommen, er diagnostizierte bei mir eine soziophobe Persönlichkeitsstörung mit einer schweren Depression. Leider könne er keine Einzelsitzungen anbieten und Gruppentheraphie wäre bei meinem Problem mich mit mehreren Menschen in einem Raum zu befinden ja auch nicht das Richtige und verwies mich an eine Kollegin, die Neuropsychiaterin war.

Der Leidensdruck war groß genug, so dass ich auch diesen Weg nicht ablehnte. Unter unglaublicher Angst und dem steten Gefühl ich würde bald einen Schlaganfall haben, wie mir meine Nephrologen prognostizierten, wenn ich meinen Blutdruck nicht nach unten bekomme (ich pendelte zwischen 180 und 220 systolisch und ohne Nitrospraydröhnung bin ich selten von der Dialyse nach Hause gegangen), sprach ich bei der empfohlenen Dame vor. Diese verschrieb mir einen Serotoninwiederaufnahmehemmer, der mir erst einmal Linderung verschaffen solle, dazu gab sie mir ihre Telefonnummer und das Versprechen, dass ich bei akuten Krisen jederzeit anrufen dürfe. Ich erinnere mich nicht, dieses Angebot je genutzt zu haben. Das Medikament veränderte mich, es erdete mich, es beruhigte mich, ich wurde wieder ich. Ja, die Ängste verschwanden nicht, aber ich lernte sie einzuschätzen. Die Panikattacken blieben mir erhalten, aber ich hatte die Ruhe in Zeiten nicht akuter Anfälle meine mentale Stärke zu trainieren und mich Ängsten kleinschrittig zu stellen. Ich las sicher hunderte Abhandlungen über Angststörungen & Depressionen, Berichte von Betroffenen, tauschte mich online aus, mied dabei aber solche Foren und Seiten, die sich in ihren Depressionen ergaben, Hoffnung, es musste immer etwas positives haben. Ich konnte andere mitreißen, mit mir den Weg nach oben zu gehen, zurück ins Licht, zurück zu einem Selbst, das man lieben konnte. Depressionen sind eine Last, aber wie jede Last gibt es Mittel und Wege sie zu tragen. Und ich begann darüber zu sprechen, es aus meiner persönlichen Scham und Schmuddelecke zu holen, der Wahrheit eine Chance zu geben, durch welches tiefe Tal ich gegangen war, faktisch die letzten zehn Jahre, im Laufe der Zeit erkannte ich sogar achtzehn Jahre. Ich konnte wieder klar denken und Situationen aus meinem Leben analysieren, aufdröseln, wieso geschahen Dinge wie sie es taten, wo waren meine Fehler, wo würde ich heute anders agieren. Im Großen und Ganzen rechnete ich mit meiner Vergangenheit ab. Das wozu ich nie Zeit gefunden hatte, weil die aktuellen Ereignisse und das Beschäftigtsein mit Überleben mir immer eine Dringlichkeit vorgaukelten, die faktisch nicht da war, gab mir Frieden.

So entschied ich spontan im Sommer wieder auf ein Festival zu gehen und da ich nun einmal bin wer ich bin, oder war wer ich bin, whatever... Es musste das Wacken Open Air sein, das größte Metal-Festival there is. Ich weiß nicht mehr wie es dazu kam, dass ich noch eine Karte ergatterte aber ich hatte sie und das Pusteblümchen erzählte mir von einem Campingwagen und ich dachte nur, ja genau so geht es. Da war sie, die Gelegenheit mir selbst zu beweisen, dass ich wieder stabil bin, dass ich wirklich gelernt habe. In einem Umfeld von Menschen, die wissen, was los ist, denen du vertrauen kannst, die dich nehmen wie du bist und die genau wie du schon Untiefen gesehen haben, die sich der "normale" Mensch nicht vorstellen kann. 



8/21/2022

10 Jahre Vol. 09 - Musik = Therapie


Das Leben zurückerlangen ist das Eine, ein völlig anderes Leben zurück zu bekommen, als das was man einst führte etwas ganz anderes. Das Trinken rationieren auf einen Liter am Tag, beim Essen auf Kalium, Phosphate und andere Inhaltsstoffe zu achten, die Realität, dass man vermutlich wegen einer kaputten Schilddrüse überhaupt erst in diese Lage gekommen ist und dass es keiner gemerkt haben will... Da fängt man schon an über die Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit in der Welt nachzudenken und warum man dieses Schicksal schultern muss, die meiste Zeit allein...


Aber so ist es nicht, im Endeffekt habe ich mich gehen lassen, klar hätten meine Ärzte was tun können, die Werte hätten es ja zeigen müssen, vor Allem in der Zeit als ich noch regelmäßig unter Kontrolle war, aber was bringt es denn sich mit der Vergangenheit zu beschäftigen, sie ist vergangen, entscheidend ist das Hier und jetzt (schon lustig sowas in einem "Buch der Erinnerung"-Beitrag zu schreiben) aber so what, ich war nun einmal 2015 da wo ich war, ich schwor mir meinen Teil, dass ich besser auf mich achte und Hilfe annehme, wenn man sie mir anbietet, das war schon ein großer erster Schritt. Und es dauerte auch, bis ich wieder halbwegs mit mir ins Reine kam.


So unglaublich viele Zwiegespräche, die ich mit mir selbst geführt habe, Panik und Angst waren ein ständiger Begleiter bei jeder Fahrt aus dem Haus, so unglaublich viele dunkle Tage der Selbstverachtung und der Schmerzen, doch nicht in Depressionen, es war eine Klärung, ich habe mit mir selbst klar gekriegt, in welche Richtung es weiter gehen soll. Gebe ich dem ganzen Mist nach, der mich nach unten zu ziehen versucht oder kämpfe ich, so wie ich um mein Leben gekämpft habe, seit ich es zurück habe. Ich sah die Chance, immer nur die Chance, ich rappelte mich auf, reflektierte meine bisherigen Taten, meine Worte, mein Leben.


Viele Bekannte meldeten sich nicht mehr, Freunde distanzierten sich, weil ich begann Klartext zu reden. Ich spürte wie sich mein Rückgrat wieder aufrichtete, wie ich mit jedem falschen Freund eine Last verlor, wie ich mit jeder ausgesprochenen Wahrheit über mein Leben mehr mit mir Selbst ins Reine kam. Teilweise schleuderte ich den heuchlerischen "Wie-geht's-Fragern" einen Berg an Informationen hin, wie es mir wirklich ging. Einige weinten, andere lobten mich und wieder andere verschwanden. Ich bin nicht sicher was mit Letzteren passiert ist, aber auf die kann ich verzichten. Mit jedem Lob wuchs mein Stolz und irgendwann sah ich im Spiegel nicht mehr den Gescheiterten sondern den, der sich wieder aufgerichtet hat und der Stolz sein kann auf jeden kleinen Erfolg... bis zur nächsten Katastrophe in Form einer Panikattacke und anschließendem Gefühl von völligem Versagen, alles zerfiel wieder innerhalb von Sekunden, ich war immer noch instabil, unglaublich instabil.

Und irgendwo in diese Instabilität bittet mich ein abgefüllter Ölprinz, ich solle ihn doch bitte umbringen, weil er es nicht selbst hinbekommt. Erstaunlicherweise war das für mich ein echter Wendepunkt, da ich an dieser Stelle gesehen habe, was wichtig ist im Leben. Ein Mann zu dem ich aufgeblickt habe, der für mich immer alles im Griff hatte und den nichts umhaut steht heulend da und jammert rum, wegen Problemen, die er selbst verursacht hatte und die aus meiner Sicht mit einem Arsch voll "Zusammenreißen" und an sich arbeiten durchaus lösbar gewesen wären. Im Nachhinein eine unfassbar perverse Situation, jemandem wie mir so eine Scheiße aufzubürden. Meine spontane Reaktion wäre vermutlich die Richtige gewesen, Krankenwagen anrufen wegen Suizidgefahr. Vielleicht wäre dann heute nicht die Familie zerbrochen und er hätte sich nicht dem Bösen hingegeben. Aber wer weiß das schon?

8/14/2022

10 Jahre Vol. 08 - Dein neues Leben beginnt!

Habt ihr euch schon einmal so richtig eingeschissen weil ihr keine Kontrolle über eure Körperfunktionen hattet? Du denkst, du kannst einfach die Arschbacken zusammenkneifen, aber da sind gar keine Muskeln mehr, die du anspannen kannst. Du liegst im Krankenwagen auf der Fahrt in das Krankenhaus der Grauens und du weißt es, dann scheisst du dich ein. Zum Glück hast du ja seit Wochen keine Hose an, so dass es einfach durchlaufen kann und wenigstens die Klamotten sauber bleiben, die du zuhause hast. Zuhause, ein Ort den man gerne wieder sehen möchte aber genau weiß, dass der Weg dorthin unfassbar lang und voller Strapazen ist. Dein Stolz zerbricht wieder einmal, wenn du den Pfleger bitten musst, dir beim Arschabwischen zu helfen und du beginnst zu weinen, weil du dir vorstellst du bist einer der beiden Fahrer, die ihren vollgeschissen Wagen von deiner Kacke befreien müssen.

Im Grunde ist es ihr Job, aber wer macht sowas schon gern? Einerseits bist du froh, endlich nicht mehr auf Intensivstation zu sein, die Horrorträume los zu sein, andererseits weißt du genau, jetzt bist du wieder auf dich gestellt und im Hintergrund tönt aus dem Radio "Atemlos durch die Nacht...", während du versuchst dich wieder daran zu gewöhnen dich selbst zu bewegen.

Einige Physiotherapiestunden und Tagen eingepfercht zwischen alten Männern, bist du wieder größtenteils in der Lage dich selbst zu bewegen, zu waschen, zu scheißen und dennoch viel zu schwach um rumzulaufen. Dazu liegen in deinem Zimmer drei Männer, ein dementer ehemaliger Opernsänger, der tagsüber ruhiggestellt ist und Nachts sein Liedgut zum Besten gibt, einen trockenen Alkoholiker, dessen Freundin Heroin schießt und die ganze Zeit über einen Ausbruch spricht, als wären sie in einem Gefängnis und einen teilweise gelähmten kahlgeschoren Nazi, der in seinen Momenten des Bewusstseins wirren Kriegsscheiß redet. Da fängst du an, die Beruhigungs-, Schmerz- und Schlaftabletten zu schätzen und denkst über eine mögliche Sucht nur bedingt nach. Der einzige Gedanke, der dich nicht komplett wahnsinnig werden lässt ist die Gewissheit, dass du, wenn du in der Lage bist zu laufen, hier raus kommst. Und das wird dein Antrieb, dein einziges Ziel, jeden Tag einen Schritt weiter, erst die Zimmertür, dann bis zum Schwesternzimmer und dann den ganzen Flur bis zum Fahrstuhl.

Leider sehen das die Assistenzärzte, die die Station führen ganz anders, in Bröckchen deutscher Sprache versuchen sie dir zu erklären, dass du noch drei OPs vor dir hast, bevor du gehen darfst. Und ganz im Sinne deutscher Bürokratie wollen sie dich tatsächlich drei mal wegschießen und dann rehabilitieren lassen und dann von vorne anfangen, für drei mal Bauch aufschneiden 8 Tage. Nach viel Überzeugungsarbeit und weil man dich in deinem psychischen Zustand nicht weiterem Leiden aussetzen wollte, wirst du nur einmal operiert, alles zusammen... Shunt OP, Demers-Katheter, gleichzeitig Entfernung des CAPD Katheters und kleinerer Magengeschwüre. Klingt eigentlich gut, beim Aufwachen fühlst du dich, als hätte Jack The Ripper sich an dir vergangen. Also fängst du von vorne an, Laufen lernen, den Schmerz ertragen, in eine Tüte pissen, wenigstens liegst du jetzt erste Klasse, weil die Frischoperierten nicht in den Keller kommen.

Und nach ein paar Tagen machst du dir Gedanken, ob du jemals wieder hier raus kommst, weil jeden Tag irgendeine Hiobsbotschaft kommt, dass deine Werte nicht passen, hier was nicht stimmt und da was nicht stimmt. Du fängst an das Vertrauen zu verlieren, endgültig, denkst an die Heroinbraut und ob sie vielleicht genau das empfunden hat, als sie von Ausbruch sprach. Fast 10 Tage später ohne Blasenkatheter und mit wieder funktionierenden Beinen verlässt du auf eigenen Wunsch dieses Krankenhaus, weil es hier nichts mehr für dich gibt. Ein Dr. Valerian denkt, er könne dich jeden Tag mit irgendeiner neuen verrückten Theorie im Bett halten und Blut abnehmen, bei dem die Auswertungen verschwinden oder das falsche gemessen wird, nein danke.

Zu dieser Zeit fand dann wohl auch der größte Betrug statt, denn eigentlich hättest du als Dialysepatient direkt auf der Transplantationsliste stehen müssen, doch das ist dir bis heute nicht vergönnt, die Gründe dafür sind manigfaltig und ein ganz anderes Thema. Nephrologen gibt es auch in deiner Heimatstadt in die du jetzt schweren Herzens zurück kehrst, weil dir bewusst ist, dass du erst einmal wieder Fuß fassen musst im Leben. immerhin warst du fast 2 Monate irgendwo zwischen Schein und Sein.

Die Wochen vergingen und deine Kräft kehrten langsam zurück, wirklich langsam und du musstest dich mit einem neuen Problem auseinandersetzen, deiner Angst vor Kontrollverlust und Nadeln. 4 Stunden gefesselt an eine Liege, zwei schmerzhafte Nadeln im Arm und dein eigenes Blut durch eine Maschine laufen sehen, man sollte meinen du hättest dich im Krankenhaus an den Scheiß gewöhnt, aber es ist etwas völlig anderes, Nadeln in den Arm getrieben zu bekommen jeden zweiten Tag, als still zu halten, wenn jemand den Katheter in deinem Hals in Betrieb nimmt. 

Die ersten 30 bis 40 Dialysen waren die Hölle auf Erden. Der Arm schwoll an, alles war grün und blau, als hättest du dich richtig böse geprügelt und die Schmerzen waren unerträglich, ohne den nahezu täglichen Novalgin-Cocktail hättest du nicht durchgehalten und es war ja nicht bloß, die körperliche Belastung der Punktion durch teilweise vollkommen empathieloses Personal, da waren ja auch noch die ganzen anderen Menschen mit dir im Raum, die lachten und plauderten und ihr Leben genossen, was du dir bis heute nicht erklären kannst, waren sie doch wie du totgeweiht und der geborgten Zeit verschrieben. Abhängig von Maschinen, die sie alle drei Tage wieder fit machten, wobei du anfangs eher das Gefühl hattest, dass es ein weiteres Überleben ist, als ein selbstbestimmtes Leben als fitter Erwachsener.

Angiografie

Kurz vor dem Ende des Jahres gab es dann einen weiteren Krankenhausaufenthalt, deine Ärzte haben entschieden deinen Shunt nach oben zu verlegen. Gemeint war damit eigentlich den Shunt näher an die Hautoberfläche zu holen, damit die Punktierung nicht mehr so schwer und schmerzhaft sein würde, stattdessen wurde der Shunt einfach 5cm weiter in Richtung Oberarm operiert, das hatte zwar keinen Effekt, war aber wieder ein weiterer Beweis dafür, warum du lieber selbst die Kontrolle wieder über dein Leben bekommst.

Immerhin gab es auch Erfolgserlebnisse und Schönes in 2014, erst einmal natürlich dein Überleben, deine Rückkehr in eine Scheinnormalität und die Möglichkeit die Hochzeit deines besten Freundes mitzuerleben, der in all der Zeit immer für dich da war. Einen stolzen Nachtspaziergang bei dem du seit fast zwei Jahren ohne auf Droge zu sein keine Angst verspürt hast, ein unglaublicher Erfolg, den du nur dir und deinem unbändigen Willen zu verdanken hast. Dazu hast du deiner Familie mit einem selbstgemachten Adventskalender aus 24 DVDs eine schöne Weihnachtszeit beschert und konntest etwas zurückgeben.

8/07/2022

10 Jahre Vol. 07 - INTENSIV - Teil II

Und wieder wich das Leben aus mir, Schlaf, Bewusstlosigkeit, Wiederbelebungsversuch notwendig, ich hatte vollkommen den Bezug zu weltlichen Dingen wie Raum und Zeit verloren, alles fühlte sich an wie endlose Träume unterbrochen von verstörenden Bildern der Realität, in denen ich mich selbst mit Abscheu und Verachtung wahrnahm, bestehend aus einem eingefallenen Bauch, überall Schläuchen und Geräten, die mich aussehen ließen wie eine imaginäre BORG-Version von mir, nur ohne die Power und das Gemeinschaftshirn.
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Ich klingelte einen Pfleger, Assistenzart oder wen auch immer zu mir, obwohl ich das Gefühl hatte, nebenan würde gerade auch gearbeitet, ich hörte laute Geräusche und Helene Fischer trällerte ihr "Atemlos" aus irgendeinem Radiogerät. Es war das erste Mal, dass ich auf den Text achtete während ich unter schwerem Atmen unter Todesangst leidend mein Geschäft verrichtete. Nebenan wurde das Radio lauter gedreht und ich malte mir unglaubliche Dinge aus, die dort hinter dem Vorhang geschahen. Als das Lied zu Ende war hörte ich sie tuscheln: "Von uns war heute Nacht keiner hier, ist das klar?", "Was machen wir mit dem da?", ich fühlte mich angesprochen und versuchte so zu tun als ob ich weggedämmert bin. Der Vorhang wurde vorgezogen: "Der ist so weggeballert, der kriegt gar nichts mit..." Ich hörte wie ein Bett weggefahren wurde und zwei Männer leise miteinander fachsimpelten: "Die Knochen kannst du direkt zu mir bringen, ich hab da schon ne Idee!", "Atemlos durch die Nacht..."
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Ich wachte wieder auf, es schien morgen zu sein, eine Art Loft, eine Badewanne unglaublicher Gestank und einer der Assistenzärzte, die sich seit ich weiß nicht wie lange um mich kümmerten saß an seinem Schreibtisch und feilte an etwas, dass ich nicht genau erkennen konnte. Er drehte sich zu mir und hielt in seiner Hand einen Knochen, ich erschrak. Er versuchte mich zu beruhigen und sagte: "Der ist nicht von einem Patienten, das ist nur ein Testobjekt, damit ich schonmal ein Gefühl dafür kriege...", er wies mit dem Finger zur Wanne und ich sah, dass in ihr eine zerstückelte Leiche lag, blutüberströmt, noch den OP-Mantel oder diese Kutte an, die man auf Intensivstation so an hat bevor es ans Eingemachte geht oder eben aus Gründen. Ich wünschte mir, ich träume, doch dem war nicht so. Er ging hin und holte sich einen Arm, den er dann mit einer Art Hochdruckreiniger von den Fleischstückchen befreite, die noch daran herum fransten bis nur noch die Knochen übrig waren und setzte sich mit der Hand und den Ellenknochen an den Schreibtisch und begann mit einer Miniflex am Knochen rum zu schleifen. "Das machen alle Medizinstudenten, keine Panik, wieder Zeit für die Medis oder?", wandte er sich an mich und ich dämmerte weg.
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In den folgenden Tagen wurde der Vorhang gar nicht mehr vorgezogen, fast stündlich wurde auf dem Metalltisch neben mir ein Mensch geschlachtet, mal mit dem Oberarzt, mal ohne? Ich fragte mich jedes einzelne Mal, wann ich der nächste bin. Meine Angst war unerträglich. Eines Tages kam der Oberarzt wutentbrannt herein und brachte drei Leichname in Plastik eingewickelt an einen Garderobewagen gehängt mit und schrie den Medizinstudenten an: "Ich habe für saubere Ware bezahlt, der Kunde ist nicht zufrieden, die kann ich nur noch an die Krankenhausküche verschenken, es fehlen Knochen!" Stille, doch nur kurz. "Was sie in Ihrer Freizeit machen, ist mir egal, aber Sie können nicht einfach die Knochen von bestellter Ware entfernen. Das wird Konsequenzen haben.", Wütend ging er weg, die drei Leichen standen mitten in meinem Blickfeld. Der Medizinstudent zog den Vorhang vor und ich hörte das Geräusch seiner Miniflex und der Geruch von verbranntem Fleisch machte sich im Raum breit.
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Es war Tag, ich freute mich, dass man mich endlich mal in eine aufrechte Position gebracht hatte, dadurch konnte ich endlich auch mal den Raum sehen, in dem ich war, eigentlich schon schön hier, dieser Landhausstil mit Holz vertäfelte Wände, ein großes Fenster von dem aus man direkt auf den Klinikeingang gucken konnte, es musste der erste Stock sein. Verrückt war nur, dass in dem ganzen schicken Landhausstil die Tür zu dem Raum in dem wir waren aus Stahl und mit einem Drehradmechanismus geschützt war, so wie man es von Schiffen kennt. Man hatte mir irgendwas von Dialyse erzählt und mir eine Schwester geschickt, die das alles irgendwie durchführte, ich habe keine Ahnung, was die gemacht hat, ich konnte meinen Blick nicht vom weißen Vorhang abwenden, der durch die ganzen Todeskäfer, wie ich sie nannte nahezu schwarz war und dort krabbelten sie und krabbelten und ich wusste ja genau, dass nebenan noch die drei verwesenden Leichen lagen. Ich fragte die Schwester, ob sie die Käfer auch sehen würde, weil ich aus irgendeinem Grund die Möglichkeit in Betracht zog, dass ich halluziniere, wäre ja ne extrem gute Erklärung für das kranke Zeug, was die letzten Tage so abging. Sie schüttelte den Kopf und verneinte, kurz darauf verließ sie das Zimmer. Ich habe sie nie wieder gesehen.
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Als ich wieder bei mir war flackerte der Vorhang in allen Farben des Regenbogens und durch das Radio hörte ich gerade die Nachricht, dass Arminia Bielefeld einen wahnsinnigen Transfercoup gelandet hat und den ehemaligen Dortmunder Tomáš Rosický verpflichtet hat. Dieser würde in Kürze am Eingang erwartet. Ich sah aus dem Fenster, wo sich schon eine Menschenmenge aus Presse und Fans eingefunden hatten. Ich glaube dann bekam ich Besuch von meinen Eltern und alles war wieder normal, zumindest bis es dunkel wurde. Da passierte auf dem Flur etwas, dass ich kurz sehen konnte als die Schiffstour einen Spalt weit offen stand. Offensichtlich waren K.I.Z. auf ein Konzert vorbei gekommen, ich bildete mir ein im Gang leise "Spasst" zu hören, ich zweifelte, weil ich immer mehr klare Momente hatte und immer mehr an der Realität der letzten zwei Wochen zweifelte, die ich aus dem künstlichen Koma erwachte. Wahnsinn, was Drogen, die man zum Überleben bekommt doch für eine Scheiße produzieren, wenn man entwöhnt wird.
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Meine Handgelenke schmerzen, weil die Infusion an der Stelle hängt, an der ich damals anfing um Hilfe zu schreien, eine sehr unangenehme Stelle, Moment mal, Schmerzen? Alles schmerzt eigentlich, gebt mir irgendwas, mein Blutdruck ist über 200, ich habe Schmerzen!!! Wo zur Hölle bin ich eigentlich? Meine Gedanken überschlugen sich. Der Raum war in blau gefliest und alles hatte einen cleanen Stahl-Look, ein Intensivbettzimmer, wie ich es schon so oft gesehen habe. Der Medizinstudent war auch da, er sagte: "Ich bin ganz vorsichtig, den Zugang brauchst du jetzt nicht mehr!", er zog die Nadel aus der Hauptschlagader am Handgelenk und mir kamen die Tränen, jetzt war ich am Ende doch noch dran. Aber irgendwas war anders, zwei Typen, die wie Rettungssanitäter aussahen schoben mich aus dem Raum, eine ganz normale Tür, ein ganz normaler Krankenhausgang, ich verstand gar nichts mehr. "Wir bringen sie zur Dialyse", ich dachte ich hätte meinen Verstand verloren, aber das jetzt schien die Realität zu sein.
Gerade einmal 48 Kilogramm brachte ich auf die Waage, als ich das erste Mal selbstständig eine solche betreten konnte (am Tag meines Todes waren es 68,5 gewesen) und im Anschluss vier Stunden lang meinen Kopf geneigt halten musste, damit die anschließende Dialyse ordnungsgemäß laufen konnte über einen am Hals eingeführten Herzkatheter, der mir das Leben rettete, solange ich noch keinen Shunt hatte.

7/31/2022

10 Jahre Vol. 06 - INTENSIV - Teil I

Es ist schon lustig, dass ich selbst als ich mich hätte NUR um mich kümmern müssen noch mit den Problemen anderer beschäftigt war, als hätte ich immer noch nicht verstanden gehabt, dass niemand mir helfen würde, wenn ich untergehe, niemand da sein würde, wenn ich mal jemanden wie sie brauchen würde, als hätte ich den Tod wirklich verdient gehabt, weil ich einfach mit 27 Jahren immer noch nicht verstanden habe, dass es nur um das ICH geht, so wie es die zahlreichen Narzissten in meinem persönlichen Umfeld mir doch ständig vorlebten. Vermutlich wollte ich aber aus Protest eben genau nicht wie sie sein und das brachte mich dann auch um. Mal abgesehen vom Wasser und dem riesigen Lungenödem, das ihr im letzten Kapitel gesehen habt.

Es ist so ultra schade, dass es keine Bilder von der Folgewoche gibt, denn das Leben nach dem Tod ist einfach ein vollkommen anderes als das, was man vorher dafür gehalten hat. Und ich meine damit nicht die Woche künstliches Koma, die auf die viereinhalb Minuten klinisch tot sein folgte. Das war einfach Nichts, als würde man traumlos schlafen. Und nachdem ich dann endlich nicht mehr von einer Maschine beatmet wurde ging die Party richtig los. Ich versuche es so anschaulich wie möglich zu beschreiben...

An dieser Stelle muss ich eine extra Ekelwarnung und eine Triggerwarnung aussprechen, das wird jetzt echt übles Zeug! 

Lilafarbener Sonnenuntergang, ich sitze an Deck, die Luft ist kühl und vor mir die See, ein Kellner steht neben mir und füllt mein Whiskeyglas während er fragt, ob ich noch etwas will, woraufhin ich das Glas zum Mund führe und er mir eine Tablette mit einem Smiley drauf reicht, dann rumst es extremst laut und ich werde aus meinem Stuhl geworfen, ich erbreche mich und sehe noch, dass die Kotze grün, rötlich ist bevor es wieder schwarz wird.
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Nacht, ich höre Stimmen, kann mich nicht bewegen, neben mir ein bärtiger Mitzwanziger im weißen Kittel, er scheint zu knien und hat eine Farbpistole in der einen Hand und ein Walki-Talki in der anderen. "Wir sind soweit-Over", bellt er in das Sprechgerät. Dann rennt er los und ich sehe, dass wir in einer großen Halle sind, die Wände holzverkleidet, aber irgendwie abgerockt, als wäre hier schon lange nichts mehr los gewesen. Erinnerte mich im ersten Moment an das Musikgeschäft meines Opas als es gebaut wurde. Das Licht geht an, Farbkleckse überall und drei Weißkittel kommen mit bunten Sprenklern bedeckt lachend zu mir: "Alles gut, Herr Tickman?" Ich sehe neben mir einen Tropf und einen der Weißkittel die daran rum spielen, lachend: "Und dann noch das.", ein Anderer unterbricht ihn: "Gib ihm das! Gib ihm das!", er reicht ihm eine Phiole mit einer türkisen Flüssigkeit, die mir der lachende Weißkittel spritzt. "Na dann guten Flug!", höre ich ihn noch sagen, bevor es mich wieder in die Schwärze zieht.
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16:9 Blende, ach du scheiße... was ist denn jetzt? Irgendwie bin ich im Studentenwohnheim gelandet, Medizinstudenten bei Nacht, spielen die immer noch Gotcha? Meine Gedanken waren nicht zu ordnen, irgendetwas flackerte die ganze Zeit, von draußen schien der Mond herein und ich fühlte mich als ob ich seit Tagen nicht geschlafen hatte, neben mir saß ein Blaukittel und wiederholte ständig den Satz: "Schlaf doch mal, schlaf doch mal, schlaf doch mal!" Jedes Mal, wenn ich dann zu ihm rüber sah machte er das kleine Nachttischlicht an und spritzte mir irgendwas in die Infusion: "So jetzt schlaf doch mal!"
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Mitten in der Nacht werde ich wach und höre fernasiatische Musik, fremde Sprache und ich bemerke, dass der Raum in dem ich mich befinde in ein rötliches Licht getaucht ist und durch einen Vorhang geteilt wurde. Es war neblig und ich hörte Kinder kreischen, dann wehte der Wind den Vorhang kurz zur Seite und da standen viele Menschen, alle in traditioneller chinesischer Hochzeitstracht.
(Für weitere Infos zur traditionellen chinesischen Hochzeit empfehle ich) Ich bin mir sicher, dass sie gerade die Tee-Zeremonie abhielten, als ich einen Blick erhaschen konnte. Ein kräuteriger Geruch erfüllte die Luft und ich dachte, wow, dass man mal an so etwas teilhaben darf.
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Aufwachen und Schmerzen im Unterleib, schlafe ich auf einer Bettpfanne? Definitiv irgendwas Metallisches am Rücken und das schmerzt, ich klingel mal nach einem Pfleger, oder was es hier gibt? Moment, wo zur Hölle bin ich gerade? Nachdem der Pfleger mir mehrmals den Arsch abgewischt hat konnte ich einen Blick auf die Bettpfanne werfen, die voller grüner Scheiße war. Daher also der kräuterige Geruch. Ich will gar nicht wissen, was gewesen wäre, wenn ich nicht total auf Drogen gewesen wäre. Vermutlich wäre ich vor Selbstekel und Scham nochmal gestorben.
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Ich wache auf, denke mir ob es eigentlich nie Tag wird in dieser komischen... Bevor ich diesen Gedanken zu Ende bringe steigt mir dieser merkwürdige Geruch in die Nase, danach ein Schreien und der Vorhang ist weg, da liegt auf einem Krankenhausbett eine Frau, drum herum hektische Schemen, sie schreit. "Pressen, pressen...", dringt es an mein Ohr. Dann wird der Vorhang wieder vorgezogen. In Erwartung von Babygeschrei halte ich den Atem an, oder konnte ich nur nicht atmen, das war es eher...ich röchelte mir einen zurecht, während ich wartete, aber da kam kein Geschrei, es wurde einfach nur still und ganz leise hörte man eine traurige Mutter weinen. Eines der schrecklichsten Dinge, die man als Sohn hören kann. Und irgendwo sind wir ja alles Söhne (oder Töchter).

7/24/2022

10 Jahre Vol. 05 - Sterben um zu leben

2014

Mit dem deutlichen Gefühl, dass dies wohl wirklich mein letztes Jahr auf Erden würde, den Tod im Gepäck, der täglich öfter an meine Tür klopfte als ich zählen konnte, begann ich zu reflektieren. Dauerhaftes Reflektieren kann einen wahnsinnig machen, aber in gesunden Abständen seine Motive und Taten zu hinterfragen und die Perspektive zu wechseln hilft einem eine vernünftige Einordnung dessen zu finden, wer man ist und wer man sein möchte. 2014 - Jahr der Vergeltung

Reichlich spät, wenn man bemerkt, dass die Einschläge näher kommen und das Ganze lange schon kein Spiel mehr ist und der Point of Return schon etwas zurückliegt. Einer der letzten Posts vor dem Ende meines damaligen Lebens macht ziemlich deutlich, wie bewusst ich mir meines nahenden Todes war. There's a better way to die

Sterben ist ein unfassbar langwieriger Prozess, wenn man nicht das Glück hat, durch ein plötzliches Ereignis das Zeitliche zu segnen. Wenn man täglich damit konfrontiert ist und wochenlang im Sitzen schläft, wenn man es überhaupt kann, weil das Wasser die Lunge erreicht hat und man nur noch hustet und sich das Einatmen anfühlt, als würde man Messer schlucken und der Brustkorb brennt und das nicht einfach mal für ein paar Minuten sondern stundenlang, tagelang. Die Arme sehen aus wie zu groß gezüchtete Zucchini, man drückt die Haut an einer Stelle ein und an einer anderen erscheint eine Beule.

Wenn man erwacht ist die Welt meistens noch in Ordnung. Nicht so dieses mal. Alex erwachte aus einem tiefen, tiefen Schlaf aber nichts war in Ordnung, gar nichts. Schon der erste Gedanke war: Todesangst! Warum kann ich nicht atmen? Wo bin ich? Was ist passiert? Erstmal egal, ich bekomme keine Luft, will schreien, warum zur Hölle kann ich nicht schreien?

Gerade als er während die Fragen seine Panik ins Unermessliche steigen ließen begann den Raum wahr zu nehmen, eine dunkle Höhle, in gelbliches Licht getaucht, gerade in diesem Moment schnellte seine Hand hoch und ergriff das schlangenhafte Wesen, dass sich in seinem Hals befand. Unter schwerem Würgen entledigte er sich dem Grauen, dass ihm die Luft nahm. Er atmete mehrmals kräftig durch und versuchte seine wirren Gedanken zu ordnen. Doch es gelang ihm nicht, sich selbst zu erklären, was er in einer gelblich schimmernden Höhle machte, warum er sich nicht bewegen konnte und wer die Kuttenträger waren, die in fremdartiger Sprache auf ihn einzureden schienen. Es schossen ihm die verschiedensten Varianten durch den Kopf. Entführung durch Terroristen, aber warum? Lösegeld könnte niemand zahlen und wie sollten die ihn überhaupt irgendwo erwischt haben, wo er doch nie raus ging? Viel wahrscheinlicher erschien ihm da schon die Theorie, irgendwelche religiösen Eiferer hätten ihn mithilfe seiner durchgeknallten Exfreundin, die selbst vor einiger Zeit Mitglied des Templerordens oder so was geworden war, aufgespürt und hier her verschleppt um ihn zu bekehren und ihm den Teufel auszutreiben, der ihn dazu trieb, sich in seinem Blog so negativ über die ausufernde falsche Religiösität und damit verbundener weiterer Lügen auszulassen. Doch gerade als er diesen Gedanken zu Ende dachte, zog es ihn wieder davon und er fiel zurück in den komatösen Zustand, aus dem er gerade erst erwacht war.


Alles was auf dem Röntgenbild aussieht wie Nebel oder weißer Schleier ist Wasser! 20 Liter Wasser hatte mein Körper eingelagert, als ich nicht mehr konnte, nicht mehr Atmen konnte. Zuvor hatte ich schon die ganze Nacht gehustet und um mein Leben gebangt, um Hilfe rufen war mir schon lange nicht mehr möglich, weil die Kehle zugeschnürt war, ich erbrach Wasser und es hörte einfach nicht auf... Die letzten Minuten waren ein nach Luft schnappen und anzuordnen den Notarzt zu rufen. Ich wusste, ich musst lange genug durchhalten, bis ich den Klang des Krankenwagens hörte. Das Fenster war auf, ein wundervoller Frühlingstag ging zu Ende, ich setzte mich an meinen Schreibtisch und als ich aus der Ferne die Sirene hörte, ließ ich los, ein letztes Mal atmen, ich spürte wie mein Herz stoppte und mein Kopf auf die Tischplatte fiel. Innerhalb dieser Sekunden, die sich wie eine Zeitlupenaufnahme anfühlten flackerte immer wieder ein Bild vor meinen Augen auf, eines das mich glücklich machte, Frieden beseelte mich und dann wurde es schwarz.


7/17/2022

10 Jahre Vol. 04 - Der wahre Geist der Weihnacht

Ein unglaublich anstrengendes Jahr lag hinter mir, als ich im November 2013 ein Gefühl der Dankbarkeit verspürte, ein unglaubliches Gefühl der Dankbarkeit, am liebsten hätte ich den Menschen, die in den letzten 12 Monaten immer an meiner Seite standen alle ihre Wünsche erfüllt, Geld hatte ich genug, da ich praktisch keine Ausgaben hatte, selbst dafür war ich dankbar, denn hätte das Arbeitsamt in Dortmund nicht so viel Nachsicht mit mir gehabt und hätte meine Krankenkasse nicht die 1500 Dialysespülungen und die damit verbundenen Kosten bezahlt, ich hätte nicht die Chance gehabt zu überleben und mich zu bedanken. Natürlich gab es auch Menschen, die meinten, dass ich "mich hängen ließe" und "mich nicht so anstellen solle", aber von denen hat man auch immer weniger gehört. Wenn man wirklich herausfinden will, welche Menschen einem wichtig sind und wem man etwas bedeutet muss man scheinbar erst einen Tanz mit dem Tod wagen.
In der ständigen Gewissheit, dass jeder Tag faktisch mein letzter sein konnte, wollte ich es dieses Weihnachtsfest noch einmal richtig knallen lassen. Da ich kaum in der Lage war mein Bett zu verlassen aufgrund der geschwollenen Gliedmaßen und der ständigen Atemnot, bestellte ich einfach mal alles, von dem ich dachte, dass sich meine Liebsten darüber freuen online. Ich vermisste natürlich das Rausgehen, die Weihnachtsstimmung in den Läden, die geschmückten Häuser und Gärten, die Tannenbäume, einfach den ganzen Kitsch jener Zeit, der irgendwie dazu gehört. Ich versuchte mir selbst in meinem kleinen Krankenzimmer ein wenig Winterwunderland einzurichten, Weihnachtsmusik in Dauerschleife. Ehrlich gesagt weiß ich nicht, wie ich meinen inneren Konflikt mit dem Weihnachtsfest als solches mit dem ich mich ja scheinbar weiterhin philosophisch beschäftigt habe beiseite schieben konnte und einfach den wahren Geist der Weihnacht verinnerlichen konnte. 
Ich habe mich sogar hingesetzt und eine Weihnachtszeitung erstellt, die seitdem jedes Jahr festes Ritual der Weihnachtszeit ist, in der ich unsere Familienweihnachten von früher beleuchtet habe, Weihnachten in anderen Ländern, einen "Scrooge-Weihnachtscomic" von Nintendo gesammelt habe, Top-Listen von Weihnachtsfilmen, alles was einem so einfällt zusammengefasst. Ich glaub das Ding hat ne ganze Farbpatrone gefressen, aber ich war stolz etwas erschaffen zu haben, den Anderen etwas hinterlassen zu können, auch wenn es nur eine gefühlsdurchtränkte Ansammlung an bedrucktem Papier ist. Na ja und eben auch noch jede Menge Geschenke, ich habe mir in diesem Jahr kein Budget gesetzt. Ich wollte, dass unterm Weihnachtsbaum einfach nur Überwältigung herrscht, dass man sich immer daran erinnert, wie großzügig ich war.
Ich erfreute mich an diesem Weihnachtsabend an jedem Strahlen, jedem Lächeln, jedem Danke, dass ich auslöste.
Es war einer der glücklichsten Tage in den letzten Jahren, weil ich für ein paar Stunden komplett vergaß, dass ich den Bauch voller Zuckerwasser hatte, welches durch einen Katheter alle 4-6 Stunden durch Schwerkraft und Spülung meinen Körper von Giftstoffen und im besten Fall eingelagertem Wasser befreite. Ich vergaß, dass ich einen Blutdruck um die 200 hatte, wenn ich ruhig war, dass mein Herz seit knapp einem Jahr nur noch schlug, weil mein unbändiger Wille es schlagen ließ. Der Abend war so dermaßen erschöpfend, dass ich danach tagelang nicht wirklich aus dem Bett kam. Das führte sogar dazu, dass Wolfgang anzweifelte, ich wäre überhaupt krank, als ich nicht zum fröhlichen Weihnachtsessen kommen konnte und mich an meinem Krankenbett besuchte und anschrie, wie erwähnt, es gibt Menschen, die haben es bis heute nicht verstanden. Familie geht bei Manchen eben nur in eine Richtung und nur solange alles heile Welt ist. Äußerst spannend, dass man im Nachhinein eigentlich schon immer wusste, wessen Geistes Kind er war.
Na ja und dann gab es da ja noch dieses ganz spezielle Weihnachtswunder, denn an jenem Weihnachtsabend erkannten vier Menschen für sich, was Familie und Zusammenhalt wirklich bedeutet, nämlich IMMER füreinander da zu sein und das vor Allem in den schwersten Zeiten, denn das sind die, in denen man sich wirklich braucht. Und dafür danke ich an dieser Stelle einfach nochmal.



7/10/2022

10 Jahre Vol. 03 - Schwankende Gedanken

Das Leben im Jahr 2013 konnte man kaum als solches bezeichnen, es war vielmehr ein Überleben, ein täglicher Kampf, viermal am Tag Dialyse, Bluthochdruck am Rande des Schlaganfalls, Dauerdurchfall wegen ständiger Überwässerung. Meine Ärzte waren nicht in der Lage meine Situation zu verbessern, ich selbst war nicht in der Lage. Ich steuerte auf den körperlichen Kollaps zu. Meine Gedanken kreisten das gesamte Jahr über, anfangs noch immer von Depressionen geprägt und vermutlich dem Trauma des Kontrollverlusts folgend. Doch im Laufe des Jahres lernte ich die Kraft jener Momente zu genießen, die eben einfach mal nicht nur Scheiße waren.

Am Ende war es ein Jahr der Selbstfindung, des Verstehens, der Erkenntnis dessen, was wichtig ist im Leben, was mir wichtig war.

Anfang 2013 war ich zwar körperlich wieder hergestellt, aber wirklich um meine Psyche hatte sich keiner gekümmert. Ein Fazit erzählt die letzten Tage im Krankenhaus und damit die ersten Tage des Jahres aus meiner damaligen Sicht.

Überleben ist ein harter Job ist ein erster Ansatz der Selbstreflektionen, in denen ich versucht habe noch mitten in der Depression und Traumabewältigung eine erste Analyse durchzuführen.

Das erste halbe Jahr war schwankend, während sich mein Körper immer wieder wehrte und ich fast täglich mit dem Überleben haderte, die mir gegebene Lebenszeit oft als Fluch ansah, mich fragte warum man mich denn nicht einfach sterben ließ, gab es dazwischen immer auch Phasen in denen ich froh war, Pläne machte, die Sonne sah und positiv in die Zukunft blickte. Meist war das in den 2-3 Stunden an denen ich mich täglich selbst dialysierte. Frustrierend waren die Arztbesuche bei denen man mir vorwarf, ich würde mir das Epo nicht spritzen, das ich meistens nach täglichem Kampf mit mir selbst in den Oberschenkel spritzte. Meine Werte wurden schlechter und schlechter und trotzdem gab es Tage an denen es mir gut ging. Vor allem im Sommer gab es Tage ohne Durchfallattacken und dicke Füße, Tage ohne Schmerzen ohne den Wunsch lieber tot zu sein.

Innere Unruhe - Lärm im Dorf war ein von Fernweh geprägter Post, nachdem ich bedingt durch die Einrichtung eines "Krankenzimmers" an die Wohnung in der Kleinstadt gebunden war und meinen eigentlichen Wohnsitz nur noch recht selten zu sehen bekam. Zu dieser Zeit fühlte ich mich zerrissen, unselbstständig und fremdbestimmt. Ich lebte nicht mehr mein Leben, ich überlebte es. Ich hatte gedacht, ich könne mit der Bauchfelldialyse meine Selbstständigkeit erhalten und stattdessen hatte ich mich selbst belogen und bloß meinem Kontrollzwang nachgegeben, der mich dann aber in einen Blattgoldkäfig eingesperrt hat. Ich haderte lange damit die Wohnung in Dortmund nicht direkt gekündigt zu haben, als ich 2012 im Krankenhaus landete, aber tief in mir drin war ich davon überzeugt, dass ich wieder soweit auf die Beine komme, es zu schaffen. Das Leben nach dem Tod in Dortmund ist wie eine postgewordene Beschreibung meines Liebeskummers, den ich empfand.

Meine Tage waren geprägt vom Überlebenskampf, jeden einzelnen Tag und gegen Ende des Jahres war ich müde, wieder lebensmüde. Ich wusste nicht, wie lange ich auf diese Weise noch durchhalten würde. Mit Domian: Thema 2013 schrieb ich damals eine kleine Zusammenfassung des Jahres, wie ich sie damals empfand. Viel positiver als meine eigentliche Gemütslage damals war.



7/03/2022

10 Jahre Vol. 02 - Die Maya-Prophezeiung

2012! - Die Maya Prophezeiung

Das SterbenIch will sterbenOhnmacht to be27Jeden TagWas bleibtErkenntnisse der EinsamkeitDepression Light, dann lange nichts und dann kurz bevor der richtige heavy Shit losging noch dieser Eintrag: Angst.

Zusammengefasst geht es in all diesen Posts um Hilfeschreie und deutlichste Anzeichen dafür, dass etwas mit mir absolut nicht mehr in Ordnung ist. Doch außer in diesen nahezu intimen, da nur einer kleinen Gruppe von damals vielleicht 10 regelmäßigen Lesern, Posts hielt ich die bröckelnde Fassade aufrecht und schwankte, ich kämpfte mit mir, ich wollte das Leben doch lieben, doch ich verlor immer mehr den Bezug zur Realität und vermutlich auch die Optionen gegenzusteuern. Aber niemand unternahm etwas, ich hätte es auch nicht zugelassen, ich wollte nicht, dass jemand wegen mir leiden musste. Wie verquert die Denkweise eines Depressiven aber wirklich ist, zeigte sich dann im Dezember, wo sich zu meiner kaputten Psyche dann auch endgültig die körperlichen Symptome äußerten. Ich empfehle hier von: 4 1/2 - Wie schreibt man Diarrhö bis zum Ende des Monats zu lesen, in der ich damals während ich es erlebte meine teils traumatischen Erlebnisse im Krankenhaus schilderte. In dieser Zeit war ich heilfroh, dass meine engsten Menschen bei mir waren, ohne sie hätte ich es vermutlich nicht geschafft. Andererseits war ich teilweise in den Nächten, die ich durch das Krankenhaus schlich so frei, so klar in meinen Gedanken, wie schon sehr lange Zeit vorher nicht. Weihnachten im Krankenhaus und Silvester auf einem mobilen Klosessel sind keine sonderlich geilen Erinnerungen an die Feiertage.

Ich habe schon Weihnachten mit Windpocken erlebt, Weihnachten im Krankenhaus zu Besuch beim tapferen Lestat und kränklich im Gästebett, inklusive wirbelndem Derwisch, der mich anschrie, dass ich gar nicht krank sei und meinen Arsch hoch bekommen solle, während ich nahezu kotzend über dem Eimer hing, aber Weihnachten wirklich ans Krankenhausbett gefesselt zu sein war noch etwas schlimmer. Ich hoffe auch, dass ich so etwas nie wieder erleben muss.

Und um den Titel zu erklären, nachdem ich ja im Sommer bereits die Nummer mit dem Club 27 verpasst hatte und irgendwo in meinem kranken Geist von gewissen Verschwörungstheorien und Zahlen besessen war, verpasste ich im Winter 2012 dann eben auch das Ende des Mayakalenders weil ich im Krankenhaus festsaß.


6/26/2022

10Jahre Vol. 01 - Club 27

Aus Gründen (vor Allem, um mir selbst den Erfolg der letzten 10 Jahre aufzuzeigen, den mir gewisse Menschen einfach nicht gönnen wollen) fasse ich hier in den nächsten Tagen so kurz wie möglich zusammen, was ich in den letzten 10 Jahren so gemacht habe (wer es genauer wissen will, kann ja auch mal die letzten eintausend Posts lesen, aber ich weiß so viel Zeit hat keiner):


2012!

Im Jahr 2012 wuchs in mir der Gedanke mich langsam aber sicher umzubringen, indem ich meine lebenswichtigen Medikamente absetzte. Da ich damals schwerstens depressiv war, weil die Lebensplanung, die ich für mich und meine Zukunft hatte im Vorjahr jäh endete ersann ich, um mich selbst zu bestrafen einen möglichst schmerzhaften Tod, denn wie ich gehört hatte, würde es mit unsäglichen Schmerzen einher gehen, wenn man eine bewusste Abstoßung in Kauf nimmt. Die Schmerzen kamen, ich begann mich daran zu gewöhnen und bemerkte sie kaum noch bei meinem täglichen Ritual mich selbst vor dem Spiegel und alle Anderen an Telefon und Haustür um meinen Zustand zu belügen. Das Dauererbrechen, die Schwäche, das Hungern, all das habe ich bislang nur meinem engsten Kreis erzählt, es gibt sogar wenige grauenhafte Bilder aus jener Zeit. Ich war froh, wenn ich ab und an mal nach Hause fahren konnte, sprich die Kraft hatte zum Bahnhof zu schleichen und dort ein Ticket zu lösen, um mich zuhause im Hotel Mama aufpeppeln zu lassen. Meist war es der ungesundeste Scheiß, den mein Körper einfach brauchte, ich war einerseits am Verhungern, ohne dass man es sehen konnte, weil ich andererseits am Ertrinken war. Aufgrund meiner Nierenschädigung lagerte sich im ganzen Körper Wasser ein und Wasser nimmt wirklich jeden Raum ein, von den Füßen bis hin zum Kopf. Und wie wir alle wissen sind dazwischen etliche Organe, die lieber nicht mit Wasser volllaufen. Wer damals meinen Blog las, war entweder genauso jenseitig drauf, wie ich, weil ich ihn vor Allem mit meinen wechselnden Bekanntschaften zu dieser Zeit teilte oder eben mit den "Freaks" in den Online-Chatgruppen über Suizid und Todessehnsucht. Ich sah die philosophischen Aspekte und versuchte das Sterben als "ich weiß auch nicht" für mich vorherbestimmt anzuerkennen. Ganz anders als 2006, als ich das erste Mal wirklich depressiv war (die 1998er Episoden schiebe ich mal auf den Hormonstoß durch die Transplantation und die einsetzende Pubertät). Damals 2006 habe ich das ganze mit einer halbjährigen Isolation und Unmengen an Wodka und diversen Drogen für mich ergründet und 2007 ad acta gelegt, aber naja 2012 war sie halt wieder da, ich wollte es mir nur viel zu lange nicht eingestehen. Es ist Unsinn zu behaupten, dass wenn jemand meinen Blog gelesen hätte, er vielleicht einen besseren Zugang und mehr Ahnung über mein Innenleben zu dieser Zeit bekommen hätte. Ich fürchte es wäre vergebens gewesen, da ich es dieses Mal ernst meinte. Mein Ego verlangte danach mit 27 Jahren aus der Welt zu scheiden, ich war so sehr davon überzeugt in den Club 27 zu gehören, dass ich an meinem 27. Geburtstag anfing den Plan in die Tat umzusetzen. Langsam, schmerzhaft und quälend. So wie auf diesem Bild vom 05. August, so wollte ich in Erinnerung behalten werden, vielleicht der letzte glückliche Tag bis zu meinem Tod eineinhalb Jahre später.