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8/07/2022

10 Jahre Vol. 07 - INTENSIV - Teil II

Und wieder wich das Leben aus mir, Schlaf, Bewusstlosigkeit, Wiederbelebungsversuch notwendig, ich hatte vollkommen den Bezug zu weltlichen Dingen wie Raum und Zeit verloren, alles fühlte sich an wie endlose Träume unterbrochen von verstörenden Bildern der Realität, in denen ich mich selbst mit Abscheu und Verachtung wahrnahm, bestehend aus einem eingefallenen Bauch, überall Schläuchen und Geräten, die mich aussehen ließen wie eine imaginäre BORG-Version von mir, nur ohne die Power und das Gemeinschaftshirn.
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Ich klingelte einen Pfleger, Assistenzart oder wen auch immer zu mir, obwohl ich das Gefühl hatte, nebenan würde gerade auch gearbeitet, ich hörte laute Geräusche und Helene Fischer trällerte ihr "Atemlos" aus irgendeinem Radiogerät. Es war das erste Mal, dass ich auf den Text achtete während ich unter schwerem Atmen unter Todesangst leidend mein Geschäft verrichtete. Nebenan wurde das Radio lauter gedreht und ich malte mir unglaubliche Dinge aus, die dort hinter dem Vorhang geschahen. Als das Lied zu Ende war hörte ich sie tuscheln: "Von uns war heute Nacht keiner hier, ist das klar?", "Was machen wir mit dem da?", ich fühlte mich angesprochen und versuchte so zu tun als ob ich weggedämmert bin. Der Vorhang wurde vorgezogen: "Der ist so weggeballert, der kriegt gar nichts mit..." Ich hörte wie ein Bett weggefahren wurde und zwei Männer leise miteinander fachsimpelten: "Die Knochen kannst du direkt zu mir bringen, ich hab da schon ne Idee!", "Atemlos durch die Nacht..."
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Ich wachte wieder auf, es schien morgen zu sein, eine Art Loft, eine Badewanne unglaublicher Gestank und einer der Assistenzärzte, die sich seit ich weiß nicht wie lange um mich kümmerten saß an seinem Schreibtisch und feilte an etwas, dass ich nicht genau erkennen konnte. Er drehte sich zu mir und hielt in seiner Hand einen Knochen, ich erschrak. Er versuchte mich zu beruhigen und sagte: "Der ist nicht von einem Patienten, das ist nur ein Testobjekt, damit ich schonmal ein Gefühl dafür kriege...", er wies mit dem Finger zur Wanne und ich sah, dass in ihr eine zerstückelte Leiche lag, blutüberströmt, noch den OP-Mantel oder diese Kutte an, die man auf Intensivstation so an hat bevor es ans Eingemachte geht oder eben aus Gründen. Ich wünschte mir, ich träume, doch dem war nicht so. Er ging hin und holte sich einen Arm, den er dann mit einer Art Hochdruckreiniger von den Fleischstückchen befreite, die noch daran herum fransten bis nur noch die Knochen übrig waren und setzte sich mit der Hand und den Ellenknochen an den Schreibtisch und begann mit einer Miniflex am Knochen rum zu schleifen. "Das machen alle Medizinstudenten, keine Panik, wieder Zeit für die Medis oder?", wandte er sich an mich und ich dämmerte weg.
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In den folgenden Tagen wurde der Vorhang gar nicht mehr vorgezogen, fast stündlich wurde auf dem Metalltisch neben mir ein Mensch geschlachtet, mal mit dem Oberarzt, mal ohne? Ich fragte mich jedes einzelne Mal, wann ich der nächste bin. Meine Angst war unerträglich. Eines Tages kam der Oberarzt wutentbrannt herein und brachte drei Leichname in Plastik eingewickelt an einen Garderobewagen gehängt mit und schrie den Medizinstudenten an: "Ich habe für saubere Ware bezahlt, der Kunde ist nicht zufrieden, die kann ich nur noch an die Krankenhausküche verschenken, es fehlen Knochen!" Stille, doch nur kurz. "Was sie in Ihrer Freizeit machen, ist mir egal, aber Sie können nicht einfach die Knochen von bestellter Ware entfernen. Das wird Konsequenzen haben.", Wütend ging er weg, die drei Leichen standen mitten in meinem Blickfeld. Der Medizinstudent zog den Vorhang vor und ich hörte das Geräusch seiner Miniflex und der Geruch von verbranntem Fleisch machte sich im Raum breit.
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Es war Tag, ich freute mich, dass man mich endlich mal in eine aufrechte Position gebracht hatte, dadurch konnte ich endlich auch mal den Raum sehen, in dem ich war, eigentlich schon schön hier, dieser Landhausstil mit Holz vertäfelte Wände, ein großes Fenster von dem aus man direkt auf den Klinikeingang gucken konnte, es musste der erste Stock sein. Verrückt war nur, dass in dem ganzen schicken Landhausstil die Tür zu dem Raum in dem wir waren aus Stahl und mit einem Drehradmechanismus geschützt war, so wie man es von Schiffen kennt. Man hatte mir irgendwas von Dialyse erzählt und mir eine Schwester geschickt, die das alles irgendwie durchführte, ich habe keine Ahnung, was die gemacht hat, ich konnte meinen Blick nicht vom weißen Vorhang abwenden, der durch die ganzen Todeskäfer, wie ich sie nannte nahezu schwarz war und dort krabbelten sie und krabbelten und ich wusste ja genau, dass nebenan noch die drei verwesenden Leichen lagen. Ich fragte die Schwester, ob sie die Käfer auch sehen würde, weil ich aus irgendeinem Grund die Möglichkeit in Betracht zog, dass ich halluziniere, wäre ja ne extrem gute Erklärung für das kranke Zeug, was die letzten Tage so abging. Sie schüttelte den Kopf und verneinte, kurz darauf verließ sie das Zimmer. Ich habe sie nie wieder gesehen.
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Als ich wieder bei mir war flackerte der Vorhang in allen Farben des Regenbogens und durch das Radio hörte ich gerade die Nachricht, dass Arminia Bielefeld einen wahnsinnigen Transfercoup gelandet hat und den ehemaligen Dortmunder Tomáš Rosický verpflichtet hat. Dieser würde in Kürze am Eingang erwartet. Ich sah aus dem Fenster, wo sich schon eine Menschenmenge aus Presse und Fans eingefunden hatten. Ich glaube dann bekam ich Besuch von meinen Eltern und alles war wieder normal, zumindest bis es dunkel wurde. Da passierte auf dem Flur etwas, dass ich kurz sehen konnte als die Schiffstour einen Spalt weit offen stand. Offensichtlich waren K.I.Z. auf ein Konzert vorbei gekommen, ich bildete mir ein im Gang leise "Spasst" zu hören, ich zweifelte, weil ich immer mehr klare Momente hatte und immer mehr an der Realität der letzten zwei Wochen zweifelte, die ich aus dem künstlichen Koma erwachte. Wahnsinn, was Drogen, die man zum Überleben bekommt doch für eine Scheiße produzieren, wenn man entwöhnt wird.
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Meine Handgelenke schmerzen, weil die Infusion an der Stelle hängt, an der ich damals anfing um Hilfe zu schreien, eine sehr unangenehme Stelle, Moment mal, Schmerzen? Alles schmerzt eigentlich, gebt mir irgendwas, mein Blutdruck ist über 200, ich habe Schmerzen!!! Wo zur Hölle bin ich eigentlich? Meine Gedanken überschlugen sich. Der Raum war in blau gefliest und alles hatte einen cleanen Stahl-Look, ein Intensivbettzimmer, wie ich es schon so oft gesehen habe. Der Medizinstudent war auch da, er sagte: "Ich bin ganz vorsichtig, den Zugang brauchst du jetzt nicht mehr!", er zog die Nadel aus der Hauptschlagader am Handgelenk und mir kamen die Tränen, jetzt war ich am Ende doch noch dran. Aber irgendwas war anders, zwei Typen, die wie Rettungssanitäter aussahen schoben mich aus dem Raum, eine ganz normale Tür, ein ganz normaler Krankenhausgang, ich verstand gar nichts mehr. "Wir bringen sie zur Dialyse", ich dachte ich hätte meinen Verstand verloren, aber das jetzt schien die Realität zu sein.
Gerade einmal 48 Kilogramm brachte ich auf die Waage, als ich das erste Mal selbstständig eine solche betreten konnte (am Tag meines Todes waren es 68,5 gewesen) und im Anschluss vier Stunden lang meinen Kopf geneigt halten musste, damit die anschließende Dialyse ordnungsgemäß laufen konnte über einen am Hals eingeführten Herzkatheter, der mir das Leben rettete, solange ich noch keinen Shunt hatte.

7/31/2022

10 Jahre Vol. 06 - INTENSIV - Teil I

Es ist schon lustig, dass ich selbst als ich mich hätte NUR um mich kümmern müssen noch mit den Problemen anderer beschäftigt war, als hätte ich immer noch nicht verstanden gehabt, dass niemand mir helfen würde, wenn ich untergehe, niemand da sein würde, wenn ich mal jemanden wie sie brauchen würde, als hätte ich den Tod wirklich verdient gehabt, weil ich einfach mit 27 Jahren immer noch nicht verstanden habe, dass es nur um das ICH geht, so wie es die zahlreichen Narzissten in meinem persönlichen Umfeld mir doch ständig vorlebten. Vermutlich wollte ich aber aus Protest eben genau nicht wie sie sein und das brachte mich dann auch um. Mal abgesehen vom Wasser und dem riesigen Lungenödem, das ihr im letzten Kapitel gesehen habt.

Es ist so ultra schade, dass es keine Bilder von der Folgewoche gibt, denn das Leben nach dem Tod ist einfach ein vollkommen anderes als das, was man vorher dafür gehalten hat. Und ich meine damit nicht die Woche künstliches Koma, die auf die viereinhalb Minuten klinisch tot sein folgte. Das war einfach Nichts, als würde man traumlos schlafen. Und nachdem ich dann endlich nicht mehr von einer Maschine beatmet wurde ging die Party richtig los. Ich versuche es so anschaulich wie möglich zu beschreiben...

An dieser Stelle muss ich eine extra Ekelwarnung und eine Triggerwarnung aussprechen, das wird jetzt echt übles Zeug! 

Lilafarbener Sonnenuntergang, ich sitze an Deck, die Luft ist kühl und vor mir die See, ein Kellner steht neben mir und füllt mein Whiskeyglas während er fragt, ob ich noch etwas will, woraufhin ich das Glas zum Mund führe und er mir eine Tablette mit einem Smiley drauf reicht, dann rumst es extremst laut und ich werde aus meinem Stuhl geworfen, ich erbreche mich und sehe noch, dass die Kotze grün, rötlich ist bevor es wieder schwarz wird.
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Nacht, ich höre Stimmen, kann mich nicht bewegen, neben mir ein bärtiger Mitzwanziger im weißen Kittel, er scheint zu knien und hat eine Farbpistole in der einen Hand und ein Walki-Talki in der anderen. "Wir sind soweit-Over", bellt er in das Sprechgerät. Dann rennt er los und ich sehe, dass wir in einer großen Halle sind, die Wände holzverkleidet, aber irgendwie abgerockt, als wäre hier schon lange nichts mehr los gewesen. Erinnerte mich im ersten Moment an das Musikgeschäft meines Opas als es gebaut wurde. Das Licht geht an, Farbkleckse überall und drei Weißkittel kommen mit bunten Sprenklern bedeckt lachend zu mir: "Alles gut, Herr Tickman?" Ich sehe neben mir einen Tropf und einen der Weißkittel die daran rum spielen, lachend: "Und dann noch das.", ein Anderer unterbricht ihn: "Gib ihm das! Gib ihm das!", er reicht ihm eine Phiole mit einer türkisen Flüssigkeit, die mir der lachende Weißkittel spritzt. "Na dann guten Flug!", höre ich ihn noch sagen, bevor es mich wieder in die Schwärze zieht.
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16:9 Blende, ach du scheiße... was ist denn jetzt? Irgendwie bin ich im Studentenwohnheim gelandet, Medizinstudenten bei Nacht, spielen die immer noch Gotcha? Meine Gedanken waren nicht zu ordnen, irgendetwas flackerte die ganze Zeit, von draußen schien der Mond herein und ich fühlte mich als ob ich seit Tagen nicht geschlafen hatte, neben mir saß ein Blaukittel und wiederholte ständig den Satz: "Schlaf doch mal, schlaf doch mal, schlaf doch mal!" Jedes Mal, wenn ich dann zu ihm rüber sah machte er das kleine Nachttischlicht an und spritzte mir irgendwas in die Infusion: "So jetzt schlaf doch mal!"
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Mitten in der Nacht werde ich wach und höre fernasiatische Musik, fremde Sprache und ich bemerke, dass der Raum in dem ich mich befinde in ein rötliches Licht getaucht ist und durch einen Vorhang geteilt wurde. Es war neblig und ich hörte Kinder kreischen, dann wehte der Wind den Vorhang kurz zur Seite und da standen viele Menschen, alle in traditioneller chinesischer Hochzeitstracht.
(Für weitere Infos zur traditionellen chinesischen Hochzeit empfehle ich) Ich bin mir sicher, dass sie gerade die Tee-Zeremonie abhielten, als ich einen Blick erhaschen konnte. Ein kräuteriger Geruch erfüllte die Luft und ich dachte, wow, dass man mal an so etwas teilhaben darf.
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Aufwachen und Schmerzen im Unterleib, schlafe ich auf einer Bettpfanne? Definitiv irgendwas Metallisches am Rücken und das schmerzt, ich klingel mal nach einem Pfleger, oder was es hier gibt? Moment, wo zur Hölle bin ich gerade? Nachdem der Pfleger mir mehrmals den Arsch abgewischt hat konnte ich einen Blick auf die Bettpfanne werfen, die voller grüner Scheiße war. Daher also der kräuterige Geruch. Ich will gar nicht wissen, was gewesen wäre, wenn ich nicht total auf Drogen gewesen wäre. Vermutlich wäre ich vor Selbstekel und Scham nochmal gestorben.
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Ich wache auf, denke mir ob es eigentlich nie Tag wird in dieser komischen... Bevor ich diesen Gedanken zu Ende bringe steigt mir dieser merkwürdige Geruch in die Nase, danach ein Schreien und der Vorhang ist weg, da liegt auf einem Krankenhausbett eine Frau, drum herum hektische Schemen, sie schreit. "Pressen, pressen...", dringt es an mein Ohr. Dann wird der Vorhang wieder vorgezogen. In Erwartung von Babygeschrei halte ich den Atem an, oder konnte ich nur nicht atmen, das war es eher...ich röchelte mir einen zurecht, während ich wartete, aber da kam kein Geschrei, es wurde einfach nur still und ganz leise hörte man eine traurige Mutter weinen. Eines der schrecklichsten Dinge, die man als Sohn hören kann. Und irgendwo sind wir ja alles Söhne (oder Töchter).

7/24/2022

10 Jahre Vol. 05 - Sterben um zu leben

2014

Mit dem deutlichen Gefühl, dass dies wohl wirklich mein letztes Jahr auf Erden würde, den Tod im Gepäck, der täglich öfter an meine Tür klopfte als ich zählen konnte, begann ich zu reflektieren. Dauerhaftes Reflektieren kann einen wahnsinnig machen, aber in gesunden Abständen seine Motive und Taten zu hinterfragen und die Perspektive zu wechseln hilft einem eine vernünftige Einordnung dessen zu finden, wer man ist und wer man sein möchte. 2014 - Jahr der Vergeltung

Reichlich spät, wenn man bemerkt, dass die Einschläge näher kommen und das Ganze lange schon kein Spiel mehr ist und der Point of Return schon etwas zurückliegt. Einer der letzten Posts vor dem Ende meines damaligen Lebens macht ziemlich deutlich, wie bewusst ich mir meines nahenden Todes war. There's a better way to die

Sterben ist ein unfassbar langwieriger Prozess, wenn man nicht das Glück hat, durch ein plötzliches Ereignis das Zeitliche zu segnen. Wenn man täglich damit konfrontiert ist und wochenlang im Sitzen schläft, wenn man es überhaupt kann, weil das Wasser die Lunge erreicht hat und man nur noch hustet und sich das Einatmen anfühlt, als würde man Messer schlucken und der Brustkorb brennt und das nicht einfach mal für ein paar Minuten sondern stundenlang, tagelang. Die Arme sehen aus wie zu groß gezüchtete Zucchini, man drückt die Haut an einer Stelle ein und an einer anderen erscheint eine Beule.

Wenn man erwacht ist die Welt meistens noch in Ordnung. Nicht so dieses mal. Alex erwachte aus einem tiefen, tiefen Schlaf aber nichts war in Ordnung, gar nichts. Schon der erste Gedanke war: Todesangst! Warum kann ich nicht atmen? Wo bin ich? Was ist passiert? Erstmal egal, ich bekomme keine Luft, will schreien, warum zur Hölle kann ich nicht schreien?

Gerade als er während die Fragen seine Panik ins Unermessliche steigen ließen begann den Raum wahr zu nehmen, eine dunkle Höhle, in gelbliches Licht getaucht, gerade in diesem Moment schnellte seine Hand hoch und ergriff das schlangenhafte Wesen, dass sich in seinem Hals befand. Unter schwerem Würgen entledigte er sich dem Grauen, dass ihm die Luft nahm. Er atmete mehrmals kräftig durch und versuchte seine wirren Gedanken zu ordnen. Doch es gelang ihm nicht, sich selbst zu erklären, was er in einer gelblich schimmernden Höhle machte, warum er sich nicht bewegen konnte und wer die Kuttenträger waren, die in fremdartiger Sprache auf ihn einzureden schienen. Es schossen ihm die verschiedensten Varianten durch den Kopf. Entführung durch Terroristen, aber warum? Lösegeld könnte niemand zahlen und wie sollten die ihn überhaupt irgendwo erwischt haben, wo er doch nie raus ging? Viel wahrscheinlicher erschien ihm da schon die Theorie, irgendwelche religiösen Eiferer hätten ihn mithilfe seiner durchgeknallten Exfreundin, die selbst vor einiger Zeit Mitglied des Templerordens oder so was geworden war, aufgespürt und hier her verschleppt um ihn zu bekehren und ihm den Teufel auszutreiben, der ihn dazu trieb, sich in seinem Blog so negativ über die ausufernde falsche Religiösität und damit verbundener weiterer Lügen auszulassen. Doch gerade als er diesen Gedanken zu Ende dachte, zog es ihn wieder davon und er fiel zurück in den komatösen Zustand, aus dem er gerade erst erwacht war.


Alles was auf dem Röntgenbild aussieht wie Nebel oder weißer Schleier ist Wasser! 20 Liter Wasser hatte mein Körper eingelagert, als ich nicht mehr konnte, nicht mehr Atmen konnte. Zuvor hatte ich schon die ganze Nacht gehustet und um mein Leben gebangt, um Hilfe rufen war mir schon lange nicht mehr möglich, weil die Kehle zugeschnürt war, ich erbrach Wasser und es hörte einfach nicht auf... Die letzten Minuten waren ein nach Luft schnappen und anzuordnen den Notarzt zu rufen. Ich wusste, ich musst lange genug durchhalten, bis ich den Klang des Krankenwagens hörte. Das Fenster war auf, ein wundervoller Frühlingstag ging zu Ende, ich setzte mich an meinen Schreibtisch und als ich aus der Ferne die Sirene hörte, ließ ich los, ein letztes Mal atmen, ich spürte wie mein Herz stoppte und mein Kopf auf die Tischplatte fiel. Innerhalb dieser Sekunden, die sich wie eine Zeitlupenaufnahme anfühlten flackerte immer wieder ein Bild vor meinen Augen auf, eines das mich glücklich machte, Frieden beseelte mich und dann wurde es schwarz.


12/13/2012

Dreizehn

Das Krankenhaus ist eine Art Heimat geworden, das jenige in Münster allerdings, in gewisser Weise fühlt sich die erneute Einlieferung an, als würde man nach langer Zeit heim kommen. Alles wirkt so bekannt und vertraut und doch ist die Situation in der Notaufnahme anzukommen und als lebensbedrohlich eingestuft zu sein eine neue Erfahrung auf die ich auch hätte verzichten können wenn man mal ganz ehrlich ist. Seit knapp 15 Stunden meckert man mich jedes Mal an, wenn ich wieder aufstehen will. Es ist so, dass man mich wohl lieber im Liegen haben will, wer weiß schon, welchen Sinn DAS macht, vermutlich irgendwas mit der Versicherung.

Bünde, Westfalen
Was war denn eigentlich passiert? Nun ja, ich habe im Laufe der letzten Nacht entschieden, dass es so wie bisher nicht weitergehen konnte.... so gebrechlich und komplett neben der Spur, wie ich schon wieder seit knapp einer Woche bin. Also dachte ich, es wäre doch schlau, sich mal beim Hausarzt sehen zu lassen. Nun ja, wenn man mal ganz ehrlich ist, dann war das schon recht gewagt, denn ich war mir nicht sicher, ob ich diesen Weg überleben würde, im wahrsten Sinne des Wortes. Das Atmen fiel so schwer, dass mein Herz darauf reagierte und pumpte, wie ein Speedmetaldrummer auf Koks. Nachdem der Herr Doktor mich etwas beruhigte und mich direkt an die Klinik überwies, war mir schon recht klar, dass es ernst war, sehr ernst. Also ging es direkt zur Notaufnahme des Bünder Lukas Krankenhauses, wo man mich dann erstmal mit akuten Lungen und Herzproblemen eine satte Stunde ins Wartezimmer setzte, ins vollbesetzte, was in Anbetracht der Angst vor Enge und Menschen ebenfalls eine ernste Situation heraufbeschwor und sich im Anschluss bei der Untersuchung als Hauptursache eines extrem hohen Blutdrucks zeigen sollte. Tachikard war ich ja noch dazu und Luft bekam ich schon nicht, da babbelt mich der behandelnde Arzt auch noch zu, dass er meinen Bruder kennt und ihn für mich hält und solche Späße... ich weiß ehrlich nicht, ob ich so etwas wirklich witzig finde, während mein Lebenslicht bedroht ist auszugehen. Eine deutlich übergewichtige Ärztin gafft mich an, plappert mit einer merkwürdig erregten Stimme auf mich ein und redet immer wieder von einer Darmuntersuchung, bis sie mir voller Wollust ihren Finger in den Po schieben darf und feststellen muss, dass ich ja doch nicht aus dem Hintern blute, wie ich es gesagt hatte bei der Anamnese, aber die alte House-Regel, dass jeder Mensch lügt scheint in Ärztekreisen wirklich kein Mythos zu sein und deutlich wichtiger als man denkt. Denn eigentlich überprüfen diese Kasper alles, was man so sagt doppelt nach, warum auch dem Patienten glauben, der hat den Scheiss schließlich nicht studiert und ist nicht der Experte. Während ich da so lag und entkleidet wurde, den Sinn dahinter habe ich immer noch nicht begriffen wurde mir wieder klar, dass unsere Helden in Weiß manchmal doch deutlich von sich überzeugter sind, als es ihnen gut tut, aber dafür retten sie Leben, ich befürchte da bleibt eine gewisse Überheblichkeit gar nicht aus.
Münster
Ankunft so gegen 14:30 im RTW und das Ganze nach einer Fahrt durch die erste größere Schneehölle des Jahres, auf der Fahrt war ich die meiste Zeit einfach nur ängstlich ob des jungen Notarztes neben mir, der sich vor seiner Kollegin peinlicherweise mit einem Samsung Galaxy S3 zu profilieren versuchte... Wäre ich nicht mit dem Versuch des Überlebenskampfes beschäftigt gewesen, hätte ich mich vermutlich mit irgendeinem blöden Spruch unbeliebt gemacht. Stattdessen versuchte ich vor allem nicht an Worte wie Autounfall, Statistiken zum Thema Verkehrstote, Erfrieren, Herzversagen und anderes zu denken... und irgendwie meine verdammte Atmung in den Griff zu bekommen. Nebenbei fragte dieser junge Notarzt immer wieder irgendwelche Dinge über Blut im Stuhl und andere bizarre Dinge, die zu beantworten mir ob der akuten Atemnot extrem schwer fielen und das obwohl ich schon Sauerstoff zugeführt bekam. Alles in allem kam mir die Stunde Fahrt vor wie im Flug und vielleicht war es sogar besser, dass ich kaum etwas von dem Wetter sehen konnte, welches dort auf der anderen Seite der dreckigen Scheiben des Krankenwagens wütete.
Das Umladen meiner Person aus dem Wagen zurück auf eine Krankenhaustrage war einer dieser magischen Momente. Wer den Film „Bringing out the dead“ kennt und das Team mit Nic Cage und Tom Sizemore auch so verehrt, hätte seinen Spaß gehabt, denn genau daran erinnerte mich das als der junge Notarzt und der etwas ältere sich aufregten mich samt Lastkarre über die zugefrorene Liegend-Notaufnahme ins Gebäude zu schieben und das dann auch noch in Höchstgeschwindigkeit, weil man ja schon direkt die nächste Tour gebucht hatte. Und als ob das noch nicht schwierig genug gewesen wäre, schafften es die beiden auch noch jeden Notaufnahmisten anzupöbeln, wo sie denn eigentlich mit mir hin sollten.
Also im Fernsehen und aus Ärzteperspektive wirken diese NAs ja schon immer recht wuselig, aber das war die absolute Krönung, wirklich hektisch und spannend bestimmt, wenn man nicht gerade Patient in Lebensgefahr ist, wie man mir mehrfach eingetrichtert hat, ich denke vor allem um zu verhindern, dass ich da in meiner Panik wild durch die Gegend laufe, vielleicht hätte ich das auch gar nicht gekonnt, nur angefühlt hat es sich, als hätte ich, wahrscheinlich eine Folge des Adrenalins in Todesnähe. Nachdem ich so fast eine halbe Stunde zwischen Feierabend machenden Mitarbeitern der NA rumstand wurden mir zwischendurch immer wieder neue Ankündigungen gemacht, Dialyse, Blutkonserven, Zugang legen. bla bla, kritischer Zustand, Wortfetzen, immer wieder unterbrochen vom aus Arztserien bekannten Geräusch des Defibrilators aus dem Hintergrund. Das Ganze war schon höchst bizarr, ich weiß nicht einmal wie viele Ärzte und Krankenschwestern sich mir in kürzester Zeit vorgestellt haben und von meinem Unterbewusstsein wieder gelöscht wurden. Eigentlich kann ich mir Namen recht gut merken, aber vermutlich war das Stabilhalten meines Denkapparats fürs Gehirn zur Zeit wichtiger als flüchtige Bekanntschaften zu fetischistisch angehauchten jungen Frauen, die Namen der Kerle hätte ich mir eh nicht gemerkt. Ja ich weiß, den Schowi-Scheiss könnt ich auch weglassen, macht aber Spaß der Arsch zu sein.

Meine erste richtige Dialyse stand an, das war beängstigend, aber andererseits konnte ich jetzt endlich nachempfinden, was Lestat ständig durchmacht... 3mal die Woche, sehr heftig, denn mit meiner Nadelpanik bin ich hier doch deutlich fehl am Platz. Im Vergleich zu früher ist das hier zwar nicht mehr ganz die Topmodelklinik aber Charme und ein durchaus überzeugendes Aussehen können noch viele vorweisen und dazu haben einige einfach dieses gewisse Etwas, das den Aufenthalt trotz ernstester Lage beinahe zu einem Urlaub werden lassen könnte. Mit der Kompetenz der Angestellten bin ich jedenfalls sehr zufrieden, wäre ich der Kliniktycoon gäbe es erst einmal nichts zu beanstanden. Diejenige die mir den Hals zum Zugang für die Dialyse bereit gemacht hat, hätte ich in einer anderen Situation direkt angegraben und mir eine Abfuhr epischen Ausmaßes abgeholt und im Anschluss behauptet, dass es sich gelohnt hätte. Aber stattdessen fragte ich kleinlaut nach einer Urinflasche und Beruhigungsmittel und ließ die Zugangslegung beruhigt wie eine Hindu-Kuh über mich ergehen. Und von diesem Zeitpunkt an verschwimmen auch die Erinnerungen, denn genau kann man, also ich nicht mehr nachvollziehen was dann geschah.
Irgendwie lag ich lange Zeit auf der Trage und erfuhr nichts, weder über meinen Zustand, noch über das wichtigere Ereignis des Tages, die Beerdigung der Fankultur in deutschen Stadien durch die verfluchte DFL. Und ich hatte jetzt fast eine Woche nicht geschlafen, mit dem Vieh im Hals sah ich da auch keine Hoffnung, an die erste Dialyse kann ich mich auch gar nicht erinnern, obwohl es ja erst ein paar Stunden her ist und ich eigentlich nicht geschlafen habe, jedenfalls nicht, dass ich wüsste...Mal sehen wie es weitergeht, seit knapp 2 Stunden bin ich allein und trotz der objektiven Hektik, wie sie von außen wirkt, beruhigte mich die ganze Situation doch sehr und ich fühle mich erstmals wirklich gechillt, seit fast 2 Jahren, unfasslich, wie man im Todeskampf unter der größtmöglichen Anspannung für den Körper innerliche Ruhe erreichen kann.