12/13/2012

Dreizehn

Das Krankenhaus ist eine Art Heimat geworden, das jenige in Münster allerdings, in gewisser Weise fühlt sich die erneute Einlieferung an, als würde man nach langer Zeit heim kommen. Alles wirkt so bekannt und vertraut und doch ist die Situation in der Notaufnahme anzukommen und als lebensbedrohlich eingestuft zu sein eine neue Erfahrung auf die ich auch hätte verzichten können wenn man mal ganz ehrlich ist. Seit knapp 15 Stunden meckert man mich jedes Mal an, wenn ich wieder aufstehen will. Es ist so, dass man mich wohl lieber im Liegen haben will, wer weiß schon, welchen Sinn DAS macht, vermutlich irgendwas mit der Versicherung.

Bünde, Westfalen
Was war denn eigentlich passiert? Nun ja, ich habe im Laufe der letzten Nacht entschieden, dass es so wie bisher nicht weitergehen konnte.... so gebrechlich und komplett neben der Spur, wie ich schon wieder seit knapp einer Woche bin. Also dachte ich, es wäre doch schlau, sich mal beim Hausarzt sehen zu lassen. Nun ja, wenn man mal ganz ehrlich ist, dann war das schon recht gewagt, denn ich war mir nicht sicher, ob ich diesen Weg überleben würde, im wahrsten Sinne des Wortes. Das Atmen fiel so schwer, dass mein Herz darauf reagierte und pumpte, wie ein Speedmetaldrummer auf Koks. Nachdem der Herr Doktor mich etwas beruhigte und mich direkt an die Klinik überwies, war mir schon recht klar, dass es ernst war, sehr ernst. Also ging es direkt zur Notaufnahme des Bünder Lukas Krankenhauses, wo man mich dann erstmal mit akuten Lungen und Herzproblemen eine satte Stunde ins Wartezimmer setzte, ins vollbesetzte, was in Anbetracht der Angst vor Enge und Menschen ebenfalls eine ernste Situation heraufbeschwor und sich im Anschluss bei der Untersuchung als Hauptursache eines extrem hohen Blutdrucks zeigen sollte. Tachikard war ich ja noch dazu und Luft bekam ich schon nicht, da babbelt mich der behandelnde Arzt auch noch zu, dass er meinen Bruder kennt und ihn für mich hält und solche Späße... ich weiß ehrlich nicht, ob ich so etwas wirklich witzig finde, während mein Lebenslicht bedroht ist auszugehen. Eine deutlich übergewichtige Ärztin gafft mich an, plappert mit einer merkwürdig erregten Stimme auf mich ein und redet immer wieder von einer Darmuntersuchung, bis sie mir voller Wollust ihren Finger in den Po schieben darf und feststellen muss, dass ich ja doch nicht aus dem Hintern blute, wie ich es gesagt hatte bei der Anamnese, aber die alte House-Regel, dass jeder Mensch lügt scheint in Ärztekreisen wirklich kein Mythos zu sein und deutlich wichtiger als man denkt. Denn eigentlich überprüfen diese Kasper alles, was man so sagt doppelt nach, warum auch dem Patienten glauben, der hat den Scheiss schließlich nicht studiert und ist nicht der Experte. Während ich da so lag und entkleidet wurde, den Sinn dahinter habe ich immer noch nicht begriffen wurde mir wieder klar, dass unsere Helden in Weiß manchmal doch deutlich von sich überzeugter sind, als es ihnen gut tut, aber dafür retten sie Leben, ich befürchte da bleibt eine gewisse Überheblichkeit gar nicht aus.
Münster
Ankunft so gegen 14:30 im RTW und das Ganze nach einer Fahrt durch die erste größere Schneehölle des Jahres, auf der Fahrt war ich die meiste Zeit einfach nur ängstlich ob des jungen Notarztes neben mir, der sich vor seiner Kollegin peinlicherweise mit einem Samsung Galaxy S3 zu profilieren versuchte... Wäre ich nicht mit dem Versuch des Überlebenskampfes beschäftigt gewesen, hätte ich mich vermutlich mit irgendeinem blöden Spruch unbeliebt gemacht. Stattdessen versuchte ich vor allem nicht an Worte wie Autounfall, Statistiken zum Thema Verkehrstote, Erfrieren, Herzversagen und anderes zu denken... und irgendwie meine verdammte Atmung in den Griff zu bekommen. Nebenbei fragte dieser junge Notarzt immer wieder irgendwelche Dinge über Blut im Stuhl und andere bizarre Dinge, die zu beantworten mir ob der akuten Atemnot extrem schwer fielen und das obwohl ich schon Sauerstoff zugeführt bekam. Alles in allem kam mir die Stunde Fahrt vor wie im Flug und vielleicht war es sogar besser, dass ich kaum etwas von dem Wetter sehen konnte, welches dort auf der anderen Seite der dreckigen Scheiben des Krankenwagens wütete.
Das Umladen meiner Person aus dem Wagen zurück auf eine Krankenhaustrage war einer dieser magischen Momente. Wer den Film „Bringing out the dead“ kennt und das Team mit Nic Cage und Tom Sizemore auch so verehrt, hätte seinen Spaß gehabt, denn genau daran erinnerte mich das als der junge Notarzt und der etwas ältere sich aufregten mich samt Lastkarre über die zugefrorene Liegend-Notaufnahme ins Gebäude zu schieben und das dann auch noch in Höchstgeschwindigkeit, weil man ja schon direkt die nächste Tour gebucht hatte. Und als ob das noch nicht schwierig genug gewesen wäre, schafften es die beiden auch noch jeden Notaufnahmisten anzupöbeln, wo sie denn eigentlich mit mir hin sollten.
Also im Fernsehen und aus Ärzteperspektive wirken diese NAs ja schon immer recht wuselig, aber das war die absolute Krönung, wirklich hektisch und spannend bestimmt, wenn man nicht gerade Patient in Lebensgefahr ist, wie man mir mehrfach eingetrichtert hat, ich denke vor allem um zu verhindern, dass ich da in meiner Panik wild durch die Gegend laufe, vielleicht hätte ich das auch gar nicht gekonnt, nur angefühlt hat es sich, als hätte ich, wahrscheinlich eine Folge des Adrenalins in Todesnähe. Nachdem ich so fast eine halbe Stunde zwischen Feierabend machenden Mitarbeitern der NA rumstand wurden mir zwischendurch immer wieder neue Ankündigungen gemacht, Dialyse, Blutkonserven, Zugang legen. bla bla, kritischer Zustand, Wortfetzen, immer wieder unterbrochen vom aus Arztserien bekannten Geräusch des Defibrilators aus dem Hintergrund. Das Ganze war schon höchst bizarr, ich weiß nicht einmal wie viele Ärzte und Krankenschwestern sich mir in kürzester Zeit vorgestellt haben und von meinem Unterbewusstsein wieder gelöscht wurden. Eigentlich kann ich mir Namen recht gut merken, aber vermutlich war das Stabilhalten meines Denkapparats fürs Gehirn zur Zeit wichtiger als flüchtige Bekanntschaften zu fetischistisch angehauchten jungen Frauen, die Namen der Kerle hätte ich mir eh nicht gemerkt. Ja ich weiß, den Schowi-Scheiss könnt ich auch weglassen, macht aber Spaß der Arsch zu sein.

Meine erste richtige Dialyse stand an, das war beängstigend, aber andererseits konnte ich jetzt endlich nachempfinden, was Lestat ständig durchmacht... 3mal die Woche, sehr heftig, denn mit meiner Nadelpanik bin ich hier doch deutlich fehl am Platz. Im Vergleich zu früher ist das hier zwar nicht mehr ganz die Topmodelklinik aber Charme und ein durchaus überzeugendes Aussehen können noch viele vorweisen und dazu haben einige einfach dieses gewisse Etwas, das den Aufenthalt trotz ernstester Lage beinahe zu einem Urlaub werden lassen könnte. Mit der Kompetenz der Angestellten bin ich jedenfalls sehr zufrieden, wäre ich der Kliniktycoon gäbe es erst einmal nichts zu beanstanden. Diejenige die mir den Hals zum Zugang für die Dialyse bereit gemacht hat, hätte ich in einer anderen Situation direkt angegraben und mir eine Abfuhr epischen Ausmaßes abgeholt und im Anschluss behauptet, dass es sich gelohnt hätte. Aber stattdessen fragte ich kleinlaut nach einer Urinflasche und Beruhigungsmittel und ließ die Zugangslegung beruhigt wie eine Hindu-Kuh über mich ergehen. Und von diesem Zeitpunkt an verschwimmen auch die Erinnerungen, denn genau kann man, also ich nicht mehr nachvollziehen was dann geschah.
Irgendwie lag ich lange Zeit auf der Trage und erfuhr nichts, weder über meinen Zustand, noch über das wichtigere Ereignis des Tages, die Beerdigung der Fankultur in deutschen Stadien durch die verfluchte DFL. Und ich hatte jetzt fast eine Woche nicht geschlafen, mit dem Vieh im Hals sah ich da auch keine Hoffnung, an die erste Dialyse kann ich mich auch gar nicht erinnern, obwohl es ja erst ein paar Stunden her ist und ich eigentlich nicht geschlafen habe, jedenfalls nicht, dass ich wüsste...Mal sehen wie es weitergeht, seit knapp 2 Stunden bin ich allein und trotz der objektiven Hektik, wie sie von außen wirkt, beruhigte mich die ganze Situation doch sehr und ich fühle mich erstmals wirklich gechillt, seit fast 2 Jahren, unfasslich, wie man im Todeskampf unter der größtmöglichen Anspannung für den Körper innerliche Ruhe erreichen kann.

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