Die Nacht hatte noch Überraschungen zu
bieten, denn so gegen halb 12 oder auch eine Stunde später, das
spielt hier nicht so eine Rolle wurde ich dann tatsächlich noch von
der ITS auf Normalstation verlegt. Rasant war auch dieser Transport,
auf dem Weg durch den Lastenaufzug Richtung 13 (welch ein Omen) und
auf dem Weg noch einen kleinen Abstecher in der Röntgenabteilung auf
Station 3. Und oh Schock, in genau dem Moment als der blonde Engel
die Tür öffnete war mir wieder klar, wie schön doch das
Nachtpersonal auch hier ist. Warum verstecken sich solch holde Maiden
in der Dunkelheit? Vermutlich genau wegen solcher Spinner wie mir,
die trotz ihres kaputten Zustandes keine Gelegenheit auslassen die
jungen Schönen anzugraben... eigentlich tu ich das ja NUR in diesem
bemitleidenswerten Zustand und je gesünder ich werde, desto mehr
schwindet der Charme und vor allem mein Mut. Im Ernst, die meisten
der Frauen hier würde ich im normalen Leben nicht einmal anlächeln
können, aus der Angst vor Zurückweisung. Das
bringt uns dann auch zurück zur „Tour de Hospital“. Ich kann mir
kaum etwas spannenderes vorstellen als mitten in der Nacht mit einem
Bremen-Fan in Baseballjacke durch das ausgestorbene Klinikum zu
brettern. Und weil das alleine ja nicht richtig kickt machten wir das
Ganze auf einer Notfallliege und in höchstem Tempo. Das Krankenhaus
macht bei Nacht wirklich Spaß und bis auf die Schmerzen, woher auch
immer sie kommen mochten fühlte ich mich eigentlich recht gut. Mir
schwebte immer noch die (ich möchte das Wort „Schön“ nicht zu
sehr überstrapazieren) schöne indische Prinzessin im Kopf herum. Oh
weh, ich übertreibe schon wieder, sorry nein ich übertreibe nicht,
nur was das indisch angehaucht angeht, da bin ich mir nicht sicher,
aber eine Prinzessin könnte sie schon sein. Genau das sind doch die
Begegnungen, die einem in Erinnerung bleiben, auch nach der
„qualvollen“ Zeit der Entbehrungen in der Klinik. Und mit
Entbehrungen meine ich vor allem die körperlichen, der Verzicht auf
Beischlaf, gutes Essen, andere Genussmittel. Das Motto heißt wohl,
„Nur gucken, nicht anfassen!“ Und ich denke schon wieder nur an
die Frauen...
Und das obwohl
ich noch in dieser Nacht mein Zimmer mit den beiden netten Herren
E. und D. beziehen sollte. Der Herr E., ein echtes
Original, blau aus familiärer Tradition, aber sonst auch keine Scheu
sich daneben zu benehmen... Und mit blau meine ich Scheisse am Schuh
und keine alkoholinduzierten Probleme, die ja in einem Krankenhaus
durchaus mal vorkommen können. Der wahrscheinlich größte Mangel
von Herrn E. war seine Schwerhörigkeit, aber wer will einem 75
Jährigen, den ich auf Mitte 60 getippt hatte eine solche
Gebrechlichkeit auch übel nehmen, da ist das „blau“ sein mir
und dem Zimmermitling aus schwarz gelbem Lager doch deutlich
unangenehmer. Denn obwohl auch dieser mit 72 schon jenseits der
Altherrengrenze der Jugendmannschaften ist, wirkt er um einiges
frischer und mobiler. Ehrlich gesagt, als ich nachts erstmals ins
Zimmer kam, hatte ich vor dem wirklich einen Moment Angst, wie das
kalte Mondlicht so ins Zimmer rein schien und sein Gesicht einer
Fratze gleich den Anschein eines Serienkillers machte. Doch direkt am
nächsten Morgen stellte sich beim Frühstück heraus, dass er das
Herz am rechten Fleck hängen hat, als die große Tauscherei der von
der Küche falsch zugeteilten Lebensmittel begann... Beinahe wie im
Krieg wurde da Margarine gegen Schmelzkäse getauscht und Wurst
wechselte für ein Päckchen Brombeermarmelade den Besitzer. Das Brot
war, nun ja ich bekam erst einmal nichts herein, ich mochte es nicht.
Aber ich bin ja nun auch nicht als der große Frühstücksjunkie
bekannt, wenn man mal in die Vergangenheit blickt.
Das Leid der
Begierde sollte sich jedoch bald über mich legen, schon nach kurzer
Zeit erinnerte ich mich an alles von früher, die Blutabnahmen, das
ständige bereit sein für die nächste Hiobsbotschaft und das alles
immer präsentiert von den kleinen Zauberfeen im weißen Kittel,
meinen ach so geliebten Krankenschwestern.
Der
Eingewöhnungstag verlief so wie ich ihn mir dachte, ruhig und
distanziert, ich musste erst einmal klar kommen wieder hier zu sein
und das für unbestimmte Zeit, doch voller Hoffnung auf ein gutes
Ende... Neben Blutabnahmen und dem quälenden Gefühl von Schmerzen
und Selbstvorwürfen, die mich ja hier her gebracht hatten und einer
gehörigen Portion Angst wieder allein in Münster zu sein, ließ ich
mich doch deutlich einschüchtern und außerdem lag ich plötzlich
nach fast 2 Jahren der Einsamkeit wieder mit Menschen in einem Raum,
fremden Menschen, die ich nicht direkt als das einschätzen konnte,
was sie waren, Gefangene im gleichen Albtraum, aber eben schon
wesentlich abgewichster als meiner Einer, ich wusste ja eigentlich
bloß, dass ich nicht mehr in akuter Lebensgefahr schwebte, aber mehr
sollte sich erst wesentlich später klären. Also war ich hier vor
allem erst einmal unter Beobachtung und konnte als Testpatient für
wütende Stich und Messattacken missbraucht werden. Scheinbar wusste
man wirklich nicht so ganz, was mich so kaputt gemacht hatte, aber
ich hab doch davon erzählt, was ich gemacht habe, gebt mir doch
einfach meine Pillen wieder und peppelt mich wieder auf, lasst mich
gehen und alles ist wieder gut. Von wegen, das hier ist Münster,
erst mal ein wenig herum eiern, das gehörte schon immer zum guten
Ton in diesen Hallen.
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