12/14/2012

Vierzehn

Die Nacht hatte noch Überraschungen zu bieten, denn so gegen halb 12 oder auch eine Stunde später, das spielt hier nicht so eine Rolle wurde ich dann tatsächlich noch von der ITS auf Normalstation verlegt. Rasant war auch dieser Transport, auf dem Weg durch den Lastenaufzug Richtung 13 (welch ein Omen) und auf dem Weg noch einen kleinen Abstecher in der Röntgenabteilung auf Station 3. Und oh Schock, in genau dem Moment als der blonde Engel die Tür öffnete war mir wieder klar, wie schön doch das Nachtpersonal auch hier ist. Warum verstecken sich solch holde Maiden in der Dunkelheit? Vermutlich genau wegen solcher Spinner wie mir, die trotz ihres kaputten Zustandes keine Gelegenheit auslassen die jungen Schönen anzugraben... eigentlich tu ich das ja NUR in diesem bemitleidenswerten Zustand und je gesünder ich werde, desto mehr schwindet der Charme und vor allem mein Mut. Im Ernst, die meisten der Frauen hier würde ich im normalen Leben nicht einmal anlächeln können, aus der Angst vor Zurückweisung. Das bringt uns dann auch zurück zur „Tour de Hospital“. Ich kann mir kaum etwas spannenderes vorstellen als mitten in der Nacht mit einem Bremen-Fan in Baseballjacke durch das ausgestorbene Klinikum zu brettern. Und weil das alleine ja nicht richtig kickt machten wir das Ganze auf einer Notfallliege und in höchstem Tempo. Das Krankenhaus macht bei Nacht wirklich Spaß und bis auf die Schmerzen, woher auch immer sie kommen mochten fühlte ich mich eigentlich recht gut. Mir schwebte immer noch die (ich möchte das Wort „Schön“ nicht zu sehr überstrapazieren) schöne indische Prinzessin im Kopf herum. Oh weh, ich übertreibe schon wieder, sorry nein ich übertreibe nicht, nur was das indisch angehaucht angeht, da bin ich mir nicht sicher, aber eine Prinzessin könnte sie schon sein. Genau das sind doch die Begegnungen, die einem in Erinnerung bleiben, auch nach der „qualvollen“ Zeit der Entbehrungen in der Klinik. Und mit Entbehrungen meine ich vor allem die körperlichen, der Verzicht auf Beischlaf, gutes Essen, andere Genussmittel. Das Motto heißt wohl, „Nur gucken, nicht anfassen!“ Und ich denke schon wieder nur an die Frauen...

Und das obwohl ich noch in dieser Nacht mein Zimmer mit den beiden netten Herren E. und D. beziehen sollte. Der Herr E., ein echtes Original, blau aus familiärer Tradition, aber sonst auch keine Scheu sich daneben zu benehmen... Und mit blau meine ich Scheisse am Schuh und keine alkoholinduzierten Probleme, die ja in einem Krankenhaus durchaus mal vorkommen können. Der wahrscheinlich größte Mangel von Herrn E. war seine Schwerhörigkeit, aber wer will einem 75 Jährigen, den ich auf Mitte 60 getippt hatte eine solche Gebrechlichkeit auch übel nehmen, da ist das „blau“ sein mir und dem Zimmermitling aus schwarz gelbem Lager doch deutlich unangenehmer. Denn obwohl auch dieser mit 72 schon jenseits der Altherrengrenze der Jugendmannschaften ist, wirkt er um einiges frischer und mobiler. Ehrlich gesagt, als ich nachts erstmals ins Zimmer kam, hatte ich vor dem wirklich einen Moment Angst, wie das kalte Mondlicht so ins Zimmer rein schien und sein Gesicht einer Fratze gleich den Anschein eines Serienkillers machte. Doch direkt am nächsten Morgen stellte sich beim Frühstück heraus, dass er das Herz am rechten Fleck hängen hat, als die große Tauscherei der von der Küche falsch zugeteilten Lebensmittel begann... Beinahe wie im Krieg wurde da Margarine gegen Schmelzkäse getauscht und Wurst wechselte für ein Päckchen Brombeermarmelade den Besitzer. Das Brot war, nun ja ich bekam erst einmal nichts herein, ich mochte es nicht. Aber ich bin ja nun auch nicht als der große Frühstücksjunkie bekannt, wenn man mal in die Vergangenheit blickt.
Das Leid der Begierde sollte sich jedoch bald über mich legen, schon nach kurzer Zeit erinnerte ich mich an alles von früher, die Blutabnahmen, das ständige bereit sein für die nächste Hiobsbotschaft und das alles immer präsentiert von den kleinen Zauberfeen im weißen Kittel, meinen ach so geliebten Krankenschwestern.
Der Eingewöhnungstag verlief so wie ich ihn mir dachte, ruhig und distanziert, ich musste erst einmal klar kommen wieder hier zu sein und das für unbestimmte Zeit, doch voller Hoffnung auf ein gutes Ende... Neben Blutabnahmen und dem quälenden Gefühl von Schmerzen und Selbstvorwürfen, die mich ja hier her gebracht hatten und einer gehörigen Portion Angst wieder allein in Münster zu sein, ließ ich mich doch deutlich einschüchtern und außerdem lag ich plötzlich nach fast 2 Jahren der Einsamkeit wieder mit Menschen in einem Raum, fremden Menschen, die ich nicht direkt als das einschätzen konnte, was sie waren, Gefangene im gleichen Albtraum, aber eben schon wesentlich abgewichster als meiner Einer, ich wusste ja eigentlich bloß, dass ich nicht mehr in akuter Lebensgefahr schwebte, aber mehr sollte sich erst wesentlich später klären. Also war ich hier vor allem erst einmal unter Beobachtung und konnte als Testpatient für wütende Stich und Messattacken missbraucht werden. Scheinbar wusste man wirklich nicht so ganz, was mich so kaputt gemacht hatte, aber ich hab doch davon erzählt, was ich gemacht habe, gebt mir doch einfach meine Pillen wieder und peppelt mich wieder auf, lasst mich gehen und alles ist wieder gut. Von wegen, das hier ist Münster, erst mal ein wenig herum eiern, das gehörte schon immer zum guten Ton in diesen Hallen.

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