12/24/2012

Vierundzwanzig!

Was ist das besondere an dem großen Weihnachtszauber, mit dem alle herumlaufen und sich wirklich so etwas wie Freude durchs Gebäude wabert, echte Freude, auch bei jenen, denen es dreckig geht, die arbeiten müssen, getrennt von Heim und Herd, von den Freunden, der Familie.... ich habe heute endlich den Mut aufgebracht mal ein wenig rabiater zur Wäsche zu schreiten, mich extra fein gemacht, mal anständige Klamotten rausgesucht, irgendwie hatte ich schon heute morgen ein richtig gutes Gefühl. Faszinierend, wo ich eigentlich in absoluter Hektik bereit sein müsste mich zur Dialyse aufzumachen, dann noch die ominöse Erstspülung und das alles an einem Tag wo jeder nur noch den Weihnachtsbaum in den Augen hat. Der ruhigste Ort auf Erden ist das hier sicherlich nicht, die Stimmung ist deutlich gereizt und eigentlich könnte ich mich auch schon wieder aufregen, dass ich schlingen werden muss, weil das Frühstück zu spät kommt. Aber mein Gott, es ist alles in Ordnung. Mit ein wenig Galgenhumor, einem Lächeln und dem Willen nicht ewig zu bleiben lässt sich doch einfach alles ertragen, es ist wie es ist, man muss die Situation annehmen, wie sie ist. Nicht immer nur hadern, jammern und sich beschweren, das Leben bietet jedem die Chance es zu verwirklichen, wir sind nur oft zu träge es anzunehmen, zu träge oder blockiert oder sonst wie gehemmt.
8 Uhr
Eine dralle junge Transportbettfahrerin holte mich zu meinem Dialysetermin ab, wirklich ein nettes Mädel, etwas unschuldig aber ich glaube das gehört hier irgendwie ins Persönlichkeitsprofil, dass man zumindest den Anschein erweckt die Unschuld vom Land sein zu können. Vermutlich ist es, wie überall zu 80% Fassade und soll dem Patienten suggerieren, dass er nicht so viel hadern muss, dass es nötig ist, dass ihn eine junge Frau samt Bett durch das Klinikgebäude kutschiert, obwohl man viel lieber selbst gehen würde. Aber andererseits ist es auch irgendwie ein gutes Gefühl so umsorgt zu werden. Auch wenn es natürlich wie fast alles nur schöner Schein ist und im Endeffekt eben doch nur „business as usual“.
Um 8 Uhr 15 lag ich schon voll verkabelt an der Station und hatte bereits klar gemacht, wie ich zum Kitsch und Klimbim von Weihnachten stehe, nicht ohne mehrfach erwähnt zu haben, dass ich den Grinch als besten Weihnachtsfilm verehre. Ganz im Ernst ist in der Geschichte auch viel mehr Wahrheit als in den Erzählungen über fröhliche Menschen, die zusammen singen und feiern und alles im Glanz des scheinheiligen Tannenbaums, der symbolisch für die Inszenierungswut und das Zeigen von immer tollerer Pracht, Glitzer in den Augen jener, die geblendet sind. Tatsächlich fühlte ich mich beim Geräusch der Pumpen und Maschinen erhoben, klar, so wie ich das von früher her kannte, als könnte doch wirklich alles gut sein. Ich musste schmunzeln über den älteren Herr, der mir gegenüber große Probleme mit dem Ton des Fernsehers zuhaben schien, Unwichtigkeiten, die ihn belasteten, ich fand es lächerlich, dass es für ihn scheinbar essentieller war für ein paar Stunden nach Hause zu können um sich in einer dann doch gezwungenen Atmosphäre dem aufgezwungenen Weihnachtsfest hinzugeben, als die Tatsache, dass er überleben würde und vielleicht diese paar Stunden gerade der Anfang einer neuen Chance für ihn sind.
Dialysestationen sind ja vielleicht nicht gerade wirklich gemütliche Orte aber wenn man nur will kann jeder Ort, der Ort sein an dem man gerade ist. Und damit der einzig richtige Ort, es ist nur eine Sache der Einstellung, Situation analysieren und annehmen. Immer das beste daraus zu machen klingt vielleicht wie Idealismus und Naivität aber das Gegenteil ist das ständig unzufriedene Streben nach einem nie erreichbaren Idealzustand und das führt unweigerlich zum Gefühl des Scheiterns, sollte also als Option nicht einmal angeboten werden dürfen. Aber viele nehmen diese Option dann trotzdem gerne wahr, weil es ihnen an geistiger Größe fehlt ihr Potential auszuschöpfen.
Ein Arzt besuchte mich in der Dialyse und erkundigte sich forsch nach Teilen meiner Geschichte, die ja nun doch nicht gerade das leichteste Gepäck ist, was man sich am „Heiligen Abend“ aufladen möchte... Aber da ich keinerlei Ängste mehr verspüre mich zu offenbaren und auch die Reaktion mir keinerlei Scham mehr einschießen lässt kann ich frei von der Leber weg erzählen, dass ich systematisch 2 Jahre lang versuchte mich langsam und qualvoll zu exekutieren. Klar klingt sowas höchst schockierend, aber noch wesentlich schockierender ist es, wenn man sich mit den Folgen auseinandersetzen kann oder in meinem Fall muss, weil der Plan bloß ein weiterer Fehler in der Gewahrwerdung des Wertes von Lebens ist. Den Wert des Lebens zu erkennen ist vielleicht die größte Herausforderung, der sich das bewusste Wesen des Menschen zu stellen hat. Wenn der Weg dorthin über den Weg des Todes und das Tal der Schmerzen führt, dann ist das eben so. Wie mir gestern die Tränen übers Gesicht liefen, als Timon und Pumba das „Hakuna Matata“ intonierten, weil es einfach so wahr ist. Der König der Löwen, die moderne Fabel zum Thema Selbstfindung, in dem Film steckt so viel, es ist eine Schande, dass ich solange gebrauchte habe, diese Tatsache zu erkennen. Aber sei es drum, für manche Dinge braucht man eben etwas länger,, manchmal ein Leben lang und im schlimmsten Fall überschreitet man auch die ein oder andere Grenze, während man das Ziel wieder ins Visier nimmt. Bloß Aufgabe darf keine Option sein, es kommt mir seit Tagen so vor, dass ich gar nicht weiß, wieso ich mich eigentlich so gehasst haben muss, mir den eigenen Tod herbei zu wünschen. Womit sollte ich das eigentlich verdient haben?
 
Der Arzt sah sich meinen Verband an und meinte dann in einem Anfall von Aktionismus diesen wechseln zu müssen. Vermutlich war mal wieder nicht kommuniziert gewesen, dass es später noch einmal zu einem erneuten Wechsel kommen sollte bei der sogenannten Erstspülung. Aber sei es drum, solange es nicht schmerzt oder solcherlei sollte er mal machen, war ja auch mal ganz nett, wenn einem einer sagt, ob eigentlich alles in gewünschtem Maße aussieht. Diese Bestätigung tat schon wirklich ganz gut, einfach auch mal zu hören, dass alles so verläuft, wie es sollte, trotz der geringen Informationsdichte, die ich hier ab und an schon bemängeln musste. Nachdem dieser Verbandswechsel dann erledigt war erlebte ich den bisherigen Höhepunkt des Tages mit einem weiteren Patienten, leider ist mein Namensgedächtnis nicht das, was es einst war und daher nenne ich ihn einfach mal den „Kalif der Weihnacht“. Er erkundigte sich nach meiner Geschichte und gänzlich unverhofft entsponn sich ein Gespräch auf einer Ebene wie ich seit Jahren kein Gespräch mehr geführt habe, von einem gegenseitigen Respekt und Verständnis geprägt, als würde man sich schon ewig kennen. Mein persönliches Weihnachtswunder. Es gibt doch im Leben immer wieder diese Weichen, die man nicht sieht, weil man an ihnen vorbei hastet, diese Momente die man Jahre später für Dinge verantwortlich machen kann. Wenn man während eines solchen Moments bemerkt, dass es sich um einen solchen handelt, das fühlt sich an wie ein direkter Handkuss aus der Chefetage des Seins. Die Dialyse verging wie im Flug, nicht einmal der krächzende Hobbitmutant neben mir, der sich dauerhaft und im immer gleichen Ton beschwerte konnte mir das nehmen. Genau dieses Gespräch hätte vielleicht zu einem anderen Zeitpunkt viel Leid von mir abgehalten, aber wer in Kategorien wie „hätte, wäre, wenn“ denkt, der sollte sich sowieso erst einmal deutlich hinterfragen. Tiefe Gespräche mit fremden Menschen erheben mich immer auf eine gewisse Ebene, wenn diese dann auch noch in Inhalt und Anschauung so auf meiner Linie sind, gibt mir das die deutliche Hoffnung, dass ich bei weitem nicht so kaputt bin, wie ich es immer annehme. An dieser Stelle kann ich dann ja auch mal einstreuen, dass ich am 27. einen Termin in der Psychosomatik wahrzunehmen habe, warum genau habe ich entweder überhört oder nicht gesagt bekommen, ich finde jedenfalls das klingt interessant. Ich habe heute Morgen gelacht, so ein schönes Gefühl, ich hatte es schon vergessen gehabt. Es gab einfach in den letzten Jahren keine wirklichen Gründe mehr für ein Lachen, ein gefühltes Lachen, wie befreiend so etwas sein kann, wahrlich wundersam. Neben der Information zur Psychosomatik wurde dann auch so etwas wie ein ungefährer Fahrplan mit mir besprochen, indem man mir mitteilte, dass eigentlich nur noch ein wenig Einspülen und Training her muss und man dann bereit wäre mich auch gehen zu lassen. So was hört man ja gern, wenn ein Arzt, jemand der etwas zu sagen hat sagt, dass man ja nicht tagelang hier herum liegen muss, obwohl eigentlich alles erledigt ist. Na ja ganz so war es wahrscheinlich dann auch wieder nicht zu verstehen, aber ein Bett ist eben auch nicht ewig frei... mir soll`s ja recht sein. Licht am Ende des Tunnels. Irgendwie gibt einem so was Hoffnung, dass man sich richtig entschieden hat, nicht aufzugeben.
Leider konnte ich keine Nachricht mehr an meinen „Kalifen der Weihnacht“ mit der doch ebenso beeindruckenden Vita wie der meinen mehr hinterlassen, da im Anschluss an meine Dialyse eine gewisse Hektik dafür sorgte, dass man die Erstspülung dann kurz in einem kleinen Nebenraum durchgeführt hat und ich weiß gar nicht, ob ich früher ne volle Hohlnuss war oder einfach nichts gecheckt habe, aber etwas simpleres als den Prozess der CAPD habe ich selten gesehen, idiotensicher. Auf die Trainings freue ich mich schon, klar hatte ich schon irgendwie etwas Respekt vor der Nummer, aber früher schien das alles viel komplizierter gewesen zu sein. Vielleicht war das aber auch der Situation geschuldet, dass meine Mutter mit ihrer ungezügelten Art die Fähigkeit zu besitzen scheint alles mit Stress und Komplexität aufzuladen, selbst die simpelste Kleinigkeit. Ich glaube es gibt eigentlich nur eine wichtige Regel. Desinfektion ist GOTT. Wenn man sich daran hält und nicht vollkommen hornochsig ist, sollte es nicht gelingen großartige Fehler zu produzieren.

Gegen 13 Uhr war ich dann auch wieder auf der Station und durfte mich dem mies gelaunten Sergej gegenübersehen, aber irgendwie ist mir das auch so egal, was der Kerl für ein Problem hat, soviel schlechtes Karma umgibt diesen Menschen, das kann schon nicht gesund sein. Wie der vergiftete Apfel, der zusammen mit den Gesunden im Korb liegt und das Leben aussaugt wo er kann. Mir kann das nichts anhaben heute. Es ist eine weitere Prüfung, ich könnte einstimmen in die Unzufriedenheit und hadern, aber WAS sollte es bringen. Wenn diese Vorgehensweise jemals etwas gebracht hätte, wäre die Menschheit nicht so verkommen und neidvoll auf ihre gegenseitigen Nichtigkeiten. Wer sich nicht wehrt, der wird auch nicht gerettet. Sergej ist stinksauer, hat Schmerzen und macht auf mich den Eindruck eines sehr unzufriedenen Menschen, aber das hat er sich vermutlich komplett selbst zu zu schreiben. Das Leben gibt uns immer nur soviel zu tragen, wie wir auch wirklich zu tragen im Stande sind. Das System ist narrensicher, auch wenn es Idioten wie mich gibt, die seine Fehlbarkeit in ihrer ganzen Arroganz des menschlichen Forscherdrangs finden wollen und den Fehler des Systems zu sehen scheinen, der nicht da ist. Der einzige Fehler ist, sich selbst nicht im Konzept zu sehen, zu denken man würde außerhalb des Systems agieren können. Eine Wahnsinnsvorstellung, die schon die schlausten Köpfe an den Rand ihres ach so überlegenen Verstands gebracht haben... Ich sage euch was, scheißt auf das Alles, es ist Weihnachten, seit 11 Tagen habe ich gerade das erste Mal die Sonne gesehen und es ist ein überwältigendes Gefühl, wie der Kuss eines Engels, nur herabgestiegen um meiner gewahr zu werden und mir ein Licht zu sein in der Dunkelheit, der Umnachtung, des Schattens, der sich so lange meiner bemächtigt hatte, wie der Nebel, der die Tage über dem Land lag und alles in den Dunst legte. Die Rückkehr Gandalfs kommt mir in den Sinn, als am Horizont das weiße Licht des Stabes die beinahe siegreichen Horden des dunklen Herrschers zu Staub zermalmt und über die Ebene ein Schwall von Licht und guter Energie den Sieg für unsere Helden bringt, vorerst. Es ist bloß die Schlacht um Helms Klam, doch ein Sieg ist immer ein guter Grund, den Krieg nicht verloren zu geben. Und so werde auch ich keinen Krieg verloren geben, dessen Sieg ich in einer atomischen Chance irgendwo wahr zu nehmen vermag. STAY STRONG – ABER STAY!
Ein Wort wie Aufgabe hat mir noch nie gelegen, wie konnte ich mich damit nur so sehr identifizieren? Ich war, ich muss umnachtet gewesen sein, mir fehlt derzeit sogar das Verständnis für viel von dem, was mein Handeln beeinflusste, wie ein Kriegsgefangener der nach Hause kommt und seine Taten nicht begreift, wie ein Wanderer, der nach jahrelangem Umherirren endlich seinen Weg zurück findet und sich fragt, wie er ihn je verloren haben konnte, wie der brennende Funke, der das Feuer erneut entfacht, als die Glut schon erloschen schien... Wie das Leben, das in den toten Körper zurückfährt, ja genau, wie die verdammte Wiedergeburt einer mythischen Sagengestalt, der Scheintote, dessen bereits festgestellter Tod bloß ein Irrtum war, bereits vergraben und verscharrt mit den Händen durch Erdhügel grabend um wieder ans Licht des Tages zu kommen, es nur einmal noch sehen zu können als größtes Ereignis, welches der Kosmos zu bieten hat. Verflucht, das klingt als wäre ich komplett high! Dabei fühle ich mich so klar und „normal“... Verrückte Weihnachten hier im Krankenhaus, vielleicht hatten Lando und Charistian ja doch recht, dass die merkwürdigen Gashahnattrapen an der Wand wirklich so etwas wie ein Beruhigungsgift durch den Raum leiten, damit die Leute schlafen... und weil heute Weihnachten ist gibt es irgendwas für die Junkies. Und in der Station tanzt der Hexensabbat um den Tannenbaum und singt mit krächzender Stimme: „Merry Christmas, I don`t wanna fight tonight!“ Joey Ramone sei dank für dieses Stück Musik, mein absolutes Lieblingsweihnachtslied. Auch wenn ich heute irgendwie gar keine Weihnachtsmusik ertrage und lieber das Sunshine Live Programm der Mix-Mission laufen habe, weil es so schön sphärisch und neutral ist, die Botschaft wenigstens einmal im Jahr keinen Streit vom Zaun zu brechen und alles cool sein zu lassen hat etwas sehr sehr tröstliches, auch für den Grinch in mir...
Welch beklemmender Moment gerade, als das verdammte Webradio nicht mehr lief. Ich bin nicht sicher, was hier heute noch passiert, aber ich hoffe einfach mal, dass Sergej keine russische Polkaparty angeleiert hat und ich mich am Ende des Tages noch mit den Auswüchsen fremder Kulturen auslassen muss, nichts gegen den Kalifen, denn der war ja ultra gechillt aber einer von den grießgrämigen Stinkstiefeln in meinem heiligen Abend reicht mir echt ohne Gnaden!
Und genau aus diesem Grund musste ich mich einfach erdreisten zur von mir in Kindertagen so erinnerten Bescherungszeit ein wenig Rabatz zu machen. DEEP PURPLE – CHILD IN TIME
Das ist der Hit für mich in genau diesem Moment, es ist die Hoffnung auf Wacken, darauf dass alles wieder metallisch wird und die Qualen ein Ende nehmen, die ganze Power soll herauskommen und das tut sie gerade, ich kann mich kaum bremsen lauthals mit zu schreien...
Es wurde dann am Ende ein doch recht besinnlicher Abend, bei einer Runde Scrabble und sehr viel schlechter Luft, dem Gefühl, dass man irgendwie auf Droge sei und viel Schokolade und hemmungslosem Schlemmen. Leider wurde irgendwann der Hals etwas schwer, Eliza ist böse gewesen und hat deshalb Weihnachtsdienst. Aber ich fange langsam an sie ins Herz zu schließen, toll war auch, dass man uns als Familie irgendwie in Ruhe gelassen hat und wir ein richtig schön harmonisches Fest verleben konnten. Am Abend kam noch Schwester Amira herein und ich weiß nicht, bisher hatte ich die ja auch als eher bürstig und etwas distanziert erlebt aber in diesem Moment, wie sie da so hereingeschwebt kam, engelsgleich, da hätte man sich auch direkt in sie herein verlieben können. Sie ist einfach toll irgendwie, wie ein Traum aus 1000 und einer Nacht. Und hinter der harten Schale scheint eine weiche Amazone zu schlummern, die auch einfach nur mal in den Arm genommen werden möchte.

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