12/15/2012

Fünfzehn

Die Morgencrew aus dem Triumphirat der Schwestern flog umher und ich sollte die Protagonistinnen der nächsten Tage und Wochen in meiner Geschichte kennenlernen. Vermutlich waren es mehr, aber Drei von ihnen blieben direkt in Erinnerung, Eliza, Paige und Amira (die Namen wurden geändert). Drei Krankenschwestern für ein Halleluja. Und alle auf ihre Weise einzigartig. Wie Harpyien im Blutrausch strömten sie in die Zimmer, stellten sich vor, nahmen Blut und andere Proben und versuchten in möglichst kurzer Zeit möglichst alle Aufgaben zu erfüllen, die ihnen der Klinikmorgen vorschrieb. Ich weiß nicht, ob man mir schon wieder so starke Medikamente verabreichte, denn irgendwie fand ich die Mädels zwar interessant, aber es regte sich nicht im Geringsten etwas an meiner Libido, vielleicht war ich auch noch zu sehr geschädigt und von Unsicherheit meiner eigenen Zukunft verwirrt.
Herr E. jedenfalls versuchte direkt sein Glück und holte sich die Sicherheitskelle von Eliza, der Dominatrix mit Herz. Ich hätte aber ehrlich auch keine Lust mich von einem 75 Jährigen Knacker "Schätzchen" nennen zu lassen und die Reaktion ihm direkt mal ne schmerzhafte Spritze zu setzen war schon ein Statement, mit dem sie sich Respekt verschafft hätte. Ich bin mir nicht sicher, ob das wirklich geschehen ist, vermutlich nicht und es ist bloß Auswuchs meiner Phantasie, die sich genau so eine Situation gewünscht hätte, vielleicht zur persönlichen Unterhaltung oder einfach nur um nicht darüber nachdenken zu müssen, wie weit ich mich selbst an den Abgrund gebracht hatte, dieses Mal.
Das Hightlight des Tages war eindeutig das Frühstück, bei dem man mir schon Wackelpudding auftischte, eigentlich hätte ich ahnen können, dass das bloß der Prolog zu einer weiteren Runde Unsicherheiten und Nachdenklichkeiten sein würde. Zuckermessungen, Blutabnahmen, das ständige Meckern darüber, dass ich mit kurzen Haaren vielleicht besser aussehen würde, ließen mich auch endlich diese Entscheidung als Schritt nach vorne in ein neues Leben planen. Die Angst davor, war mit Katheter im Hals entsprechend groß, aber wenn man in der Klinik eine Friseurin hat, dann wird die sich ja mit sowas auskennen, also nahm ich mir vor, die Haare am nächsten Tag mit einer weiteren Portion Vergangenheit der Ewigkeit zu übereignen. Interessanterweise löste der Gedanke allein zum Frisör zu gehen gar keine Angst aus, das mit den Ängsten war sowieso komisch, die Spritzen, das Martern, die Qualen, das alles empfand ich halb so schlimm, entweder ich war endlich erwachsen oder irgendwas in meinem Gehirn machte mir klar, dass es notwendig sei, das jetzt einfach über sich ergehen zu lassen und Jammern hätte ja doch keinen Sinn, jedenfalls keinen Zielführenden.
Immer wieder an diesem Tag sah ich Weißkittel, die sich aber vor allem mit meinen Zimmernachbarn beschäftigten, ich fühlte mich doch sehr auf dem Abstellgleis, als wäre ich zerschellt und niemand interessiert sich für die Scherben meiner Seele, die überall herumlagen und eigentlich auch für alle offen sichtbar. Bis auf Manni, den Herrn D., der fragte sogar ab und an mal nach, wie es mir geht, ein echter Gentleman, alte Schule, toller Kerl. Jede freie Minute nutzte er, um in eines der anderen unteren Stockwerke zu fahren und dort spazieren zu gehen, vermutlich, weil er das Eingesperrtsein auf Station genauso frustrierend empfand, wie ich. Er war mir eine recht große Stütze, obwohl er gar nicht wirklich viel tat, aber es war als würde es ihm nicht egal sein. Wie so eine Art Mentor aus Verantwortung oder so. Vor allem an diesem Tag war ich ihm so dankbar, denn irgendwie schien sich mein Aufenthalt zuspitzen zu sollen, Gerede von einer OP und vorwurfsvolles Gerede wurden laut. Meine Eltern waren mit der Situation längst gnadenlos überfordert und hatten die letzten Enden ihrer inneren Ruhe verloren, rasteten aus, waren keine Hilfe mehr in diesem Zustand, es würde mir ganz alleine obliegen, diesen Karren aus dem Dreck zu ziehen. Ich bin nicht sicher, ob ich dazu in der Lage bin, ich bin derzeit überhaupt mit gar nichts sicher, das ist das Münster-Trauma, ich verliere hier einfach die Contenance.
Als ob, die Contenance habe ich bereits vor Jahren verloren, nur das hat mich am Ende hier her gebracht, ich war außer Kontrolle, das Karussell war zu schnell und ich habe keinen Absprung gefunden, jetzt ist die Achse gebrochen und ich kann immer noch nicht raus, oder vielleicht doch? Schlafen kann ich wenigstens mal. Zwar sind die Betten hier mega ungemütlich aber ist ja kein Kuraufenthalt. Im Schlaf muss ich mich nicht mit den dringenden Fragen der Gegenwart befassen, ich bin immer noch auf dem verdammten Karussell und es fliegt. Wie wird das alles enden, habe ich eigentlich auch so etwas wie Freunde, die sich mal sorgen,wo ich eigentlich stecke, nachdem ich mittlerweile den 3. Tag in Folge keinerlei Lebenszeichen von mir gegeben habe. Einen Freund habe ich jedenfalls endgültig abgeschrieben, die größte Niederlage meines Lebens, aber erst in diesen Tagen der absoluten Verzweiflung wird deutlich, auf wen man zählen kann. Mir war bewusst, dass es nicht viele sein werden, die es erfahren, noch weniger, die es überhaupt interessiert und eigentlich niemand, der helfen kann oder will.
Es ist schon fast tragisch, dass ich so dumm war und mir tatsächlich eingebildet hatte, dass sie sich ändern würde, diese verdammte unerschütterliche Hoffnung, alles könne gut werden, ohne dass man eingreift, auch dieser Trugschluss hat mich hier her gebracht, es reicht nicht, sich einzureden, dass man etwas verändert, es reicht nicht, wenn man so tut als wäre wieder alles gut und das Glück würde schon wieder herkommen, wenn man nur lange genug mit dem Speck vor seinem Gesicht herumwedelt, aber ansonsten in stillem abwartenden Nichtstun verharrt. Und genau das war es, was sie immer getan hatte, verharrt in der Erwartung, dass ich es schon auf die Reihe bekomme, nicht einmal als ich ihre Hilfe erflehte nahm sie mich ernst genug, um einen Teil von sich zu opfern. Es gab immer dieses Gefälle zwischen uns, ich war immer der jenige der mehr gegeben hat, als er durfte, um sich nicht selbst aufzugeben. Ich flog und lud mir ihr Gewicht auf, IMMER, doch nie habe ich bemerkt, dass es niemals anders herum war. Die Enttäuschung über diese Erkenntnis ist nicht mehr so groß, da ich den Schlag schon vor Monaten ertrug und trotz der Chance, die ich ihr gab, glaubte ich doch nie, dass sie es wirklich vermochte sie wahrzunehmen. Vielleicht konnte sie es einfach nie und ich habe ihr das aufgebürdet, doch gräm dich nicht Prinzessin, ich vergebe dir, dass dir die Kraft fehlt, die Freundin zu sein, die ich immer in dir sehen wollte, weil ich dich immer nur geliebt habe und auch nie der Freund sein konnte, der ich sein wollte und den du eigentlich gebraucht hättest. Die größte persönliche Niederlage, solange habe ich sie als Ausrede genommen, mich gehen zu lassen und den Wert von Freundschaften und Kontakten in Selbstaufopferung zu messen und darin, wie viele Tränen das Fass bis zum Überlaufen braucht, bevor es sich über den Rand ergießt. Es war unfair, es dir auf zu bürgen, aber genauso war es wohl Teil der Depression, dich nie losgelassen zu haben, das ist vielleicht das Einzige an der Geschichte, was MIR leid tun könnte, fast den ganzen dreckigen Rest unserer sogenannten Freundschaft hast du auf dem Gewissen, irgendwann wirst du wissen, warum und ich werde es dir irgendwann genau so verziehen haben, wie ich dir alles verzeihe. Doch bitte lass mich nun in Ruhe und halte kein Trugbild aufrecht, dessen du dir nicht einmal sicher bist, dass du es je sehen wolltest. Bye bye Baby!

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