12/16/2012

Sechzehn

Der blaue Herr E. muss uns heute verlassen, was für ein Verlust. Nicht wirklich, aber ich hatte mich daran gewöhnt, wie verwirrt er sich immer ausdrückte und ständig in der Zeitung irgendwelche Schalke-Artikel suchte und dann darüber schwadronierte, seine Schwerhörigkeit war extrem anstrengend aber auch praktisch, da man so des Nachts wenigstens nicht allzu leise sein musste, aber eigentlich war er schon ein echt netter Kerl, wir (Manni und meine Wenigkeit) werden ihn sicher vermissen, wieder eine Unterhaltungsquelle weniger, die den tristen Alltag erträglich macht. Neben einigen sinnlosen Untersuchungen unter anderem der eines Ultraschalls der Schilddrüse war am heutigen Tag nicht wirklich viel los gewesen und so nutzte ich die Chance meine Haarpracht den Gegebenheiten anzupassen und sie kürzen zu lassen. Dabei lernte ich die interessante Friseurin aus dem vierten Stock kennen, deren Musikgeschmack ich als gelinde fragwürdig beschreiben mag. Einerseits auf Rammstein abfahren, aber dennoch von einem Silbermond Konzert schwärmen, von dem sie noch nicht einmal wirklich begeistert war. Lustigerweise habe ich dieser Frau die Rockstar Geschichte erzählt, quasi die Geschichte einer meiner Persönlichkeiten (als Mischung aus Chesney Little und dem nur kurz aufgetretenen James Jeans) und nicht meine eigene, aber ich denke das ist völlig in Ordnung, immerhin ist ja auch ein großer Teil davon wahr, dass ich einst Bandleader war und die Geschichte von Aufstieg und Fall, Drogen und Exzessen sind ja auch eine Seite der Wahrheit, die mich schlussendlich hier her gebracht haben. Wie gut das Reden doch tut, auch wenn vieles eine etwas andere Darstellung der Realität durchmachte, irgendwie ist mir die reine Wahrheit in einer solchen Situation dann doch zu schäbig und vor allem wollte ich nicht mittags um 12 heulend zusammenbrechen beim Frisör, es sollte ja nach vorne gehen, ich habe einfach die künstlerische Freiheit genutzt und aus einer deprimierenden Story eine krass interessante gemacht.
Diese indische Prinzessin, Wahnsinn, die ist doch tatsächlich eine Ärztin der Nephrologie hier, ich dachte eigentlich wirklich, dass sie nur zur verrückt bizarren Zwischenwelt gehörte, die ich auf meinem Dead-Walk in der Notaufnahme zu meiner Beruhigung erschaffen hatte, aufrecht gehalten durch den Daueradrenalinschub, aber nein sie machte auch die Schilddrüsenuntersuchung, vom Fleck weg hätte ich sie genommen, aber stattdessen habe ich sie bloß angeschmachtet und ich befürchte fast, dass sie das sogar mitbekam...
Aber egal, ich bin krank! Und sie ist meine Ärztin, klar habe ich mir auch eingebildet, dass irgendwas von ihr zurückkam, aber vermutlich war es nur eine Mischung aus Mitleid und Unverständnis, wie ich mit dem, was ich mir angetan hab noch so happy sein konnte und einfach alles irgendwie leicht zu nehmen schien. Ob sie mir wohl geglaubt hätte, wenn ich ihr die Wahrheit gesagt hätte, dass es sich dabei bloß um eine besonders ausgeklügelte Form des Überlebensinstinkts mit Selbstbetrug handelte? Vermutlich nicht! Ich glaube, dass sie wirklich nicht genau wusste, wie sie mich einzuschätzen hatte und das sorgte für diese besondere Spannung zwischen uns, die ich als prickelnd und sie vermutlich als irgendwie unangenehm empfand.

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