Das Krankenhaus ist eine Art Heimat
geworden, das jenige in Münster allerdings, in gewisser Weise fühlt
sich die erneute Einlieferung an, als würde man nach langer Zeit
heim kommen. Alles wirkt so bekannt und vertraut und doch ist die
Situation in der Notaufnahme anzukommen und als lebensbedrohlich
eingestuft zu sein eine neue Erfahrung auf die ich auch hätte
verzichten können wenn man mal ganz ehrlich ist. Seit knapp 15
Stunden meckert man mich jedes Mal an, wenn ich wieder aufstehen
will. Es ist so, dass man mich wohl lieber im Liegen haben will, wer
weiß schon, welchen Sinn DAS macht, vermutlich irgendwas mit der
Versicherung.
Bünde, Westfalen
Was war denn eigentlich passiert? Nun
ja, ich habe im Laufe der letzten Nacht entschieden, dass es so wie
bisher nicht weitergehen konnte.... so gebrechlich und komplett neben
der Spur, wie ich schon wieder seit knapp einer Woche bin. Also
dachte ich, es wäre doch schlau, sich mal beim Hausarzt sehen zu
lassen. Nun ja, wenn man mal ganz ehrlich ist, dann war das schon
recht gewagt, denn ich war mir nicht sicher, ob ich diesen Weg
überleben würde, im wahrsten Sinne des Wortes. Das Atmen fiel so
schwer, dass mein Herz darauf reagierte und pumpte, wie ein
Speedmetaldrummer auf Koks. Nachdem der Herr Doktor mich etwas
beruhigte und mich direkt an die Klinik überwies, war mir schon
recht klar, dass es ernst war, sehr ernst. Also ging es direkt zur
Notaufnahme des Bünder Lukas Krankenhauses, wo man mich dann erstmal
mit akuten Lungen und Herzproblemen eine satte Stunde ins Wartezimmer
setzte, ins vollbesetzte, was in Anbetracht der Angst vor Enge und
Menschen ebenfalls eine ernste Situation heraufbeschwor und sich im
Anschluss bei der Untersuchung als Hauptursache eines extrem hohen
Blutdrucks zeigen sollte. Tachikard war ich ja noch dazu und Luft
bekam ich schon nicht, da babbelt mich der behandelnde Arzt auch noch
zu, dass er meinen Bruder kennt und ihn für mich hält und solche
Späße... ich weiß ehrlich nicht, ob ich so etwas wirklich witzig
finde, während mein Lebenslicht bedroht ist auszugehen. Eine
deutlich übergewichtige Ärztin gafft mich an, plappert mit einer
merkwürdig erregten Stimme auf mich ein und redet immer wieder von
einer Darmuntersuchung, bis sie mir voller Wollust ihren Finger in
den Po schieben darf und feststellen muss, dass ich ja doch nicht aus
dem Hintern blute, wie ich es gesagt hatte bei der Anamnese, aber die
alte House-Regel, dass jeder Mensch lügt scheint in Ärztekreisen
wirklich kein Mythos zu sein und deutlich wichtiger als man denkt. Denn eigentlich überprüfen diese Kasper alles, was man so sagt
doppelt nach, warum auch dem Patienten glauben, der hat den Scheiss
schließlich nicht studiert und ist nicht der Experte. Während ich
da so lag und entkleidet wurde, den Sinn dahinter habe ich immer noch
nicht begriffen wurde mir wieder klar, dass unsere Helden in Weiß
manchmal doch deutlich von sich überzeugter sind, als es ihnen gut
tut, aber dafür retten sie Leben, ich befürchte da bleibt eine
gewisse Überheblichkeit gar nicht aus.
Münster
Ankunft so gegen 14:30 im RTW und das
Ganze nach einer Fahrt durch die erste größere Schneehölle des
Jahres, auf der Fahrt war ich die meiste Zeit einfach nur ängstlich
ob des jungen Notarztes neben mir, der sich vor seiner Kollegin
peinlicherweise mit einem Samsung Galaxy S3 zu profilieren versuchte... Wäre ich
nicht mit dem Versuch des Überlebenskampfes beschäftigt gewesen,
hätte ich mich vermutlich mit irgendeinem blöden Spruch unbeliebt
gemacht. Stattdessen versuchte ich vor allem nicht an Worte wie
Autounfall, Statistiken zum Thema Verkehrstote, Erfrieren,
Herzversagen und anderes zu denken... und irgendwie meine verdammte
Atmung in den Griff zu bekommen. Nebenbei fragte dieser junge Notarzt
immer wieder irgendwelche Dinge über Blut im Stuhl und andere
bizarre Dinge, die zu beantworten mir ob der akuten Atemnot extrem
schwer fielen und das obwohl ich schon Sauerstoff zugeführt bekam.
Alles in allem kam mir die Stunde Fahrt vor wie im Flug und
vielleicht war es sogar besser, dass ich kaum etwas von dem Wetter
sehen konnte, welches dort auf der anderen Seite der dreckigen
Scheiben des Krankenwagens wütete.
Das Umladen meiner Person aus dem Wagen
zurück auf eine Krankenhaustrage war einer dieser magischen Momente.
Wer den Film „
Bringing out the dead“ kennt und das Team mit Nic
Cage und Tom Sizemore auch so verehrt, hätte seinen Spaß gehabt,
denn genau daran erinnerte mich das als der junge Notarzt und der
etwas ältere sich aufregten mich samt Lastkarre über die
zugefrorene Liegend-Notaufnahme ins Gebäude zu schieben und das dann
auch noch in Höchstgeschwindigkeit, weil man ja schon direkt die
nächste Tour gebucht hatte. Und als ob das noch nicht schwierig
genug gewesen wäre, schafften es die beiden auch noch jeden
Notaufnahmisten anzupöbeln, wo sie denn eigentlich mit mir hin
sollten.
Also im Fernsehen und aus
Ärzteperspektive wirken diese NAs ja schon immer recht wuselig, aber
das war die absolute Krönung, wirklich hektisch und spannend
bestimmt, wenn man nicht gerade Patient in Lebensgefahr ist, wie man
mir mehrfach eingetrichtert hat, ich denke vor allem um zu
verhindern, dass ich da in meiner Panik wild durch die Gegend laufe,
vielleicht hätte ich das auch gar nicht gekonnt, nur angefühlt hat
es sich, als hätte ich, wahrscheinlich eine Folge des Adrenalins in
Todesnähe. Nachdem ich so fast eine halbe Stunde zwischen Feierabend
machenden Mitarbeitern der NA rumstand wurden mir zwischendurch
immer wieder neue Ankündigungen gemacht, Dialyse, Blutkonserven,
Zugang legen. bla bla, kritischer Zustand, Wortfetzen, immer wieder
unterbrochen vom aus Arztserien bekannten Geräusch des Defibrilators
aus dem Hintergrund. Das Ganze war schon höchst bizarr, ich weiß
nicht einmal wie viele Ärzte und Krankenschwestern sich mir in
kürzester Zeit vorgestellt haben und von meinem Unterbewusstsein
wieder gelöscht wurden. Eigentlich kann ich mir Namen recht gut
merken, aber vermutlich war das Stabilhalten meines Denkapparats
fürs Gehirn zur Zeit wichtiger als flüchtige Bekanntschaften zu
fetischistisch angehauchten jungen Frauen, die Namen der Kerle hätte
ich mir eh nicht gemerkt. Ja ich weiß, den Schowi-Scheiss könnt ich
auch weglassen, macht aber Spaß der Arsch zu sein.
Meine erste
richtige Dialyse stand an, das war beängstigend, aber andererseits
konnte ich jetzt endlich nachempfinden, was Lestat ständig
durchmacht... 3mal die Woche, sehr heftig, denn mit meiner Nadelpanik
bin ich hier doch deutlich fehl am Platz. Im Vergleich zu früher ist das hier zwar nicht mehr ganz die
Topmodelklinik aber Charme und ein durchaus überzeugendes Aussehen
können noch viele vorweisen und dazu haben einige einfach dieses
gewisse Etwas, das den Aufenthalt trotz ernstester Lage beinahe zu
einem Urlaub werden lassen könnte. Mit der Kompetenz der Angestellten bin
ich jedenfalls sehr zufrieden, wäre ich der Kliniktycoon gäbe es
erst einmal nichts zu beanstanden. Diejenige die mir den Hals zum
Zugang für die Dialyse bereit gemacht hat, hätte ich in einer
anderen Situation direkt angegraben und mir eine Abfuhr epischen
Ausmaßes abgeholt und im Anschluss behauptet, dass es sich gelohnt
hätte. Aber stattdessen fragte ich kleinlaut nach einer Urinflasche
und Beruhigungsmittel und ließ die Zugangslegung beruhigt wie eine
Hindu-Kuh über mich ergehen. Und von diesem Zeitpunkt an
verschwimmen auch die Erinnerungen, denn genau kann man, also ich
nicht mehr nachvollziehen was dann geschah.
Irgendwie lag ich lange
Zeit auf der Trage und erfuhr nichts, weder über meinen Zustand,
noch über das wichtigere Ereignis des Tages, die Beerdigung der
Fankultur in deutschen Stadien durch die verfluchte DFL. Und ich
hatte jetzt fast eine Woche nicht geschlafen, mit dem Vieh im Hals
sah ich da auch keine Hoffnung, an die erste Dialyse kann ich mich
auch gar nicht erinnern, obwohl es ja erst ein paar Stunden her ist
und ich eigentlich nicht geschlafen habe, jedenfalls nicht, dass ich
wüsste...Mal sehen wie es weitergeht, seit knapp 2 Stunden bin ich
allein und trotz der objektiven Hektik, wie sie von außen wirkt,
beruhigte mich die ganze Situation doch sehr und ich fühle mich
erstmals wirklich gechillt, seit fast 2 Jahren, unfasslich, wie man
im Todeskampf unter der größtmöglichen Anspannung für den Körper
innerliche Ruhe erreichen kann.