12/28/2012

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In den frühen Morgenstunden war ich extra pünktlich aufgestanden, um mich wenigstens bei Nayla persönlich verabschieden zu können, diese persönliche Verabschiedung wurde einer der tiefsten Momente des Jahres 2012 für mich, während sie schon im Begriff war, die Station in Richtung Heimat zu verlassen, trat ich aus meinem Zimmer, die Blicke trafen sich und wir hoben beide in einem Moment grenzenloser Zweisamkeit den Grußarm in die Luft, lächelten und wortlos, schlicht, anmutig, ihrer würdig trennten sich still unsere Wege. Was für ein charismatischer Mensch. Dann geschah erst einmal nicht mehr viel, ich gab mich einer ausführlichen Morgenpflege hin und genoss grinsend die Ereignisse, die kommen sollten, der meckernde Sergej konnte mich nicht aus der Fassung bringen, auch nicht seine lustigen Geschichten, dass man in Bielefeld mit 16 Leuten in einem Raum liegt und das auf Holzbrettern und das Mittagessen wird vom Müll gesammelt und wenn man aus dem Fenster blickt sieht man die Straßenhunde und hungernde Katzen. Als würde ich in ein Kriegsgebiet verlegt, ich fand die Vorstellung höchstgradig witzig, meiner Stimmung konnte das keinerlei Abbruch bescheren, ich hatte gestern mal die Zustände von manisch-depressiv sein in der Psychosomatik angesprochen und vielleicht habe ich zwar die letzten Wochen nicht wirklich bemerkt, dass dieser Teil der psychischen Störung allgegenwärtig ist, vielleicht unterdrückt durch Medikamente, vielleicht auch durch die ständige Notwendigkeit einer rationalen Entscheidungsfähigkeit vom Gehirn weggeschaltet, war es schon ein Hochgefühl, neben dem Rolli herzulaufen und eigenständig aus dem Krankentransportwagen in die Psychosomatik zu gehen, dort dann wieder die Chance zu haben mit jemandem zu reden und die eigenen Versuche es in den Griff zu kriegen als gut gelobt zu bekommen. Einerseits ist das natürlich eine schöne Bestätigung andererseits führt es wieder zu der Problematik meiner Selbstüberschätzung und der ganzen damit zusammenhängenden Dinge, wie dem Kontrollwahn, dem Gefühl, eine Ahnung zu haben, wo man eigentlich keine hat, einfach dieses Hochgefühl, besonders zu sein. Immerhin werde ich gleich entlassen, noch weit vor dem ursprünglichen Zeitplan der Ärzte, jedoch gefühlt genau so, wie ich das vorhergesagt hatte. Warum passiert das immer wieder? Meiner Demut hilft so etwas sicherlich nicht, auch bescheidener werde ich dadurch sicher nicht werden. Ich mache mir grad wirklich ein paar Gedanken, ob es schon die richtige Entscheidung ist, zu gehen, ob ich in Münster nicht vielleicht doch noch etwas Aufenthalt genossen hätte, ich werde die Schwestern und die Stationsbelegschaft schon deutlich vermissen, sogar Santos den kleinen brasilianischen Glatzkopf, der mit seinem Putzwagen den ganzen Tag über die Station schleicht. Und ich werde auch den leicht überhektischen Stationsarzt L. vermissen, der es dann am Ende doch nicht mehr schaffte noch eine kleine Abschiedsvisite einzurichten. Außerdem schaffte man es ja auch nicht, den Abtransport geordnet von statten gehen zu lassen, keine große Abschiedsparty, kein großer Zapfenstreich oder so etwas, mehr der Weg durch die Hintertür... Eine Verlegung nach Bielefeld, irgendwie klingt das doch nach einem großen Abenteuer. Vor allem, wenn einem bewusst wird, dass man mit Preußen Münster Hools unterwegs ist, die ihre Krankenfahrt mit mir als Lieferung wohl eher als Eroberungsfeldzug empfanden. Der Fahrer lästerte die gesamte Fahrt über die „Scheiss-Ostwestfalen“ und deren versaute Genmasse, während der Beifahrer die ganze Zeit irgendwelche Radiosongs mitsang und sich dabei extrem cool fühlte mit seiner Hipster Brille und der schnittigen Kurzhaarfrisur und den zwischenzeitlichen scheinbar für ihn witzigen Anekdoten über Ortsnamen, die er als Bielefelder Außenbezirke identifizierte, weil sie ja so abgefuckt seien. Die ganze Fahrt über lachten die beiden und verhielten sich, als wäre sie auf Drogen und der Beifahrer hatte auch noch diese leicht irre Lache und ich fragte mich ernsthaft, warum die nicht über die Autobahn gefahren sind. Am Ende war es egal, denn trotz allem waren sie recht nett, wenn auch wirklich anstrengend, aber bestimmt empfände man mich auch als anstrengend, wenn man mich engagiert hätte, ins Feindesland zu fahren, um dort ein Päckchen abzuliefern. Na ja, witzig war dann als wir in Bielefeld vor der Klinik parkten mal direkt vorm Haus und im Weg von allem. Richtig rüpelhaft rumpelten die beiden dann zur Information und die Sekretärin schien zu denken, dass ich deren Betreuer bin und nicht umgekehrt. Sie waren so nett mich noch im Wartezimmer abzusetzen und machten sich dann wieder auf ihre Heimreise, richtige Spacken, der Verdacht drängte sich mir kurz auf, dass die Welt vielleicht doch untergegangen war, als ich im Krankenhaus gelegen habe und bloß nichts davon mitbekommen habe, die Welt jetzt nur noch von den Chaoten bevölkert wurde. Dieser Verdacht drängte sich ja bereits auf, als mich der komische blaue Krankentransporter morgens darauf hinwies, dass ich noch Knusperreste im Bart habe, mit der Erwähnung, dass er mich trotz meiner Farben nett fände. Irgendwie ist dieses fixiert sein auf Fußball bei diesen Krankenfahrern und Transportertypen extrem ausgeprägt, also zumindest sprechen die „Stichproben“, die ich in den letzten Wochen des Öfteren nehmen durfte eine deutliche Sprache in diese Richtung. Für eine statistische Ungenauigkeit ist das ganze dann einfach nicht repräsentativ genug. Aber egal...


Bielefeld
Die Anmeldung hier ist schon deutlich ostwestfälischer als alles, was ich die letzten beiden Wochen so durchchillt habe. Wie auf dem Amt zieht man eine Nummer und wird dann aufgerufen und als würde man ein Reisebüro betreten bekommt man plötzlich alle möglichen Werbebroschüren zur Klinik und dann werden noch die Finanzen abgeklärt: „Herr Tickman, ich rufe mal gerade jemanden an, der sie auf ihr Zimmer geleitet“... Wow, dachte ich... ohne dass ich danach frage, außerdem ist das alles so sauber hier, scheint als wäre ich auf eine bessere Weide umgezogen. Eine gefühlte Ewigkeit später kam dann auch der junge entnervte Zivi und nahm mir mein Täschchen ab und begleitete mich zum Fahrstuhl, mit dem es dann eine Station hoch ging auf einen heruntergekommen engen Flur. Der in einem Labyrinthsystem angelegt, wie ein Bunker ausgelegte Komplex schien nicht mehr der neueste zu sein und dennoch glänzte der gebonerte Boden, alles machte einen recht gepflegten Eindruck, auch wenn man der Klinik ihr Alter deutlich ansah. Aber wir wollen hier mal niemanden vorverurteilen, innerhalb kürzester Zeit sprachen mich bereits zwei sehr chicke junge Damen an und erkundigten sich, ob sie etwas für mich tun könnten, die erste zeigte mir den Aufenthaltsraum auf der Station, wo ich noch ein wenig warten sollte, weil mein Zimmer noch nicht komplett geräumt war. Die zweite bat mir direkt etwas zu trinken an und fragte mich nach der Sorte Mineralwasser, die ich trinken wollte, der erste Schock, es gibt verschiedene? Wahnsinn. Ich entschied mich für die Medium Variante und bekam dann eine gekühlte Flasche zum Selbsteinschenken und vertiefte mich ein wenig in die Broschüre der Klinik und die detaillierte Frühstücks und Abend-Speisekarte, auch diese war fast schon als dekadent zu bezeichnen, die Auswahlmöglichkeiten und Kombinationen waren im ersten Moment kaum fassbar. Während ich so da saß, kam dann auch der Stationsarzt vorbei und holte sich ein paar ihm fehlende Informationen, es handelte sich dabei um den Assistenzarzt Achmed, der sich tatsächlich einfach nur mit den Worten: „Hi, ich bin Achmed, der Arzt!“, vorstellte und dann grinste. Ich dachte schon an ein Deja Vu wegen meines lybischen Freundes in Münster, aber das Deutsch von Achmed war deutlich flüssiger und auch für mich komplett verständlich. Das einzige was mich beschlich war die Gefahr, dass der Herr sehr strebsam sein würde und viele unnötige Dinge in wildem Aktionismus anleiern wird. Mal sehen, wenn der Oberarzt ein vernünftiger Typ ist, wird der den sicher im Zaum halten können und wenn man vernünftig mit Leuten spricht, sind sie ja auch meist für Argumente zugänglich, ich werde mal versuchen so offen wie möglich die Situationen, die da kommen zu meistern, alles so weiter machen wie bisher, hinterfragen, was nötig ist und es dann durchziehen. Solange die Informationen frei zugänglich bleiben und ich involviert bleibe und mir nicht bevormundet vorkomme bin ich der brave Patient Alex und niemand wird ein Problem mit mir haben. Eine Blutentnahme wurde mir bereits angekündigt, die Einzige, ich lasse mich am besten gar nicht auf solche Lügen ein und stelle mich mal auf tägliche Entnahmen ein, neue Klinik, neue Tests, da muss man sich ja keiner Illusion hingeben, um dann später nur wieder enttäuscht zu werden. Aber lassen wir ihnen mal ihre Chance. Die Chance mir zu helfen, was ein erhabener Genuss für jeden Menschen muss das sein, dem Tickman zu dienen. Bleiben wir mal cool und genießen die Show.

12/27/2012

27

 Der Morgen stirbt nie“, war einst der deutsche Titel eines James Bond Films, den ich noch in die Kategorie anschaubar einsortieren würde auch wenn der Soundtrack und die Story doch eher von einer nicht hochqualitativen Natur waren. Aber hier ist es ungefähr genauso. Morgens passiert hier im Grunde alles, doch heute war kein besonderer Tag. Es ist Morgen und die netten Schwestern wecken das Patientenvolk, eigentlich ist alles wie immer, doch mitten ins anschließende Frühstück platzt doch so eine Knallcharge und will mir Blut abnehmen. Wieso das denn jetzt auf einmal wieder, die haben hier doch alle den Schuss nicht mehr gehört? Ach das habe ich schon so oft gedacht, dass es einfach trotzdem jedes mal einer neuen Überraschung eigentlich gar keine sein müsste. Und doch springe ich wie ein untrainierter Hund jedes mal auf den ersten Ball, den man mir hinhält an und wundere mich. Aber eigentlich ist es mehr so ein... „Oh, welch eine Überraschung, eine Überraschung!“ Also ließ ich es einfach über mich ergehen, vielleicht ist es ja ein gutes Omen. Tatsächlich war es das wirklich, denn kurz darauf kam Doktor L. Und in diesem Fall steht das L nicht für LOVE, oh Gott, habe ich das wirklich gerade geschrieben, hart. Müssen die Glücksgefühle sein, die seine Botschaft in mir auslösten. Denn laut seiner Aussagen würde ich noch morgen nach Bielefeld verlegt, wenn man mich dort in die Trainingseinheit zur CAPD bekäme, darum wollte er sich kümmern und es dann in die Wege leiten. Ich war erstaunt, dass er diese Aktion innerhalb kürzester Zeit, oder auch während ich einmal mehr mein Leben rezitieren konnte in der Psychosomatik, was ich scheinbar schon einmal gemacht haben soll, daran allerdings so gut wie keine Erinnerung habe. Ergebnisse dieses Gesprächs sind wohl vor allem die Bestätigung dessen, was mir schon bewusst war, dass ich nämlich einer Persönlichkeitsstörung unterliege, genaues wollte man mir noch nicht bestätigen, ich bin eigentlich sehr zufrieden mit der Herangehensweise an die Geschichte, direkt morgen bevor ich hier die Zelte abbreche, werde ich erneut dort auflaufen und nochmal eine Runde quatschen können. Ist schon witzig, wie sich alles entwickelt, wenn man einfach anfängt einen Weg zu gehen, wie sich dann die einzelnen Teile des Weges vor einem offenbaren, wie in einem dieser Echtzeitstrategiespiele, in denen sich der „Nebel des Krieges“ legt, wenn man mit Einheiten eines ausreichenden Sichtradius in unbekanntes Gebiet zieht. Na ja jedenfalls war das Gespräch mit der Psychiaterin höchstgradig erquickend und als ich zurück kam aus der Psychosomatik, gab es direkt einen dicken Nachschlag, nicht nur, dass schon fast wieder Essenszeit war, Doc L. Teilte mir auch mit, dass es sich wohl tatsächlich verwirklichen ließe mich noch morgen zu verlegen, dann nach Bielefeld, ein wenig näher an die Heimat und das klingt dann doch schon deutlich beruhigender, immer in kleinen Schritten zum Endziel 10. Januar. Dann in Bielefeld 2 Wochen absitzen und irgendwie überleben, aber dann geht’s heim und ich habe eine der größten Krisen meines Lebens halbwegs unbeschadet und mit vielen neuen Erfahrungen überstanden und bin hoffentlich daran gewachsen, es fühlt sich zumindest schon einmal so an.

Allerdings musste ich dafür jetzt noch einmal sehr stark sein. Eine zweite Dialyse innerhalb von 24 Stunden stand an und mein Essen würde auch erneut zum Schlingen verkommen, denn es war quasi ein „Do or Die“ Auftrag, den mir der Doc anbot, zugreifen oder Chance verstreichen lassen und noch eine Woche warten mit der Entscheidung. Ob die wohl mein Bett brauchen? Diese Frage wirft sich schon auf, wenn man das Gefühl bekommt, dass man losgeworden werden soll. Mir ist es egal, ich schlage ein und hoffe, dass es nicht zu anstrengend wird, melde mich noch kurz bei der Dread-Lady, dass sie, wenn sie mich besuchen will, nur noch heute in Münster die Chance hat und schlinge mein Mittagessen in mich herein. Nachdem ich das hinter mir habe und noch etwas Zeit habe lege ich mich kurz aufs Bett und freue mich einfach mal einen Moment, dass es bald vorbei ist. Klar natürlich wird es erstmal noch ein wenig härter, so wie man hier betreut wird ist es in Bielefeld sicher nicht zu machen, vor allem werden mir meine drei Premium-Schwestern fehlen... aber die Heimat rückt näher, irgendwie näher und doch mehr in die Ferne.

Sergej vermisse ich wahrscheinlich überhaupt nicht, denn irgendwie hat er außer Schnarchen und Rummeckern noch nicht viel zu meinem Aufenthalt hier beigetragen, auch wenn er an sich ein ernsthaft guter Typ ist, nur ein wenig spackig halt. Aber vielleicht ist das auch einfach nur der Frust über seinen Krankheitsverlauf. Irgendwie wird mir immer wieder bewusst, dass ich ja schon eine Ausnahmestellung habe, immerhin bin ich nicht hier weil mein Körper plötzlich den Dienst quittiert hat und kaputt gegangen ist, sondern weil ich mich aktiv um diesen Zustand bemüht habe. Wohl auch deswegen nimmt man mich in der Psychosomatik irgendwie ernst, es ist ja überhaupt mal ein recht schönes Gefühl ernst genommen zu werden. Vor allem dann, wenn man selbst so ein wenig auf der Suche nach dem ist, was wirklich hinter der ganzen Scheisse steckt, die man sich so in den letzten Jahren angetan hat. Als dann in der Dialyse das große Verabschieden losging und ich dachte, dass die indische Prinzessin nur noch wartete, dass ich sie umarmen möge, Schwester Fiesbeth mit einer Träne im Auge ein Wiedersehen herbeisehnte, ohne dass es mir schlechter gehen sollte, Schwester Iris in ihrer ganz eigenen leicht trottelig wirkenden Weise den Patienten Alex auf seine Dialyse vorbereitete kam ich mir vor wie in einem der 17 Enden von „Herr der Ringe“ in dem auch der letzte Wurm noch seine eigene Abschiedsszene hat. Glücklicherweise unterbrach die „Dread-Lady“ dieses Schrecktakel mit ihrem Erscheinen und wir hatten einen spaßigen Nachmittag! Wenn jemand es schafft, sich bei einer dieser unsäglichen Nachmittagskochshows so zu amüsieren, dass es wirklich schwer fällt die Fassung zu bewahren, dann ist das schon jemand besonderes. Generell ist die „Dread-Lady“ eine sehr wichtige Person für mich geworden, auch wenn uns eigentlich irgendwo das Leben trennt. Aber irgendwo trennt doch jeden Menschen von seinen Artgenossen das Leben als solches. Nur raufen sie sich trotzdem immer wieder zusammen und ab und zu gibt es dann halt auch mal eine Idealkombination, in der man auf jemanden trifft, der wie der perfekte Gegenpol zu funktionieren scheint und das ist dann immer wieder ein Gefühl großen Glückes für beide Seiten. Und genau so jemand ist Brie– die Dread Lady. Ich weiß nicht, irgendwie war ihre Stimme eine echte Wohltat für meine geschundenen Ohren, neben Sergej und dem immer gleichen Tonarten der Station war es ihre Stimme und die der nubischen Königin, die mein Ohr liebkosten. Hatte ich Karl erwähnt, der beeindruckt wirkte, dass ich jemanden wie Brie an mein Bett holen konnte als Besucherin, irgendwie hatte ich generell den Eindruck, als würden irgendwie alle denken, dass zwischen uns irgendwas laufen würde... hm, vielleicht sollte man das ja auch einfach mal machen, auch wenn es irgendwie gegen jede Wahrscheinlichkeit zu sein scheint, ich bin einfach nur komplett ausgehungert, nicht dass sie nicht echt ein großartiges Exemplar der weiblichen Spezies ist, aber halt einfach nicht mein Typ. Habe ich eigentlich noch so etwas wie einen Typ, nicht dass ich mittlerweile notgeil, die weibliche Form als bespringbar identifiziere und es im Grunde nur noch darum geht, ob SIE Titten hat oder so? Vielmehr habe ich mich weiterentwickelt und sehe größtenteils über das reine Aussehen hinweg, weil jegliche Oberflächlichkeiten seit den letzten Ereignissen keinerlei Bedeutungen mehr für mich haben. Wie krass es ist, dass ein Mensch, den ich vor einem halben Jahr erst wirklich kennenlernte a) ein Teil des Puzzle-Positiv geworden ist und b) so irre ist und für mich einfach mal eine Stunde mit dem Roller nach Münster tuckert und das im wundervollen Dezemberregen dieses Jahres. Keine Ahnung, womit ich sowas wieder verdient habe, aber mit solchen Fragestellungen habe ich mich ja in der Psychosomatik auseinander zu setzen. Habe ich das alles wirklich verdient, darf ich die Chance auf ein neues Leben noch einmal wahrnehmen? Ist das gerecht, habe ich nicht verdient jetzt den Schmerz zu ertragen? Die klare und einzige richtige Antwort ist: NEIN! Nicht zur Gerechtigkeitsfrage, vielleicht auch zu der, denn eine wahre Gerechtigkeit, so wie eine ausgeglichene Waage gibt es in der Realität nicht, weil es eine ausgedachte Idealvorstellung der Menschen ist, dass es eine Art Ordnung im Chaos gibt. Das Chaos ist die Realität und wenn man sich das bewusst macht, wird es deutlich leichter sich damit abzufinden, dass es nicht „Die Gerechtigkeit“ geben kann. Auch wenn ich die Idee des großen „Karmastroms“ in dem Alles zusammenhängt als sehr verlockend empfinde und auch davon überzeugt bin, dass es so etwas tatsächlich gibt, denke ich doch, dass die Basis dessen nicht die Ordnung sondern das Chaos ist und aus Chaos sind wir und zu Chaos werden wir.

Wie bin ich jetzt von den sinnfreien Donnerstagnachmittagskochshows zu so etwas essentiellem wie der Chaostheorie und den Fragen der Herkunft der menschlichen Spezies gekommen? Ach ja, das wird wohl der Einfluss der „Dread-Lady“ gewesen sein, die meine Gedanken durcheinandergewirbelt hat, aber im absolut positivsten Sinne, welchen ich mir vorstellen könnte. Und ich hab die ganze Zeit nicht an Sex gedacht, auch wenn mir das nie einer glaubt, wenn man so mit den Händen unter der Decke im Dialysebett liegt. Schweine, die ihr so was denkt, echt, die Hände sind nur da unten, weil es meistens schweinekalt in der Bude ist und man sonst nach vier Stunden Frostbeulen an den Handgelenken hat. Außerdem war Hitler schwul, habe ich gehört und der Hobbit war heute auch nicht neben mir. Ich nutzte die Zeit mit Brie mich in einer meiner Lieblingsdisziplinen zu profilieren, der guten alten Lästerei. Lange hatte ich mir bloß alles angehört, was so um mich herum geschah, so ungefähr 15 Tage lang mit heute, es wurde dann doch mal Zeit für einen kleinen Rückschlag, Sergej war natürlich das Hauptopfer meiner pööösen Schmähungen, denn er hatte sich in den letzten Tagen wirklich aufgeführt, wie das letzte Waschweib, das ewige Rumgejammere darüber wie schlimm doch sein verdammtes Schicksal sei, war nur die Spitze des Eisbergs. Ich hatte ihn ja als Russen identifiziert, aber irgendwas passte das nicht zu dem Image des jämmerlichen hyperaktiven Russen, ich wusste nur irgendwie nicht, was genau es war. Aber ich werde ja noch eine Dschungelparty miterleben und dann morgen früh. Aber erstmal nutzte ich jetzt die Zeit mich über ihn lustig zu machen, voll arschig eigentlich, der würde auch nicht über mich lästern, außer am Telefon, wenn er in Landessprache mit der Familie redete, auch das klang irgendwie am Ende gar nicht mehr ganz so russisch, wie ich dachte, auf jeden Fall Ostblock und ehemalige Sowjetunion aber ich befürchte es ist näher als Russland, auch wenn der deutsche Dialekt durchaus dem von „Filmrussen“ ähnelte, übertriebenes „ia“ und „rollende Buchstaben, dazu viel „nanananaa“ und „Schwäster, gib Wasser, Schwäster mach Fuß Hilfe in Bett!“, Schwäster, wann gibt`s Essen?“ Ein verrückter Kauz, echtes Original, ich glaube, wenn es ihn nicht gäbe ich hätte ihn für meine Tage im Krankenhaus erfinden müssen. Aber auch so einige andere Sachen, wie den verrückten Karl, der mir noch eine gute Reise wünschte und ein Zwinkern meiner Besucherin gegenüber andeutete. Haha, hab ich das nicht eben schon mal erzählt, sollte doch gar nicht so ein „Herr der Ringe“-eskes Verabschiedungszeremoniell werden und jetzt wiederhole ich schon Szenen, Als ich gegen 17 Uhr wieder auf meinem Raum war, hatte die Dialyse schon deutliche Spuren hinterlassen, vor allem mein Sack zog, als würde immer noch durchgängig Wasser gezogen, sehr unangenehm das. Wirklich sehr unangenehm. Vor allem als meine Eltern dann zu Besuch waren, um schon einmal die Reste meines eingeschleppten Hausstandes mitzunehmen. Tüdelidu, Fressflash, ob es in Bielefeld wohl auch so leckeres Essen gibt, fragte ich mich, warum drehen sich meine Gedanken nur noch um Essen, Weiber und den Umzug? Ist das denn echt so essentiell für mich derzeit? In einem Wort? JA!
Ich überlegte vor dem Einschlafen eine Weile, wie ich mich von der sanftmütigen Nubierin verabschieden sollte, irgendwie fand ich, dass ich ihr wenigstens Tschüss sagen sollte, auch wenn Schwester Rabiata ja schon den Vorschlag eines Besuchs in den Raum geworfen hatte. Aber mit Nayla hatte ich irgendeine besondere Bindung, was Besonderes, eingebildet oder auch nicht, ich fand sie wirklich beeindruckend. Aber leider war ich weder der alte Draufgänger noch der neue jugendliche Held in Glanzgewand, sondern irgendwo doch bloß der gefallene Ritter in der rostigen Rüstung.

„Schwester Scheherazade“ - Die Anmutige

Sie trägt ihr Haar jetzt offen, wie viel sagt das über den Beobachter aus, dass er das als erstes erwähnt, oder dass es ihm tatsächlich als erstes aufgefallen ist. Wie viel würde es aber erst über ihn aussagen, wenn es nichts Neues wäre und er es nur als etwas Neues erkannt hätte, obwohl sie bereits von jeher so aufgetreten wäre.

Ist es eine erwähnenswerte Eigenschaft eines Menschen, wie er sein Haar trägt, wenn es sich nicht um eine Frisur mit einer Aussagekraft derer von beispielsweise Dreadlocks oder der Künstlermähne handelt, oder auch die Fascho-Frisuren, irgendwie haben die eine echte Aussage. Aber das lange dunkle Haar offen zu tragen, und damit ihr von einem unglaublich interessanten Charakter geprägtes Gesicht zu umschmeicheln ist wohl von der Aussagekraft näher am Federschmuck vieler männlicher Vögel, die damit Brautwerbung betreiben. Das soll natürlich nicht heißen, dass anzunehmen ist, dass die Entscheidung der vermutlich anmutigsten aller Schwestern ihr Haar offen zu tragen eine Einladung zum Flirt auf Teufel komm raus sein sollte. Alex hatte sie beim ersten Aufeinandertreffen noch als eher schwierige Person eingestuft, mit der er Probleme bekommen könnte, vor allem weil sie neben der sie umgebenden Aura von Anmut und Güte auch diese Stärke einer Frau repräsentierte, die sich kaum etwas vorschreiben lassen würde. Vermutlich als eine von 2 Töchtern unter sonst Brüdern musste sie früh lernen sich durch zu kämpfen und das hat sie in allen Lebenslagen abgehärtet. Ihr Aussehen wollte sie niemals als Kapital nutzen, weil es ihr moralisch widerstrebt hätte sich dadurch Vorteile zu verschaffen, was von der Natur an sie gefallen war. Sie ist eigentlich eine sehr ruhige und nachdenkliche Person, die lieber mal ein dickes Buch liest, als sich am Wochenende auf die Rolle zu begeben und mit ihren Freundinnen eine Ladies-Night nach der anderen zu zelebrieren. Das Bedürfnis nach Harmonie und gegenseitigem Respekt entstammt ihrem Elternhaus und Erfahrungen in ihren Jugendjahren.
Merkt hier eigentlich noch jemand, dass ich keine Ahnung habe, wer sie eigentlich ist und dennoch stelle ich sie mir als einen wirklichen Engel in Zivil vor. Im Vergleich mit den Anderen übernimmt sie ohne große Umschweife in Notsituationen gerne das Kommando und füllt mit ihrer Erfahrung die Position der Anführerin ohne große Anlaufschwierigkeiten aus und blüht sogar noch auf, wenn Unvorhergesehenes geschieht und sie sich beweisen kann. Sie verbindet ihre sanftmütige Sozialkompetenz mit der Führung und Anmut einer nubischen Pharaonin, ohne auch nur Einem das Gefühl zu geben, sich über ihn erheben zu müssen aus bloßem Selbstinszenierungsdrang.
Sie ist die Klassensprecherin, die im zweiten Wahlgang gewählt wurde, wenn die Profilierungssüchtigen unter sich keinen sinnvollen Kandidaten ausmachen konnten, Generell war sie in der Schule auch eine von denen, die ein Alex niemals angesprochen hätte, die immer etwas hochnäsig wirkende Streberin aus Reihe 1, deren wahre Natur ihm immer verborgen geblieben wäre, weil seine Oberflächlichkeit immer die Haupttrennlinie zwischen beide gestellt hätte und alle Gemeinsamkeiten für den Schüler-Alex einen erheblichen Verlust im Ansehen bei seinen Freunden zur Folge gehabt hätten. Heute wäre er nur zu stolz eine Frau wie sie, Freundin nennen zu dürfen. Menschen wie sie retten die Tage vor dem Untergang und jeder darf sich glücklich schätzen, der so jemanden kennt.

Schnarch Sergej, schnarch!!!

Nichts menschliches ist in der bestialischen Schnarchmaschine neben mir zurückgeblieben, als würde er mich bestrafen wollen, dass ich morgen keine Dialyse habe und mich schon einmal im Voraus gefreut habe ein wenig Ruhe von dem Kasper zu bekommen. Heute Nacht schießt er den Vogel absolut ab, ich wusste gar nicht, dass ein Mensch in dieser Form fähig ist Geräusche zu produzieren, das Schnarchen, das leise Ratzen, was ich von diversen Menschen kenne, werde ich nie wieder als störend empfinden können. Dieses apokalyptische Schnarchen aus der Hölle jedoch wird mir ewig in Erinnerung bleiben, es ist lauter als meine Kopfhörer bei einer Lautstärke, die an Schlaf nicht denken lassen. Normalerweise würde ich niemals so laut Musik hören, aber es ist die einzige Chance, dass ich das diabolische Grunzen des Dschungelschnarchmonsters nicht hören muss. Klar ich könnte auch eine Schwester rufen und über mein Leid klagen, aber was soll das bringen, die werden ihm wohl kaum die Luft abdrücken oder mir zur Liebe alle paar Minuten eine verpassen, dass er gar nicht in diesen Schnarchrhythmus zu kommen vermag. Es sind ja schon einige bizarre Dinge vorgefallen, seit ich meine Reise begonnen habe aber dieses Untier ist absolut ohne Worte. Ich habe mittlerweile auch Tondokumente gesammelt, die von der seelischen Grausamkeit zeugen, die mir durch den Russenschnarcher zugefügt werden. Es ist die Form von Folter, die ich für höchst verwerflich halte. So unfair, dass der dabei auch noch schlafen kann und vermutlich NICHTS davon mitbekommt. Allerdings frage ich mich, ob man das vielleicht auch außerhalb meines Zimmers hören kann. Ist das jetzt wieder eine dieser audioverstärkten Stressreaktionen meinerseits, die ich ja auch schon in der Woche vor meiner Einlieferung mit meiner Heizung hatte, die vielleicht im Nachhinein gar nicht so laut war, wie ich sie wahrgenommen habe, Ich glaube in diesem Fall haben wir es tatsächlich mit einem Phänomen zu tun, immerhin hatte die Nachtschwester vor ein paar Nächten es scheinbar auch wahrgenommen. Immerhin mussten wir uns schon damals anschreien, damit wir uns bei dem Geschnarche überhaupt verstanden. Unfair finde ich bloß, dass dieser Arsch in seiner Wachzeit immer noch so einen auf Nett und Freundlich macht und mir dann die Nachtruhe stiehlt und die meiste Zeit seines Tages ebenfalls verschnarcht. Da ist es nur nicht ganz so schlimm, dann mache ich einfach den Fernseher lauter. Der folgende Tag wird ein wundervoller Tag für die Gerechtigkeit. Ich werde wohl den Braveheart und irgendwas anderes lautes in voller Klangqualität genießen und Sergej wäre gut beraten mich nicht daran zu hindern. Diese nächtliche Schlafverhinderung nehme ich ihm echt übel, es ist einfach so rücksichtslos und egoistisch. Ich würde doch irgendwie versuchen wenigstens so zu schlafen, dass die Schnarchproblematik nicht eine ganze Station wach hält oder in den Schmerz- und Schlafmittelkonsum treibt.

„Schwester Rabiata“ - Die Gern fies wäre!

Im Dunkeln sitzen, sei nicht gut, ich finde das höchstgradig inspirierend, doch wem soll man das schon klar machen, wenn die Stromrechnung der Arbeitgeber zahlt und der Arbeitgeber das Krankenhaus ist.

Irgendwo in der Universitätsstadt Münster musste irgendwann einmal der schöne Tag gewesen sein, an dem die sympathische Schwester Janina das Licht der Welt erblickte, natürlich war sie nicht von Geburt an Schwester gewesen, es sei denn ihre Eltern hätten schon vorher Nachwuchs gehabt, darüber ist an dieser Stelle allerdings nichts Genaueres bekannt und es hat auch keine Bedeutung für ihren Auftritt in der Geschichte, ihre schicksalhafte Begegnung mit dem gefallenen und geläuterten Engel Alex, der schon ihrer ersten Begegnung eine gewisse Bedeutung beimaß, ohne es überhaupt zu wissen.
Wenn man wie er, oft und gerne der Analyse von Menschen und Situationen frönt, eine Detailverliebtheit besitzt, die beinahe krankhafte Züge hat und auch sonst winzigste Kleinigkeiten zu Großartigkeiten aufzubauschen sucht, dann stellt man bei ihr als erstes eine Besonderheit fest. Besonderheiten haben alle Menschen, manche sind verborgen und andere sind offen für jeden sichtbar und doch verborgen. Bei ihr war es eine akustische Eigenheit, ihr Lachen. Ja am Anfang als die Stimmen auf der Station noch etwas fremd wirkten, war es das erste, das sich Alex einprägte, eine ganz besondere Art zu lachen, eine Kombination aus Keuchhusten und dem Unterdrücken eines explodierenden Losprusten. Vermutlich würde eine Analyse etwas ergeben, das sie aus Höflichkeitsgründen oft lieber nicht lachen sollte, allerdings immer wieder in die Situationen gelangt, in denen sie unpassend dem Lachen verfallen würde. Nach außen machte sie eigentlich eher einen soliden Eindruck, bodenständig und fokussiert, allerdings gleichzeitig eine Frau, mit der man Pferde stehlen könnte, wenn es keiner rausbekommen würde, Der Name, der „Schwester Rabiata“, den sie sich scherzhaft selbst eines Abends gab, nachdem sie eine vollkommen schmerzfreie Thrombosespritze bei Alex setzte, spricht eine ebenso deutliche Sprache, wie das immerwährende verschmitzte Lächeln und der Glanz ihrer Augen, die den geneigten Patienten in Verzückung versetzen und ihm jeden Tag ein wenig schöner werden lassen.
Sicherlich ist es für sie ob ihrer Niedlichkeit nicht leicht gewesen, sich selbst am Anfang ernst genommen zu fühlen, allerdings wird sie diese Problematik schnell abgeschüttelt und sich damit abgefunden haben, dass sie jeden Tag Opfer von männlichen Zuneigungsbekundungen sein kann. Aber die „Immer freundlich lächeln“ Variante funktioniert bei Clowns, also sollte sie für sie auch an Wirksamkeit nicht verlieren, Und wenn die Schicht dann vorbei ist, kann man ja eh im Fahrstuhl nach unten fahren und irgendwo wieder den Kopf klar kriegen.
Ob sie wohl einen Freund hat? Ist so eine Frage überhaupt zulässig in der Analyse einer helfenden Kraft des Gesundheitssektors. An dieser Stelle sollte wohl auch unser Alex wieder in die Geschichte integriert werden. Immerhin geht es ja die meiste Zeit vor allem um ihn und seine dämlichen Ideen davon, wie die Geschichte eigentlich verläuft, Und während er sich überlegt, ob er noch einmal losziehen soll, um den verdammten Süßigkeiten Automaten im vierten Stock zu plündern träumt sich Janina an einen Ort, weit weg von dem ganzen Klinikwahnsinn. Natürlich kann niemand außer ihr genau sagen, was sie denkt, aber als Erzähler dieser ganzen Charakterisierung obliegt es meiner Macht sie so anschaulich und authentisch, wie nur eben möglich zu skizzieren, ohne das Geringste zu wissen. Die bloßen Anhaltspunkte sind ihre Besuche bei unseren beiden Patienten aus Zimmer 229 und das über die Station wabernde unverkennbare Gelächter so wie das feenhafte Lächeln, wenn sie über die Station schwebt.

Und diese Attribute müssen jetzt mit ein wenig menschlichem Background angefüttert werden, den wir ja nicht kennen, da wir sie ja nur über den Kontakt zu Alex wahrnehmen können, schwierig, ihr zu glauben, dass sie keine Ahnung vom Bloggen und solcherlei Dingen hätte fiel Alex schon bei der ersten Erwähnung seiner Bloggertätigkeit auf. Eigentlich hätte er direkt fragen sollen, ob sie denn wenigstens ein Facebookprofil hätte, aber er wollte ja auch nicht den Eindruck machen, dass er einer dieser notgeilen Krankenschwesterfetischisten sei, auch wenn letzteres vielleicht doch zutreffen könnte, wenn man mal so genau darüber nachdachte... Aber dafür ist das hier nicht die richtige Stelle... „Schwester Rabiata“ ist vermutlich genau die Art Mädchen, die man in der Schule schon nicht ansprechen konnte, weil sie zu cool für einen waren, die beste Freundin, von der man irgendwie immer was wollte aber nie aktiv wurde, weil sie eigentlich am Ende doch der bessere Kerl war.

12/26/2012

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Der zweite Weihnachtstag beginnt extrem spät, geweckt wurde erst um 7 Uhr und dann hieß es kräftig Programm peitschen, um auch pünktlich verspätet zur Dialyse zu kommen, dort habe ich dann die ersten Scherze mit Schwester Fiesbeth gemacht und mich 4 Stunden chillend auf neue Abenteuer vorbereitet. Auch hier waren es wieder die Frauen, die mich faszinierten. Vor allem wohl die Krankentransporterin, die mich samt Bett abholte, irgendwie erinnerte mich dieses Mädel an jemanden, den ich kenne, vielleicht habe ich sie aber auch einfach schon einmal hier irgendwo gesehen, oder auch nicht, die Mädels hier sind alle ein Augenschmauß. Das ist soooo unfair, weil es die Illusion nährt, dass man auch nur im Geringsten eine Chance bei ihnen hätte, obwohl man genauerer Betrachtung ja doch nichts weiter ist als der Schinken, der von A nach B gelangen muss.

Sergej hatte heute seine erste Dialyse und meinte, dass es gar nicht so schlimm war, wie er gedacht hat. Ja klar, dafür pennt er jetzt auch schon wieder. Wahnsinn, der Kerl tut irgendwie den ganzen Tag nichts ausser Schnarchen und Pfurzen, dreimal den lieben Alex bitten, das Licht auszumachen oder eine Schwester zu rufen, damit er die dann anmeckern kann, dass seine Infusion nicht läuft oder er zu viel Wasser in den Beinen hat. Mit jedem Tag entwickelt er sich mehr zum absoluten Opfer in meinen Augen. Entweder weil er immer mehr zur Memme wird oder weil ich einfach immer besser mit meiner Situation klar komme und nur noch die postiven Aspekte erkenne, wie zum Beispiel die Tatsache, dass ich endlich mal den ganzen Tag hier sitzen kann und nichts anderes tun muss, als zu mampfen und mir diverse Filme reinzuziehen, die ich schon lange nicht mehr gesehen hab. In diesem Sinne sollte ich vielleicht jetzt schon einmal so etwas wie eine Liste der Filme machen, die bei der nächsten Heimsuchung meiner Dortmunder Wohnung durch meine Eltern ins Archiv zurück wandern sollen. Immerhin werden die mich ja gleich auch noch besuchen und mir ein paar Kleinigkeiten mitbringen, einiges mitnehmen, was ich hier nicht mehr zu brauchen glaube, denn scheinbar kommen die Dinge hier jetzt doch noch ins Laufen und mein Auszug beschleunigt sich auf unnatürlich schnelle Weise. Aber erst einmal Ball flach halten, wenn ich zum 11. Januar hier raus käme, wäre das schon ein deutlicher Erfolg in meinem persönlichen Logbuch, welches ich ja eigentlich gar nicht wirklich führe.

Wie ist das eigentlich? Ist das hier eigentlich noch Blogspot oder schon seit längerer Zeit eine der detailliertesten Aufzeichnungen in meiner Autobiografie überhaupt? Vielleicht ist es tatsächlich die autenthischste Phase der Autobiografie, da sie quasi während des Erlebens entsteht, was ja auch nicht wirklich oft jemand von sich behaupten kann, der über sich und seine Geschichte schreibt. Normalerweise ist es immer die lange Recherche der Vergangenheit, jene Vergangenheit, die dann im Nachhinein auch immer eine andere Farbe bekommt, je nachdem wie sich das Bewusstsein zum Sortieren entschieden hat, was als wichtig eingestuft wurde und was einfach der Verdrängung zum Selbstschutz zum Opfer gefallen ist. Die Wahrheit findet man in einer Autobiografie oft nur zwischen den Zeilen und auch nur, wenn der Autor nicht, wie ich durch diverse Persönlichkeiten gegangen ist, die alle eine eigene Geschichte der Vergangenheit erzählen würden, wenn man sie denn ließe.

Wie passend, dass ich morgen außer einem Termin in der Psychosomatik nichts interessantes auf dem Zettel der Erledigungen habe und dann erst wieder Freitag bei der Dialyse auflaufen muss. Im Grunde entschleiche ich zusehendst dem Patientenleben und werde zum Kurpatienten, der die Tage mit den angenehmen Dingen des Lebens und der Beschauung der wohlgeformten Früchte der Natur verbringen kann. Im Grunde wie so ein alter Stelzbock, der im Altersheim den Ärschen des Betreuungspersonals nach giert, bis er seine Hände nicht mehr bei sich lassen kann und eine Backpfeife kassiert, wo eine Anzeige wegen sexueller Nötigung die eigentlich richtige Reaktion wäre. Aber so einer bin ich nicht, bei mir finden solche Dinge maximal im Kopf statt und das wohlgeformte Wort ist das Schwert, mit dem ich den Jungfrauen zu imponieren suche. Ein wenig kitschig gerade, aber niemand sagte es wäre kein Platz für ein wenig romantische Verträumtheit in den Gedanken eines Jünglings mit Samenstau. Wollen wir es mal nicht so herunter spielen, eigentlich bin ich sexuell nicht gerade angetörnt hier, aber die böse Kombination aus der männlichen Griesgrämigkeit im Nebenbett und den Früchten des Fleisches auf zwei Beinen überall um mich herum... 

Ich möchte die Chance dieses Mal nicht verpassen, vielleicht in 10 Jahren einmal „Danke“ sagen zu können, für all die Hoffnung und die positiven Gefühle, die mir meine Heilung ermöglichen, für die verspielte Fürsorge, das Lächeln, die menschliche Wärme, trotz des Bewusstseins der tickenden Uhr und der eigenltichen Überlastetheit. Irgendjemand sollte sich einfach bei diesen Menschen bedanken, eigentlich jeden Tag, aber wenn das nicht möglich ist, dann wäre ich gern der jenige, der diesen Menschen zeigt, wofür sie das alles tun, der ihnen das Gefühl zurückgibt, das Richtige zu tun, der die Dankbarkeit zeigt, die leider viele Patienten beim Betreten der Station zu vergessen scheinen. Selbst in der größten Not gebührt es der Höflichkeit dankbar für Hilfe zu sein, auch wenn diese Menschen das beruflich machen, es vergehen zu viele Stunden, in denen man ihnen respektlos gegenüber steht und es für eine Selbstverständlichkeit hält, dass sie sich jeden Morgen darum kümmern, dass auch alle gewaschen und einigermaßen menschlich aus ihren Betten treten können, keine Schmerzen haben, ihre Werte bereits gemessen werden, nötige Blutuntersuchungen oder Schmerzmittel abgearbeitet werden. Man kann das einfach gar nicht oft genug erwähnen, dass dieser manchmal extrem stressige Job wichtig ist, für viele überlebenswichtig,wie für mich. Ich stelle mir gerade vor, wie wohl ein Krankenhausaufenthalt ohne die helfenden Hände des Stationspersonals ablaufen würde. Das Schlachthausbeispiel von vor ein paar Tagen drückt mir ins Gedächtnis, Fleisch auf Halde gelegt und wenn die werten Herren in Weiß die Muße haben, dann wird es mal beschaut, warten sie zulange ist nichts mehr da zum inspizieren und das welke und verwesende Fleisch stapelt sich in den Betten, weil es ja auch niemand wegräumt. Irgendwann sagen sich die Ärzte dann auch, dass sie die Arbeit zu abstoßend finden und warten in ihren Chefetagen auf neue Lieferungen, um bloß noch zu forschen. Der menschliche Faktor verschwindet und Krankenhaus bedeutet nichts anderes mehr als Leichenschauhaus mit teilweise lebendigen Körpern. Klingt das irgendwie bizarr abstoßend? Wie konnte ich denn jetzt so schreckliche Gedanken entwickeln, wo doch die Sonne scheint und eigentlich alles total blumig ist...

Na ja egal, gleich werden die Parentas hier hereinplatzten und mir ein wenig Futter bringen, damit ich weiter mampfen kann, eine meiner Lieblingsbeschäftigungen hier oben im Turm. Es klingt als wäre ich die essgestörte Version von Rapunzel und Sarumans Sohn, der zwischen dunklen Aussichten und seinen Haaren bloß noch das Fressen im Kopf hat, obwohl er seine Orkhorden auch in eine verrückte Mittelerde Schlacht auf der PS3 schicken könnte. Ich glaub ich fang schon wieder an zu überdrehen, ich sollte mal scheissen gehen... wenn mein Sack nur nicht so ziehen würde... das ist echt irgendwie unangenehm... Die Gedanken wurden unterbrochen von den Erzeugern, die sich wie die bucklige Verwandtschaft in die Hütte schlichen und man sich hätte fragen können, ob sie vielleicht eher gekommen waren um mich um mein Geld zu bescheissen oder mir Essen ab zu schwatzen. Aber die Gespräche waren informativ und brachten dann vermutlich sogar einen Gewinn mit sich, indem ihnen Ergebnisse anstanden. Außerdem konnten die notwendigen Austausche gemacht werden, die dringend notwendig waren, damit ich mich hier wieder etwas menschlicher fühle und weg komme von der Gammelfleischvorstellung von heute Mittag. Mittlerweile ist es dunkel und ich habe schon wieder ein wahnsinniges Abendmahl in mich hereingeschlungen. Ich frage mich echt, wie es eigentlich möglich ist, dass ich soviel essen kann, ohne dass es oben wieder herauskommt und ich mich so fühle, als hätte ich das alles gefressen, ja es sind wahre Fressattacken, ich befürchte das sie immer noch von den Tabletten kommen, denn auch wenn es mir so vorkommt, so lecker kann das alles gar nicht sein. Diese systematische Nahrungsvernichtung durch meinen unstillbaren Hunger fühlt sich teilweise an, als wäre ich so etwas wie ein Wolf geworden... Das Äußere stimmt nicht ganz mit dem Überein, wie ich mich fühle, aber wie stellt man sich so einen fressgesteuerten Mutanten mit Katheterleiden und der neuen Selbsterkenntnis von „Das Leben ist schön“ auch vor? Ich weiß es nicht, mir ist es auch egal. Sergej bekam heute von Schwester Rabiata auch mal ne Unze Schmerzmittel, damit er seinen schnarchenden Arsch auch mal aus dem Bett bewegt und sich mal ein wenig daran gewöhnt, nicht mehr das vorsitzende Russenfaultier zu sein, zu dem er sich die letzten Tage entwickelt hat, fragt der Vogel mich doch ernsthaft, ob ich ihm wohl die Füße ins Bett hebe. Ich hab das dann getan, weil ich auf mein Karma bedacht bin und außerdem ein sehr hilfsbereiter Mensch, auch in der Notsituation meiner selbst. Ich erwarte aber zum Glück von diesem vergammelten Kerl keinen Dank, oder gar dass er vielleicht heute Nacht ein wenig leiser schnarcht, oder irgendeine andere Gefälligkeit, die er nicht in der Lage sein wird, einzulösen...
Es ist einfach, wie es ist, wir hängen hier gemeinsam fest. Ich habe es angenommen, morgen könnte ich vielleicht noch ein wenig Schlaf bekommen, wenn der Freak bei seiner Dialyse ist, das würde mir ja sehr gefallen, aber wir sollten uns vielleicht wieder ein bisschen in Demut schulen, ich habe morgen selbst erst mal meine Psychosomatik abzuwickeln und dann mal gucken, wo ich überhaupt stehe. Derzeit würde ich sagen, dass ich angeschlagen bin, allerdings schon über den Schock hinaus und relativ geordnet, klarer als die letzten Jahre und deutlich positiver gestimmt, da es ja Dinge gibt, auf die ich zugehen kann, der Sumpf ist zwar da, aber er ist nicht mehr nur allgegenwärtig und eine Bedrohung sondern vor allem ein beinahe überwundenes Hindernis, welches sich in die Geschichten meiner Vergangenheit einreihen wird, wie die vielen anderen Hürden, die ich nahm um hier her zu gelangen und auch wieder fort von diesem Ort, was ja das Ziel ist.

12/25/2012

25

5 Uhr Nachts und ich liege plötzlich wach, draußen tobt der Sturm und ich frage mich, was bloß mit mir los ist, es geht mir irgendwie so gut, nicht eingebildet oder stark geredet, einfach so gut, so als ob ich jeden Tag etwas von der Last abwerfen kann, die mich so gepeinigt hat, als würde ich von Grund auf erneuert und hätte die Chance bekommen, DIE CHANCE, den alten Mr. Scrooge zu den Hunden zu schicken und es mit dem neuen Elan und der neuen Power anzugehen. Weihnachten, es ist so ruhig auf der Station, das könnte doch einen wundervoll chilligen Tag bedeuten, wenn man mir nicht irgendwelche dämlichen Dinge in den Weg wirft. Aber es deutet sich nicht an, dass meine innere Reinigung, die „Traumabewältigung“ nicht fortschreiten könnte. Vielleicht ist es dieser Ort, der es einfach sein musste, damit ich den Dämonen der Vergangenheit endlich ins Auge lachen kann und ihrer nicht mehr fürchte. Seit einigen Tagen ist es nicht mehr bloß der Wunsch hier einfach heraus zu kommen sondern, hier heraus kommen zu können, weil die Vergangenheit keine Schatten mehr auf mich wirft. Als noch völlig unklar war, wie lange ich eigentlich hier hospitieren werde war ich zerrissen, von meinen Gedanken zerfressen und im Zweifel mit mir, ängstlich ob des Ortes, der Isolation, Münster, Kindheitstrauma, wahrscheinlich ist einfach so viel von dem ganzen Cystinose und Dialyse-Transplantationswahnsinn in meiner Vorjugend nicht verarbeitet worden, dass ich mich jetzt 16 Jahre später mit gestutzten Flügeln der Sache erneut stellen muss, aber auch erst jetzt scheinbar dafür bereit bin und jede Erinnerung schlimmer wirkt als die tatsächliche heutige Erfahrung, wie es wohl tatsächlich war. Ich kann das nicht oft genug sagen, aber ich fühle mich von Tag zu Tag wie ein neuer Mensch, besser, natürlich ist das vor allem eine Wirkung der Medikamente und auch des allgemeinen Gesundheitszustandes, denn die Psyche muss sich sicher wesentlich länger erholen als ich mir das wünsche und ich habe noch einen sehr weiten Weg zu gehen aber es fühlt sich gut an, wenn man sich wieder an die Person erinnert, die man einst war, der Charmebolzen, der es schafft, dass die halbe Station auf kurz oder lang nach seiner Pfeife tanzt. Zwar scheinen einige der Ärzte mit meiner fröhlichen Art nicht ganz klar zu kommen, scheinbar muss ich weiterhin depressiv und traurig sein, damit ich nicht aus dem Rahmen falle, aber was wenn genau dieser Teil von mir sich von mir abgeschält hat, wie morsches Holz, das von einer gesunden Rinde blättert. Freuen sollten sie sich, dass ich Tag für Tag das Leben ein wenig mehr zu schätzen weiß, ihnen dankbar bin, dass sie mir ermöglichen noch einmal so fühlen zu lernen, vielleicht sind sie ja auch bloß neidisch, dass ich das Positive in meinem ganzen Unheil gefunden habe und die Disziplin habe mich nur noch daran aufzurichten, alles Negative auszublenden, nur noch das Ziel vor Augen wieder Alex zu sein. Der Alex, den nicht nur ich absolut geliebt habe. Mein Äußeres ist schon ein recht deutliches Signal, wie es mir geht, ich laufe nicht mehr in den Lumpen herum, in denen ich eingeliefert wurde, die Frisur benötigt morgendliche Pflege, die ich ihr angedeien lasse, ein winziges Detail, dass ich in den letzten 2 Jahren nahezu ignoriert habe, ich hatte ja nicht einmal mehr einen anständigen Kamm, um durch meine Yeti-Mähne zu kommen.

Gerade erfuhr ich, dass man mich hier schnellstens loswerden will, da man scheinbar nicht in der Lage ist mir Personal für die „CAPD-Schulung“ zur Verfügung zu stellen. Eigentlich ist das ja traurig, allerdings ist das ganze ja nun wirklich nichts, was man so dermaßen hoch hängen muss, wenn es nur das ist, was ich da gestern bei der Erstspülung gesehen hab, dann sollte es doch reichen, mir das zwei oder drei mal zu zeigen und dann probiere ich es aus und dann läuft das. Angedacht war jetzt von Ärzteseite scheinbar eine Verlegung an den Bünder Dienst, weil zwischen den Feiertagen einfach hier keine Kapazitäten seien und ich hier die Tage bloß absitzen müsste, das könnte ich aber wohl auch in Bünde oder Bielefeld, wenn ich das richtig verstanden habe. Wow, es fühlt sich fast so an, als würde ich auf ein Ziel hin fiebern können, ein erhabenes Gefühl, wenn die Nebelschwaden den Schicksalsberg freigeben und der Ringträger nur noch seine letzte Aufgabe erfüllen muss und den von Sauron geschmiedeten Meisterring ins Feuer werfen muss. Wobei das entscheidende Wörtchen wohl das „NUR“ ist, denn die Gefahren werden weiterhin an der Seite des Helden bleiben, sie sind seine Triebfeder, sein Antrieb und Strom, sie sind das, was ihn letztendlich zum Erfolg verdammt, der Held zu sein.

Ich glaube "Schwester Rabiata" hatte nicht so einen tollen Tag bislang, ich habe sie noch gar nicht verzweifelt leicht verwirrt lachen hören, aber vielleicht sollte ich mir viel weniger Gedanken darum machen, das Personal zu analysieren, auch wenn ich mich ja schon frage, warum heute so etwas Grandioses aus der Küche kam, zartester Schweinebraten an Kartoffeln mit einer unglaublichen Soße auf Bohnengemüse. Als Dessert gab es dann noch einen Schokopudding über Pfirsich garniert mit Mandelsplittern und zwei Stücke feinsten Christstollen, den ich mir jetzt noch einverleibe, nachdem ich den Gesamteindruck des Mittagsmals verarbeitet habe und einfach nur geflasht bin, wie lecker Essen sein kann. Ich hoffe, dass ich vor allem diesen Aspekt mit hier heraus nehmen kann, jegliches Essen zu mögen und den Geschmack voll entfaltet spüren zu können. Am Hunger sollte es nicht mangeln. Vielleicht schaffe ich es ja, doch noch so etwas wie ein guter Koch zu werden und dann auch Gerichte die ich eigentlich gar nicht mag in Köstlichkeiten zu verwandeln. Ich glaube eigentlich mag ich gar keinen Christstollen, dennoch schmeckt er faszinierend. Es kann doch nicht bloß der Hunger sein, der einfach ALLES hineintreibt in den ungesättigten Schlund meiner Gier. Ich komme immer wieder darauf zurück, dass mein Körper das Leben komplett neu erfährt dieser Zeiten, es ist wie neu geboren zu sein, alles ist neu und aufregend und doch hat man schon so viele Erfahrungen und im Hinterkopf spricht Yoda die magischen Worte, „Vergessen was du weißt, du musst!“

Ich glaube der Schnarcher nebenan ist absolut unglücklich, sein Shunt funktioniert nicht, jeden Tag muss er sich mit Überwässerung abfinden, wird allmorgendlich gequält und sieht, wie es mir immer besser geht, auch wenn ich versuche es nicht allzu deutlich zu machen, andererseits könnte er ja auch mal versuchen sich an mir ein Beispiel zu nehmen und mit Freundlichkeit und Disziplin die positiven Seiten allen Übels zu erkennen und mit ein wenig „Hakuna Matata“ und einer gesunden Portion Humor auch mal über die eigenen Defizite zu lachen und nicht ständig zu klagen und zu hadern, denn das hilft weder ihm, noch mir, noch jedem der ihm helfen möchte sondern sorgt bloß für Frust und auf Dauer Ablehnung, weil der Mensch sich nicht auf Dauer mit dem Scheitern beschäftigen möchte. Eine negative Einstellung führt aber auf dem langen Weg der Abwärtsspiralnebel irgendwann genau dort hin und nur dort hin. In den Abgrund des Scheiterns, ich könnte Buchbände darüber erzählen, wie das Leben einem mitspielen kann und wie oft man die Chance wahrnehmen kann sich zu ergeben und es zu zu lassen. Aber das mache ich nicht mehr, ist einfach sinnlos, weil es nur nach unten führt... und Unten ist einfach keine Richtung, die Sterne anstreben sollten.

Irgendwie glaube ich, dass die nubische Prinzessin genau die richtige für mich wäre, wenn man sich unter anderen Umständen kennen gelernt hätte. Ich weiß nicht, wie viel von den Andeutungen ihrerseits wirklich im Falle eines Falles ernst gemeint wären, aber ich glaube, dass sie schon eine richtig versaute Krankenschwester ist und seit sie ihr Haar offen trägt und im fahlen Mondlicht nachts in mein Patientenzimmer schleicht kann icb nicht sagen, dass ich sie nicht deutlichst attraktiv finde. Sogar so sehr, dass Sir Lancelot sich mal wieder blicken lässt, ich hatte ja schon Angst vor Impotenz gehabt, aber auch an dieser Front scheint wieder alles im relativen Lot zu sein. Das freut einen doch irgendwie. Ich sollte vielleicht mal so langsam anfangen, die Bilder zu konservieren und mich auf die Zeit nach dem Krankenhaus vorbereiten, wo nicht jede zweite Frau den Anschein macht, dass sie genau die richtige für dich ist und dabei auch noch so devot daherkommt, dass sie einem vor dem Schlafengehen ins Ohr flüstert, dass man nur klingeln muss, wenn man irgendetwas brauchen würde, egal was. Wer käme da nicht auf schmutzige Gedanken. Das ganze wird immer mehr wie ein versauter Traum in meiner Krankenschwesterfetischwelt und die einzige Person mit der ich das bespreche scheint zu denken, dass ich jetzt aus reiner Notgeilheit auf sie stände, klingt als würden sich da endlich wieder normale Probleme anbahnen, die so jeder attraktive junge Kerl meines Alters hat.

12/24/2012

Vierundzwanzig!

Was ist das besondere an dem großen Weihnachtszauber, mit dem alle herumlaufen und sich wirklich so etwas wie Freude durchs Gebäude wabert, echte Freude, auch bei jenen, denen es dreckig geht, die arbeiten müssen, getrennt von Heim und Herd, von den Freunden, der Familie.... ich habe heute endlich den Mut aufgebracht mal ein wenig rabiater zur Wäsche zu schreiten, mich extra fein gemacht, mal anständige Klamotten rausgesucht, irgendwie hatte ich schon heute morgen ein richtig gutes Gefühl. Faszinierend, wo ich eigentlich in absoluter Hektik bereit sein müsste mich zur Dialyse aufzumachen, dann noch die ominöse Erstspülung und das alles an einem Tag wo jeder nur noch den Weihnachtsbaum in den Augen hat. Der ruhigste Ort auf Erden ist das hier sicherlich nicht, die Stimmung ist deutlich gereizt und eigentlich könnte ich mich auch schon wieder aufregen, dass ich schlingen werden muss, weil das Frühstück zu spät kommt. Aber mein Gott, es ist alles in Ordnung. Mit ein wenig Galgenhumor, einem Lächeln und dem Willen nicht ewig zu bleiben lässt sich doch einfach alles ertragen, es ist wie es ist, man muss die Situation annehmen, wie sie ist. Nicht immer nur hadern, jammern und sich beschweren, das Leben bietet jedem die Chance es zu verwirklichen, wir sind nur oft zu träge es anzunehmen, zu träge oder blockiert oder sonst wie gehemmt.
8 Uhr
Eine dralle junge Transportbettfahrerin holte mich zu meinem Dialysetermin ab, wirklich ein nettes Mädel, etwas unschuldig aber ich glaube das gehört hier irgendwie ins Persönlichkeitsprofil, dass man zumindest den Anschein erweckt die Unschuld vom Land sein zu können. Vermutlich ist es, wie überall zu 80% Fassade und soll dem Patienten suggerieren, dass er nicht so viel hadern muss, dass es nötig ist, dass ihn eine junge Frau samt Bett durch das Klinikgebäude kutschiert, obwohl man viel lieber selbst gehen würde. Aber andererseits ist es auch irgendwie ein gutes Gefühl so umsorgt zu werden. Auch wenn es natürlich wie fast alles nur schöner Schein ist und im Endeffekt eben doch nur „business as usual“.
Um 8 Uhr 15 lag ich schon voll verkabelt an der Station und hatte bereits klar gemacht, wie ich zum Kitsch und Klimbim von Weihnachten stehe, nicht ohne mehrfach erwähnt zu haben, dass ich den Grinch als besten Weihnachtsfilm verehre. Ganz im Ernst ist in der Geschichte auch viel mehr Wahrheit als in den Erzählungen über fröhliche Menschen, die zusammen singen und feiern und alles im Glanz des scheinheiligen Tannenbaums, der symbolisch für die Inszenierungswut und das Zeigen von immer tollerer Pracht, Glitzer in den Augen jener, die geblendet sind. Tatsächlich fühlte ich mich beim Geräusch der Pumpen und Maschinen erhoben, klar, so wie ich das von früher her kannte, als könnte doch wirklich alles gut sein. Ich musste schmunzeln über den älteren Herr, der mir gegenüber große Probleme mit dem Ton des Fernsehers zuhaben schien, Unwichtigkeiten, die ihn belasteten, ich fand es lächerlich, dass es für ihn scheinbar essentieller war für ein paar Stunden nach Hause zu können um sich in einer dann doch gezwungenen Atmosphäre dem aufgezwungenen Weihnachtsfest hinzugeben, als die Tatsache, dass er überleben würde und vielleicht diese paar Stunden gerade der Anfang einer neuen Chance für ihn sind.
Dialysestationen sind ja vielleicht nicht gerade wirklich gemütliche Orte aber wenn man nur will kann jeder Ort, der Ort sein an dem man gerade ist. Und damit der einzig richtige Ort, es ist nur eine Sache der Einstellung, Situation analysieren und annehmen. Immer das beste daraus zu machen klingt vielleicht wie Idealismus und Naivität aber das Gegenteil ist das ständig unzufriedene Streben nach einem nie erreichbaren Idealzustand und das führt unweigerlich zum Gefühl des Scheiterns, sollte also als Option nicht einmal angeboten werden dürfen. Aber viele nehmen diese Option dann trotzdem gerne wahr, weil es ihnen an geistiger Größe fehlt ihr Potential auszuschöpfen.
Ein Arzt besuchte mich in der Dialyse und erkundigte sich forsch nach Teilen meiner Geschichte, die ja nun doch nicht gerade das leichteste Gepäck ist, was man sich am „Heiligen Abend“ aufladen möchte... Aber da ich keinerlei Ängste mehr verspüre mich zu offenbaren und auch die Reaktion mir keinerlei Scham mehr einschießen lässt kann ich frei von der Leber weg erzählen, dass ich systematisch 2 Jahre lang versuchte mich langsam und qualvoll zu exekutieren. Klar klingt sowas höchst schockierend, aber noch wesentlich schockierender ist es, wenn man sich mit den Folgen auseinandersetzen kann oder in meinem Fall muss, weil der Plan bloß ein weiterer Fehler in der Gewahrwerdung des Wertes von Lebens ist. Den Wert des Lebens zu erkennen ist vielleicht die größte Herausforderung, der sich das bewusste Wesen des Menschen zu stellen hat. Wenn der Weg dorthin über den Weg des Todes und das Tal der Schmerzen führt, dann ist das eben so. Wie mir gestern die Tränen übers Gesicht liefen, als Timon und Pumba das „Hakuna Matata“ intonierten, weil es einfach so wahr ist. Der König der Löwen, die moderne Fabel zum Thema Selbstfindung, in dem Film steckt so viel, es ist eine Schande, dass ich solange gebrauchte habe, diese Tatsache zu erkennen. Aber sei es drum, für manche Dinge braucht man eben etwas länger,, manchmal ein Leben lang und im schlimmsten Fall überschreitet man auch die ein oder andere Grenze, während man das Ziel wieder ins Visier nimmt. Bloß Aufgabe darf keine Option sein, es kommt mir seit Tagen so vor, dass ich gar nicht weiß, wieso ich mich eigentlich so gehasst haben muss, mir den eigenen Tod herbei zu wünschen. Womit sollte ich das eigentlich verdient haben?
 
Der Arzt sah sich meinen Verband an und meinte dann in einem Anfall von Aktionismus diesen wechseln zu müssen. Vermutlich war mal wieder nicht kommuniziert gewesen, dass es später noch einmal zu einem erneuten Wechsel kommen sollte bei der sogenannten Erstspülung. Aber sei es drum, solange es nicht schmerzt oder solcherlei sollte er mal machen, war ja auch mal ganz nett, wenn einem einer sagt, ob eigentlich alles in gewünschtem Maße aussieht. Diese Bestätigung tat schon wirklich ganz gut, einfach auch mal zu hören, dass alles so verläuft, wie es sollte, trotz der geringen Informationsdichte, die ich hier ab und an schon bemängeln musste. Nachdem dieser Verbandswechsel dann erledigt war erlebte ich den bisherigen Höhepunkt des Tages mit einem weiteren Patienten, leider ist mein Namensgedächtnis nicht das, was es einst war und daher nenne ich ihn einfach mal den „Kalif der Weihnacht“. Er erkundigte sich nach meiner Geschichte und gänzlich unverhofft entsponn sich ein Gespräch auf einer Ebene wie ich seit Jahren kein Gespräch mehr geführt habe, von einem gegenseitigen Respekt und Verständnis geprägt, als würde man sich schon ewig kennen. Mein persönliches Weihnachtswunder. Es gibt doch im Leben immer wieder diese Weichen, die man nicht sieht, weil man an ihnen vorbei hastet, diese Momente die man Jahre später für Dinge verantwortlich machen kann. Wenn man während eines solchen Moments bemerkt, dass es sich um einen solchen handelt, das fühlt sich an wie ein direkter Handkuss aus der Chefetage des Seins. Die Dialyse verging wie im Flug, nicht einmal der krächzende Hobbitmutant neben mir, der sich dauerhaft und im immer gleichen Ton beschwerte konnte mir das nehmen. Genau dieses Gespräch hätte vielleicht zu einem anderen Zeitpunkt viel Leid von mir abgehalten, aber wer in Kategorien wie „hätte, wäre, wenn“ denkt, der sollte sich sowieso erst einmal deutlich hinterfragen. Tiefe Gespräche mit fremden Menschen erheben mich immer auf eine gewisse Ebene, wenn diese dann auch noch in Inhalt und Anschauung so auf meiner Linie sind, gibt mir das die deutliche Hoffnung, dass ich bei weitem nicht so kaputt bin, wie ich es immer annehme. An dieser Stelle kann ich dann ja auch mal einstreuen, dass ich am 27. einen Termin in der Psychosomatik wahrzunehmen habe, warum genau habe ich entweder überhört oder nicht gesagt bekommen, ich finde jedenfalls das klingt interessant. Ich habe heute Morgen gelacht, so ein schönes Gefühl, ich hatte es schon vergessen gehabt. Es gab einfach in den letzten Jahren keine wirklichen Gründe mehr für ein Lachen, ein gefühltes Lachen, wie befreiend so etwas sein kann, wahrlich wundersam. Neben der Information zur Psychosomatik wurde dann auch so etwas wie ein ungefährer Fahrplan mit mir besprochen, indem man mir mitteilte, dass eigentlich nur noch ein wenig Einspülen und Training her muss und man dann bereit wäre mich auch gehen zu lassen. So was hört man ja gern, wenn ein Arzt, jemand der etwas zu sagen hat sagt, dass man ja nicht tagelang hier herum liegen muss, obwohl eigentlich alles erledigt ist. Na ja ganz so war es wahrscheinlich dann auch wieder nicht zu verstehen, aber ein Bett ist eben auch nicht ewig frei... mir soll`s ja recht sein. Licht am Ende des Tunnels. Irgendwie gibt einem so was Hoffnung, dass man sich richtig entschieden hat, nicht aufzugeben.
Leider konnte ich keine Nachricht mehr an meinen „Kalifen der Weihnacht“ mit der doch ebenso beeindruckenden Vita wie der meinen mehr hinterlassen, da im Anschluss an meine Dialyse eine gewisse Hektik dafür sorgte, dass man die Erstspülung dann kurz in einem kleinen Nebenraum durchgeführt hat und ich weiß gar nicht, ob ich früher ne volle Hohlnuss war oder einfach nichts gecheckt habe, aber etwas simpleres als den Prozess der CAPD habe ich selten gesehen, idiotensicher. Auf die Trainings freue ich mich schon, klar hatte ich schon irgendwie etwas Respekt vor der Nummer, aber früher schien das alles viel komplizierter gewesen zu sein. Vielleicht war das aber auch der Situation geschuldet, dass meine Mutter mit ihrer ungezügelten Art die Fähigkeit zu besitzen scheint alles mit Stress und Komplexität aufzuladen, selbst die simpelste Kleinigkeit. Ich glaube es gibt eigentlich nur eine wichtige Regel. Desinfektion ist GOTT. Wenn man sich daran hält und nicht vollkommen hornochsig ist, sollte es nicht gelingen großartige Fehler zu produzieren.

Gegen 13 Uhr war ich dann auch wieder auf der Station und durfte mich dem mies gelaunten Sergej gegenübersehen, aber irgendwie ist mir das auch so egal, was der Kerl für ein Problem hat, soviel schlechtes Karma umgibt diesen Menschen, das kann schon nicht gesund sein. Wie der vergiftete Apfel, der zusammen mit den Gesunden im Korb liegt und das Leben aussaugt wo er kann. Mir kann das nichts anhaben heute. Es ist eine weitere Prüfung, ich könnte einstimmen in die Unzufriedenheit und hadern, aber WAS sollte es bringen. Wenn diese Vorgehensweise jemals etwas gebracht hätte, wäre die Menschheit nicht so verkommen und neidvoll auf ihre gegenseitigen Nichtigkeiten. Wer sich nicht wehrt, der wird auch nicht gerettet. Sergej ist stinksauer, hat Schmerzen und macht auf mich den Eindruck eines sehr unzufriedenen Menschen, aber das hat er sich vermutlich komplett selbst zu zu schreiben. Das Leben gibt uns immer nur soviel zu tragen, wie wir auch wirklich zu tragen im Stande sind. Das System ist narrensicher, auch wenn es Idioten wie mich gibt, die seine Fehlbarkeit in ihrer ganzen Arroganz des menschlichen Forscherdrangs finden wollen und den Fehler des Systems zu sehen scheinen, der nicht da ist. Der einzige Fehler ist, sich selbst nicht im Konzept zu sehen, zu denken man würde außerhalb des Systems agieren können. Eine Wahnsinnsvorstellung, die schon die schlausten Köpfe an den Rand ihres ach so überlegenen Verstands gebracht haben... Ich sage euch was, scheißt auf das Alles, es ist Weihnachten, seit 11 Tagen habe ich gerade das erste Mal die Sonne gesehen und es ist ein überwältigendes Gefühl, wie der Kuss eines Engels, nur herabgestiegen um meiner gewahr zu werden und mir ein Licht zu sein in der Dunkelheit, der Umnachtung, des Schattens, der sich so lange meiner bemächtigt hatte, wie der Nebel, der die Tage über dem Land lag und alles in den Dunst legte. Die Rückkehr Gandalfs kommt mir in den Sinn, als am Horizont das weiße Licht des Stabes die beinahe siegreichen Horden des dunklen Herrschers zu Staub zermalmt und über die Ebene ein Schwall von Licht und guter Energie den Sieg für unsere Helden bringt, vorerst. Es ist bloß die Schlacht um Helms Klam, doch ein Sieg ist immer ein guter Grund, den Krieg nicht verloren zu geben. Und so werde auch ich keinen Krieg verloren geben, dessen Sieg ich in einer atomischen Chance irgendwo wahr zu nehmen vermag. STAY STRONG – ABER STAY!
Ein Wort wie Aufgabe hat mir noch nie gelegen, wie konnte ich mich damit nur so sehr identifizieren? Ich war, ich muss umnachtet gewesen sein, mir fehlt derzeit sogar das Verständnis für viel von dem, was mein Handeln beeinflusste, wie ein Kriegsgefangener der nach Hause kommt und seine Taten nicht begreift, wie ein Wanderer, der nach jahrelangem Umherirren endlich seinen Weg zurück findet und sich fragt, wie er ihn je verloren haben konnte, wie der brennende Funke, der das Feuer erneut entfacht, als die Glut schon erloschen schien... Wie das Leben, das in den toten Körper zurückfährt, ja genau, wie die verdammte Wiedergeburt einer mythischen Sagengestalt, der Scheintote, dessen bereits festgestellter Tod bloß ein Irrtum war, bereits vergraben und verscharrt mit den Händen durch Erdhügel grabend um wieder ans Licht des Tages zu kommen, es nur einmal noch sehen zu können als größtes Ereignis, welches der Kosmos zu bieten hat. Verflucht, das klingt als wäre ich komplett high! Dabei fühle ich mich so klar und „normal“... Verrückte Weihnachten hier im Krankenhaus, vielleicht hatten Lando und Charistian ja doch recht, dass die merkwürdigen Gashahnattrapen an der Wand wirklich so etwas wie ein Beruhigungsgift durch den Raum leiten, damit die Leute schlafen... und weil heute Weihnachten ist gibt es irgendwas für die Junkies. Und in der Station tanzt der Hexensabbat um den Tannenbaum und singt mit krächzender Stimme: „Merry Christmas, I don`t wanna fight tonight!“ Joey Ramone sei dank für dieses Stück Musik, mein absolutes Lieblingsweihnachtslied. Auch wenn ich heute irgendwie gar keine Weihnachtsmusik ertrage und lieber das Sunshine Live Programm der Mix-Mission laufen habe, weil es so schön sphärisch und neutral ist, die Botschaft wenigstens einmal im Jahr keinen Streit vom Zaun zu brechen und alles cool sein zu lassen hat etwas sehr sehr tröstliches, auch für den Grinch in mir...
Welch beklemmender Moment gerade, als das verdammte Webradio nicht mehr lief. Ich bin nicht sicher, was hier heute noch passiert, aber ich hoffe einfach mal, dass Sergej keine russische Polkaparty angeleiert hat und ich mich am Ende des Tages noch mit den Auswüchsen fremder Kulturen auslassen muss, nichts gegen den Kalifen, denn der war ja ultra gechillt aber einer von den grießgrämigen Stinkstiefeln in meinem heiligen Abend reicht mir echt ohne Gnaden!
Und genau aus diesem Grund musste ich mich einfach erdreisten zur von mir in Kindertagen so erinnerten Bescherungszeit ein wenig Rabatz zu machen. DEEP PURPLE – CHILD IN TIME
Das ist der Hit für mich in genau diesem Moment, es ist die Hoffnung auf Wacken, darauf dass alles wieder metallisch wird und die Qualen ein Ende nehmen, die ganze Power soll herauskommen und das tut sie gerade, ich kann mich kaum bremsen lauthals mit zu schreien...
Es wurde dann am Ende ein doch recht besinnlicher Abend, bei einer Runde Scrabble und sehr viel schlechter Luft, dem Gefühl, dass man irgendwie auf Droge sei und viel Schokolade und hemmungslosem Schlemmen. Leider wurde irgendwann der Hals etwas schwer, Eliza ist böse gewesen und hat deshalb Weihnachtsdienst. Aber ich fange langsam an sie ins Herz zu schließen, toll war auch, dass man uns als Familie irgendwie in Ruhe gelassen hat und wir ein richtig schön harmonisches Fest verleben konnten. Am Abend kam noch Schwester Amira herein und ich weiß nicht, bisher hatte ich die ja auch als eher bürstig und etwas distanziert erlebt aber in diesem Moment, wie sie da so hereingeschwebt kam, engelsgleich, da hätte man sich auch direkt in sie herein verlieben können. Sie ist einfach toll irgendwie, wie ein Traum aus 1000 und einer Nacht. Und hinter der harten Schale scheint eine weiche Amazone zu schlummern, die auch einfach nur mal in den Arm genommen werden möchte.

12/23/2012

Dreiundzwanzig

Der Tag vor Heilig Abend, nach der Nacht im Dschungel werde ich geweckt von den Amazonen der Station, die mit ihrem Charme beinahe Räume erhellen und jeden noch so frühen Morgen zum Sonnenbad der Glückseeligkeit machen. Klingt schon wieder absolut übertrieben, gelle? Das liegt hier an der Kombination aus absoluter Tristesse und Abwesenheit irgendwelcher Reize, mit der einzigen Ausnahme der Schwestern und dem alltäglichen Wahnsinn der Nichtigkeit, wie die einen Morgen um halb 7 nach unruhiger Nacht neben einem schnarchenden Ungeheuer aus dem Kaukasus zu beginnen und seine Hauptfreude aus dem Lächeln der Prakikantinnen und Schwestern zu ziehen, während man voller Hoffnung auf die erste Tagesmahlzeit wartet und immer wieder bemerkt, dass es im Krankenhaus eben vor allem das Wort krank ist, das den Tag bestimmt, wie gesund man sich auch fühlen mag. Das erste Drama kündigt sich bereits an, wenn die Gedanken vom Gang zur Morgentoilette zu kreisen beginnen, das Gefühl wieder frisch und reinlich zu sein unter der Abwägung der Strapazen, die dazu führen, sich so fühlen zu können. Ich weiß ja nicht, wie abnormal ich bin, aber mir scheint es hier eine Art umgekehrte Reihenfolge zu geben, die ich persönlich für unsinnvoll halte, ich esse eigentlich lieber erst und mache mich im Anschluss tagesfrisch. Und mit tagesfrisch meine ich sauber und frisch frisiert. Mitten in die Gedanken zur Morgenhygiene und der Reihenfolge der Martern, die kleinen Dinge des Lebens meistern zu können huscht die thrombosespritzende Eliza und versucht mit ihrem ganz eigenen Charme aus dominant und verspielt eine lockere Atmosphäre zwischen uns aufrecht zu erhalten. Das macht es auch für mich erträglicher, den Sinn, den ich nicht sehe in den Injektionen zu finden, den es ja dann trotz Einbildung und guter Propaganda irgendwie nur auf dem Papier gibt. Wie sagte doch heute morgen schon mein russischer Zimmergenosse so treffend, „Krankenhaus ist kein Kuraufenthalt“.
Während ich noch grinsend über die Neckereien im Bett hocke macht sich mein Kollege schon mit größter Sorgfalt für den Tag bereit, indem er das „Bad“ eindieselt und seinen von Wasser gefüllten Körper säubert. Und gerade als ich das ständige Plätschern und den süßlichen Duft russischen Moschusochsen aus meinen Gedanken verdränge betritt die Wochenendvisite das Zimmer. Ich hatte sie gestern schon wahrgenommen, allerdings nur teilweise, da ich dem Schlaf deutlich zugeneigter gewesen war. Heute aber konnte ich sie in ihrer Gänze erfassen und als eine deutlich positive Erscheinung identifizieren. Bestimmt wieder die Medikamente, die in meinem Kopf aus einer durchschnittlich attraktiven, ich vermute mal Assistenzärztin so etwas wie einen morgendlichen Engel in Weiß produzierten, die fast feengleich in den Raum hinein schwebte, ein Lächeln aufsetzte, sich nach dem Befinden erkundigte und weiter huschte, und das alles noch weit bevor es so etwas wie Sonne am Himmel zu erblicken gab. Es ist scheissefrüh, es ist Sonntag und man fragt sich, wie lang so ein Tag wohl werden kann, wenn alle wichtigen Dinge des Tages noch vor dem Frühstück von der Agenda verschwinden. Ob hier wohl irgendwem bewusst ist, wie sehr man unwichtige Dinge durch die Strategie alles innerhalb der ersten halben Wachstunde hochstilisiert und damit den Rest des Tages zur unausweichlichen Qual des Wartens auf irgendetwas, das nicht passiert degradiert? Oder wollen hier einfach alle den ganzen Tag eine ruhige Kugel schieben und nichts tun und dafür lohnt es sich dann wohl, morgens um 7!!! auf einen Sonntag das komplette Programm abzuwickeln? Ich bin mir nicht sicher. Aber Sicherheit sollte man sich hier sowieso abgewöhnen, das kann auf Dauer nur zur Enttäuschung werden, denn sicher ist bloß, dass der Tageslauf nicht anhält, irgendwie pletschert es so vor sich hin, Informationen sind der Kaffeesatz im Sieb der kaputten Maschine und niemand weiß, wann es neue gibt oder ob diese nicht vielleicht schon in der nächsten Sekunde verworfen werden können. Bislang habe ich keine weiterführenden Informationen erhalten, wie es mit mir weitergehen soll, klar morgen Dialyse aber sonst? Wer weiß schon, was das alles bedeuten soll? Schön war, dass mich gestern Abend noch mein Chirurg besuchte und mir ein gutes Gefühl hinterließ, als er mit seiner Arbeit zufrieden schien. Keine wirkliche Information für die Zukunft, bloß so etwas wie ein minimales Gefühl von Seelenfrieden, irgendetwas richtig gemacht zu haben, wenigstens vom Gefühl her. Gefühl insgesamt, eigentlich schon die größte Überraschung, denn eigentlich war ja das Gefühl in den letzten dunklen Tagen ein eher seltener Gast in meiner Persönlichkeit. Aber scheinbar ist es noch irgendwo in den Schluchten meines Ichs verborgen und wartet bloß darauf sich wie ein Phoenix aus der Asche auf ein Comeback vorzubereiten. Das könnte mir gefallen denke ich.
Doch erst einmal liegt ein weiterer grauer Tag vor uns, getaucht in trübstes Regenwetter mit dem Ausblick auf eine Menge Nichts im Umland der Uniklinik. Als hinge seit Wochen ein Schleier über dem Sein, jeden Tag das gleiche Bild, grau, grau und noch mehr grau, zur Abwechslung gibt es alle zwei oder drei Tage auch mal dichtes Grau in Form von Nebel, der die Sicht dann vollends einhüllt und das Gefühl der Ziellosigkeit, der alles durchdringenden Ungewissheit des Seins und Aussichtslosigkeit unterstützt. Ob Jaqueline wohl mit einem Kerl wie mir... ? Sollte ich echt schon wieder so weit sein, dass sich alle Gedanken bloß wieder auf die einzigen positiven Dinge meines Aufenthalts hier beschränken, weil das Nichtstun und Warten, unterbrochen von Schmerzen beim Husten verursacht durch den infektiösen Zimmernachbarn, den man mir hier hingelegt hat um mein Leid zu verlängern. Vielleicht ist das aber auch genau die Strafe, die ich in jenem Moment verdiene, eine Spiegelvariante meiner Selbst sozusagen. Mir zu zeigen, wie rücksichtlos ich all die Zeit meine Probleme als den Mittelpunkt aller Wichtigkeit dargestellt und nach außen proklamiert habe? Die Parallelen sind doch sehr auffällig, das großspurige Auftreten, das Sergej hier, Sergej da, „Schwester tu dies, Schwester tu das!“ verbunden mit der nörgeligen Unzufriedenheit und ständigem Meckern, Unverständnis in jeder noch so kleinen Geste, eigentlich ein netter Kerl, der sich wie ein Kotzbrocken aufführt, medikamentenbedingt? So werden es die Schwestern sich sicher einreden, um sich nichts vorwerfen zu müssen, denn ganz ehrlich, ihnen eine Schuld für solches Fehlverhalten anzudichten wäre vermessen und unfair. Die tun nun wirklich ihr Allerletztes, wie schrecklich es doch ist, dass hoffnungsvolle junge Frauen ihr Weihnachten mit undankbaren und größtenteils unansehnlichen kranken Menschen verbringen müssen, während überall anders die Familien zusammenrücken und sich dem Zauber von Weihnachten hingeben und vielleicht der ein oder andere friedliche Neuanfang gestartet werden mag. 
Wie vor 98 Jahren in den Schützengräben des ersten Weltkriegs. Keinerlei Fortschritt und doch sangen damals Feinde zusammen Weihnachtslieder und zeigten, dass der Mensch mehr ist als das kalte Bestienwesen, dass ich die meiste Zeit in ihm sehe. Ich stehe im 13. Stock am Fenster und blicke auf den Stadtrand von Münster, Regenwetter, Wind und alles erinnert irgendwie an den Nürburgring, die Anmut von Nibelungen Liedern, dazu ein hyperaktiver Russe, der von gutem Wetter spricht und einer schönen Stadt, als würde die Realität sich für ihn längst verabschiedet haben. Wer weiß, was sie ihm in die Arznei gekippt haben, ich glaube ja langsam, dass er gänzlich irre ist, fing er doch heute schon an mir zu erzählen, dass wir jetzt ab Morgen Waffenbrüder seien, weil wir beide Dialyseverwundete wären. Als ich gestern meine Kriegsdokus guckte empfand ich es schon fast als ulkig, dass ich plötzlich der jenige auf der Station zu sein scheine, der „SEI SOLDAT“ als Kommando ausgibt. Ich wüsste irgendwie wirklich gern, was aus diesem Verrückten geworden ist, der damals nachträglich gesehen, ja doch einen 12 Jährigen deutlich prägte mit seinen Durchhalteparolen im Schlamm der Nephrologie, von Blut verschmiert und im Schlachtengetümmel der Überlebenden. Wenn ich nicht so „reflektiert“ wäre würde ich fast behaupten, dass ich heute dieser alte Haudegen sein könnte....
Die Nordschleife als Galgenschlinge der Hoffnungslosen zieht sich enger um meinen Hals ohne, dass es eine Bedrohung des Lebens mit sich ziehen könnte. Bloß das Gefühl der Ausgeliefertheit, diese endlos wirkende Einsamkeit, ein Regentropfen im Meer der Strömungen, Fluten endloser Wässer hernieder stürzend, dem Wahnsinn doch so nah und ferner als ich es je war. Schwebend, pulverisiertes zerstäubtes Wasser, wie Dunsthauben aus Quasaren lebensspendendem Erdensaft, überall und nirgends, hier und dort, schwebend, durchsichtig, unsichtbar und doch massiv!
Das Mittagessen, Reis, Hähnchenflügel und Blumenkohl, so sehr durchgegahrt, dass es sogar mir einigermaßen geschmeckt hat, allerdings hatte ich noch nie diesen Drang gehabt, so etwas essen zu wollen. Mit ihrer bescheuerten Idee einer Diät schießen die sich nur so weit ins Bein, dass ich natürlich von Tag zu Tag abnehme, weil ich es einfach nicht mag, wenn man mir a) vorschreiben will was und b) wann ich es essen soll. Aber wenigstens schmecken die Gerichte einigermaßen, sogar die, die ich eigentlich gar nicht mag und bei einigen Dingen lasse ich mich ja auch ganz gerne überraschen, dass es doch schmecken kann, ich sage nur Eintopf am Vortag, da hätte man mit ner Wettquote gestern nen richtigen Jackpot gewinnen können, wenn man getippt hätte, ICH würde Eintopf essen. Medikamente schießt es mir in den Sinn! Vermutlich ist das tatsächlich der Hauptgrund warum ich nicht vor Wut rot anlaufe und stoisch einfach esse, was sie mir hinstellen, einfach weil die Medis mich so sehr betäuben, dass der Sinn der Sache einziges Entscheidungskriterium wird. Und diese ganzen Marmeladen, ich wusste nicht einmal, dass ich die mag, Rote Grütze, wie ich mich da rein setzen kann, verrückt!
Sergej scheint das Wetter wirklich zu gefallen, fasziniert steht er oft minutenlang am Fenster überblickt das verregnete Panorama und redet von Schnee bei 13 Grad, als sei es bloß eine Sache der Vorstellung sich einen Winterwunderwald mit Schneesturm und fliegendem Weihnachtsschlitten vorzustellen. Und Knecht Ruprecht oder Prinz Weihnacht halten sich den Bauch und lachen den strahlenden Kindern ins Gesicht.
Ich sehe da draußen nur einen wahnsinnig deprimierenden verregneten grauen Schleier, der wie die natürliche Abbildung meines Seelenzustands fungieren könnte, um mich herum scheint langsam so etwas wie Weihnachtsstimmung aufzukommen, doch in meinem Herzen ist bloß Winter. Genau so grau wie alles hier, der Tag gleicht bloß einer nicht gewährten Sonne und das seit Wochen, was wird es bloß für ein Gefühlschaos in mir auslosen, sollte ich sie jemals wieder zu sehen bekommen. Und wieder warte ich. Derzeit vor allem auf die Ankunft meiner Angehörigen, die mit mir den Sonntagnachmittag verbringen mochten, doch auch hier schwindet langsam erneut die Hoffnung, es dauert alles schon wieder sooooooo lang. Aber keiner kann da etwas für, die Zeiten sind halt so, wenn der Hobbit wandelt!
„Deine Augen machen Bling Bling und alles ist vergessen!“ Das könnte man hier auch des öfteren mal zu den Mädels sagen, die sich hier abrackern und mit den unzufriedenen Kranken und deren teilweise völlig überzogenen Ansprüchen konfrontiert sind. Eigentlich soll man ja nicht gehässig sein und sich über das Leid anderer erfreuen, aber mein ungeduldiger Freund hier auf der Bude könnte vielleicht mal ein wenig Demut gebrauchen, von nur Schnarchen und herum meckern wird man weder gesund noch sammelt man bei irgendwem Sympathien. Auch wenn man für die eigenen körperlichen Gebrechen nicht wirklich etwas können muss, sollte man doch wenigstens soviel Anstand und Geduld aufbringen, das Personal seine Arbeit erledigen zu lassen und nicht ständig nach der Schwester krähen, weil die eigenen Arterien zu verkalkt sind um eine vernünftige Bluttransfusion über die volle Distanz zu ertragen. Was soll ich eigentlich sagen? Ich welke hier Tage vor mich hin, verliere Stunde um Stunde von meiner Lebensuhr in der ich nicht aktiv bin, weil es nichts gibt, wofür ich mich aktivieren müsste... Und dieser Wurm sollte noch froh sein, dass er keine Schmerzen hat und was tut er stattdessen, wie ein Rohrspatz verbreitet er schlechte Laune und da bringt es auch nichts, dass er die Krankenhausküche schmäht und mir alles abgeben will, irgendwie sollte man sich doch auch mal ein wenig am Riemen reißen können, ich schaffe das doch auch und ICH bin psychisch ein Wrack und Geduld ist nun wirklich keine meiner heraus stechenden Eigenschaften. Aber ich schaffe es die Situation angemessen und im Rahmen der Gegebenheiten zu ertragen. Klar würde ich auch viel lieber Streifzüge durchs Gebäude machen und mich irgendwie davon ablenken, dass morgen Weihnachten ist und ich allein im Turm von Saruman festhänge und morgen dann den ruhigsten Tag des Jahres mit einer tollen Premiere der sogenannten „Spülung“ meines neuen Kathethers zu beginnen. Dazu noch eine tolle Dialyse, was könnte man sich besseres wünschen, wahrscheinlich bin ich dann morgen Nachmittag so dermaßen gerädert, dass ich an der Pseudo-Festivität einer kleinen Weihnachtssiesta den absoluten Spaß maximal Lestat zu Liebe spielen müsste, aber eigentlich ist mir das viel zu dämlich. Es könnte morgen doch tatsächlich der Tag werden an dem ich mich von den letzten menschlichen Emotionen meiner Kindheit und den damit verbundenen Traumata zu lösen vermag. Sehr passend dazu ist auch das Radioprogramm, wo ich gerade „Die young“ von Kesha durch die Boxen jage und dann fetzt direkt Cro hinterher und macht sogar mir gute Laune, lächerlich eigentlich, aber das die derzeitige Situation bizarr und lächerlich ist muss ich ja nun auch nicht in jedem Absatz dreimal erwähnen!
Mittlerweile ist es 15 Uhr und was hat sich geändert seit heute morgen? Hm kurz überlegen, NICHTS, ewig schnarcht der Sergej, nicht einmal laute Musik übertont das Urwaldgrollen seiner verrotzten Nebenhöhlen, ich bin nicht sicher ob es ihm selbst bewusst ist, wie sehr er mich damit in den Wahnsinn treibt, aber ich ertrage es mit Ruhe, Tee und dem Wissen, dass es ja nicht für immer ist. Irgendwann wird sein verdammtes Blut eingelaufen sein und dann wird er sich wieder aufmachen und verschwinden, auch wenn ich große Sorgen habe, dass ich diesen Jammerlappen nie mehr loswerde...

12/22/2012

Zweiundzwanzig

Seit drei Tagen bin ich irgendwo zwischen Sein und Scheiden, im Meer der absoluten Ungewissheit, auf Tränen vollen Wogen setzte ich über zu den Iden des Lebens, doch legte sich der Nebel unheilvoll über das was in Hoffnung geboren und ich sehe nicht den Weg. Wie es weiter geht, möchte ich gern wissen, doch was gilt es zu fragen? Weihnachten, ja hm, alles verliert die Bedeutung und ich will bloß eines, Überleben und hier raus. Wie? Keine Ahnung, seit der OP bin ich scheinbar keine Priorität mehr oder sowas, als ob ich mich um alles jetzt selbst kümmern müsste, vielleicht hätte ich die drei Tage eingeschränkte Bettruhe zum Schlafen nutzen sollen, aber ich kann ja auch nicht den ganzen Tag schlafen, ich will irgendwas tun. Wie sinnvoll man die Zeit hätte nutzen können? Aber ich fühle mich wie ein Patient 2. Klasse, als sei mein Schandmal, wie ich hier landete mir ins Gesicht gemeißelt und ich werde nur noch aus Mitleid geduldet unter den Lebenden, als „Dead Man Walking“ als Leichnam unter Ihnen, wie die schaurige Gestalt, das Grauen, der Spiegel, dem sich niemand stellen kann. Und ich bleibe allein mit meinen Selbstvorwürfen und der Ungewissheit und dem Gefühl nichts tun zu können, weil man es mir gar nicht mehr zutraut, dass ich gewillt bin IHREN Kampf wieder zu führen, warum sonst hätte ich eingeschlagen, als mir der sanfte Verführer eine letzte Chance zu generieren suchte? Lasst sie mich doch nutzen, sagt mir was ich tun muss, Schmerzen? Gebt mir Schmerzen, wenn es der Katharsis dient. Rückschläge, her damit dient es der Katharsis werde ich es durchstehen, Qualen, mehr Qualen, erneute Seelenkriege, so sei es, muss ich über weitere Grenzen gehen? Wenn es sein muss, ich tu es ja, aber stattdessen straft mich das Leben nun mit dem größten Schlagwerkzeug, welches es hat, mit Ignoranz. Leben ist Schmerz und Schmerz ist so ziemlich die heilsamste Methode zu Selbsterkenntnis aber ein gerettetes Leben ohne Perspektive, ohne das Gefühl, es zu spüren, ohne das Bewusstsein seiner Existenz, ohne die Chance auf die Chance zur Chance ist wertneutral und dem Tod keinesfalls vorzuziehen. Der Tod ist mir so nah, dass er zu jeder Meinung direkt eine Notiz vermerken könnte und doch fühle ich mich objektiv mal von der völligen Abwesenheit von positiver Emotion so lebendig, wie seit Jahren nicht. Aber warum sollte es dafür schon zu spät sein? Ich bin nicht begeistert, dass es die letzten Tage sein könnten und niemand Anteil daran nimmt, generell nimmt niemand an irgendetwas Anteil, es ist eigentlich total traurig, doch ich bin nicht einmal in der Lage diese Emotion zu verspüren, weil ich versuche stabil zu bleiben, fokussiert, das Ziel im Auge, das Leben im Blick, nur dafür zu existieren, der psychische Sturz muss warten, der See ist zwar voll gelaufen und die ersten Dämme würden sich mit Freuden niederknien, sich ins Tal zu ergießen, den ganzen Weg frei zu brechen, die Dörfer zu zerschmettern, angehäuft mit der Dummheit, der Naivität, dem Versagen des Vergangenen, des Schadhaften, welche eine Industrie der Angst, der Kontrolle, der Selbstverleugnung, der Aufgabe initiierte. Doch der Damm bricht nicht, die kleinen Bruchstellen werden schnell gestopft, doch die Flut steigt und steigt. Niemand sieht es außer mir, ich vermag es nicht zu sagen, sie in Panik zu versetzen würde niemanden retten, es gäbe nur mehr Ungewissheit, mehr Opfer, am Ende muss ich mir auf meine Selbstvorwürfe weitere Berge aufhäufen, die sich ins Tal ergießen um meine Existenz zu fluten und am Ende nichts als zerstörte leere Ödnis hinterlassen werden.

Was genau ist eigentlich passiert, dass ich am Ende dieses Weges landen musste, der niemals meiner war, oder aber genau mein Weg und deswegen hart und steinig wie die sprichwörtliche Hölle. Ich will es immer so mythologisch neutral als möglich ausdrücken, doch wir sind so sehr von unserer kindlichen Religionsprägung verätzt, dass es Teil unserer Existenz ist in Kategorien wie Himmel und Hölle zu denken, auch wenn sie keinerlei Bedeutung für uns haben. Gott und Teufel als Kreaturen für Gut und Böse zu benutzen, ohne ihrer wahren Bedeutung nur nahe zu sein, die sie als mythische Figuren über Jahrtausende ansammeln konnten. In vielen Ländern der Erde wird Gastfreundschaft groß geschrieben, das Miteinander ist ein hohes Gut in vielen Kulturen der Welt, doch wenn wir auf uns gerichtet sind, auf unseren innersten Kern, den Punkt zwischen Gut und Böse, dann sind wir bloß noch Menschen, Überlebende des Sinnlos-Holocausts der Zeit und verloren im Allen des Nichts. Wie ich. Trotz der einigermaßen ruhigen Lage meines Zimmers und dem tollen Besuch zweier meiner besten Freunde bringt es mir nichts an Mehrgefühl auf Dauer. Die Zeit verliert ihren Wert, alles unscharf, russisch wird zu Sprachgewirr, welches sich in Schwällen von boshafter Zunge auf die Mühlen der geschändeten Seele ergießt und trotz nicht vorhandener Antipathien wieder so etwas wie eine Regung in mir hoch holt. Ich weiß nicht, ob es der Neid ist, dass am Bett des hyperaktiven Sergej 8 Leute stehen und ich bloß meine 2 besten Freunde und meine Eltern sehe wenn ich denn überhaupt mal Besuch habe. Nein, es ist kein Neid, es macht mir Angst, dass ich es irgendwie geschafft habe, dass neben den 5 Personen, die meine derzeitige Handy Nummer haben niemand auch nur ansatzweise weiß, was los ist, obwohl es mir noch viel mehr Angst machen könnte, dass ich es selbst nicht weiß...
Aber ich weiß es nicht, weil ich es erst forciert, dann ignoriert und dann systematisch verborgen habe, erst vor der ganzen Welt und dann am Ende vor allem vor mir selbst. Die größtmögliche Täuschung ist die, wenn man sich selbst einreden kann, dass das Leben nur ein Spiel ist und das die die Konsequenzen immer nur für die anderen gelten und niemals das ach so tolle Selbstbild erreichen werden, die Gottheit des eigenen Seins, der Quell der allmächtigen Arroganz, wie konnte ich nur jemals so hoch fliegen und vergessen, dass schon ein winziger Flügel nicht der Hitze der Sonne widersteht, so wie es einst der Junge erfuhr, der in den Ozean stürzte als sich seine gewachsten Flügel entzündeten und sich seine Überheblichkeit gegenüber anderen zu seinem Untergang weideten.
Alexander, Salzprinz, komm nie wieder, warum fliegen Motten stets ins Licht.... Ganz sicher nicht bloß weil sie es können, doch andererseits wäre das noch die am wenigsten verstörendste Erklärung meiner Meinung nach. Wäre es eine bewusste Entscheidung der Motten, wären sie die geborenen Suizid-Lebewesen und würden damit die Bedeutung von Leben als wichtig und entscheidend deutlich in Frage stellen und damit mir und anderen wie mir die Hoffnung nehmen, an den Wert von so etwas wie Leben zu glauben. Warum ich mir über so etwas Gedanken mache? Motten können ins Licht fliegen, Brot kann schimmeln, ich kann mir über so etwas Gedanken machen und habe nichts anderes zu tun und keinerlei Ablenkungen von den essentiellen Dingen des Lebens, die so nichtig sind, wie sie es nur sein könnten, wenn das Leben eben nicht das von Bedeutung aufgeladene Konstrukt einer besseren Welt ist sondern einfach nur das Nichts in dem wir uns begegnen und verlieren, jeder für sich, allein in sich gefangen und ohne die Not des Gemeinen, des Ganzen, einfach Nichtig!
Ich will das nicht glauben können, das Nichts ist mir zu wenig, zu wenig ist mir das Sein, das Sein als Nichts, warum kann es nicht sein, wie ich es wollte? Als ich es wollte, zu meinen Bedingungen, zu meinem Zweck, warum ich keine Gottheit bin? Das ist die schlussendliche Frage, warum nicht ich, wenn es überhaupt möglich sei. Wenn überhaupt irgendetwas möglich ist, dann wird es vermutlich alles sein, was in seinem Umfang und Verarbeitungsverständnis unserem individuell ausgeprägten Gehirn zugänglich ist, zum Zwecke der Dominanz und der Fortentwicklung der eigenen individuellen Intelligenz im Sinne seines Schöpfers und somit selbst erfüllend in der Prophezeiung des Selbst einer Existenz die sich selbst schon überlebt hatte, bevor sie sich seiner Selbst bewusst ward.
Irgendwie ist Eliza schon eine ganz besondere Frau, wie mir scheint, ich glaube heute habe ich erstmals ihre zarte verletztliche Seite gesehen, wie sie da so ganz still und heimlich zwei Tage vor Weihnachten im Vorabend die Weihnachtsplatten aufgelegt hat und versucht ein wenig Fröhlichkeit weiter zu tragen, doch mich erreicht nur die tränenhafte Variante, warum weiß ich nicht, aber irgendwo ist wohl auch Weihnachten in der kindlichen Naivität meiner Vergangenheit ein Relikt und auch wenn ichs nicht eingestehen will macht es mich traurig an Weihnachten hier zu sein...