12/22/2012

Zweiundzwanzig

Seit drei Tagen bin ich irgendwo zwischen Sein und Scheiden, im Meer der absoluten Ungewissheit, auf Tränen vollen Wogen setzte ich über zu den Iden des Lebens, doch legte sich der Nebel unheilvoll über das was in Hoffnung geboren und ich sehe nicht den Weg. Wie es weiter geht, möchte ich gern wissen, doch was gilt es zu fragen? Weihnachten, ja hm, alles verliert die Bedeutung und ich will bloß eines, Überleben und hier raus. Wie? Keine Ahnung, seit der OP bin ich scheinbar keine Priorität mehr oder sowas, als ob ich mich um alles jetzt selbst kümmern müsste, vielleicht hätte ich die drei Tage eingeschränkte Bettruhe zum Schlafen nutzen sollen, aber ich kann ja auch nicht den ganzen Tag schlafen, ich will irgendwas tun. Wie sinnvoll man die Zeit hätte nutzen können? Aber ich fühle mich wie ein Patient 2. Klasse, als sei mein Schandmal, wie ich hier landete mir ins Gesicht gemeißelt und ich werde nur noch aus Mitleid geduldet unter den Lebenden, als „Dead Man Walking“ als Leichnam unter Ihnen, wie die schaurige Gestalt, das Grauen, der Spiegel, dem sich niemand stellen kann. Und ich bleibe allein mit meinen Selbstvorwürfen und der Ungewissheit und dem Gefühl nichts tun zu können, weil man es mir gar nicht mehr zutraut, dass ich gewillt bin IHREN Kampf wieder zu führen, warum sonst hätte ich eingeschlagen, als mir der sanfte Verführer eine letzte Chance zu generieren suchte? Lasst sie mich doch nutzen, sagt mir was ich tun muss, Schmerzen? Gebt mir Schmerzen, wenn es der Katharsis dient. Rückschläge, her damit dient es der Katharsis werde ich es durchstehen, Qualen, mehr Qualen, erneute Seelenkriege, so sei es, muss ich über weitere Grenzen gehen? Wenn es sein muss, ich tu es ja, aber stattdessen straft mich das Leben nun mit dem größten Schlagwerkzeug, welches es hat, mit Ignoranz. Leben ist Schmerz und Schmerz ist so ziemlich die heilsamste Methode zu Selbsterkenntnis aber ein gerettetes Leben ohne Perspektive, ohne das Gefühl, es zu spüren, ohne das Bewusstsein seiner Existenz, ohne die Chance auf die Chance zur Chance ist wertneutral und dem Tod keinesfalls vorzuziehen. Der Tod ist mir so nah, dass er zu jeder Meinung direkt eine Notiz vermerken könnte und doch fühle ich mich objektiv mal von der völligen Abwesenheit von positiver Emotion so lebendig, wie seit Jahren nicht. Aber warum sollte es dafür schon zu spät sein? Ich bin nicht begeistert, dass es die letzten Tage sein könnten und niemand Anteil daran nimmt, generell nimmt niemand an irgendetwas Anteil, es ist eigentlich total traurig, doch ich bin nicht einmal in der Lage diese Emotion zu verspüren, weil ich versuche stabil zu bleiben, fokussiert, das Ziel im Auge, das Leben im Blick, nur dafür zu existieren, der psychische Sturz muss warten, der See ist zwar voll gelaufen und die ersten Dämme würden sich mit Freuden niederknien, sich ins Tal zu ergießen, den ganzen Weg frei zu brechen, die Dörfer zu zerschmettern, angehäuft mit der Dummheit, der Naivität, dem Versagen des Vergangenen, des Schadhaften, welche eine Industrie der Angst, der Kontrolle, der Selbstverleugnung, der Aufgabe initiierte. Doch der Damm bricht nicht, die kleinen Bruchstellen werden schnell gestopft, doch die Flut steigt und steigt. Niemand sieht es außer mir, ich vermag es nicht zu sagen, sie in Panik zu versetzen würde niemanden retten, es gäbe nur mehr Ungewissheit, mehr Opfer, am Ende muss ich mir auf meine Selbstvorwürfe weitere Berge aufhäufen, die sich ins Tal ergießen um meine Existenz zu fluten und am Ende nichts als zerstörte leere Ödnis hinterlassen werden.

Was genau ist eigentlich passiert, dass ich am Ende dieses Weges landen musste, der niemals meiner war, oder aber genau mein Weg und deswegen hart und steinig wie die sprichwörtliche Hölle. Ich will es immer so mythologisch neutral als möglich ausdrücken, doch wir sind so sehr von unserer kindlichen Religionsprägung verätzt, dass es Teil unserer Existenz ist in Kategorien wie Himmel und Hölle zu denken, auch wenn sie keinerlei Bedeutung für uns haben. Gott und Teufel als Kreaturen für Gut und Böse zu benutzen, ohne ihrer wahren Bedeutung nur nahe zu sein, die sie als mythische Figuren über Jahrtausende ansammeln konnten. In vielen Ländern der Erde wird Gastfreundschaft groß geschrieben, das Miteinander ist ein hohes Gut in vielen Kulturen der Welt, doch wenn wir auf uns gerichtet sind, auf unseren innersten Kern, den Punkt zwischen Gut und Böse, dann sind wir bloß noch Menschen, Überlebende des Sinnlos-Holocausts der Zeit und verloren im Allen des Nichts. Wie ich. Trotz der einigermaßen ruhigen Lage meines Zimmers und dem tollen Besuch zweier meiner besten Freunde bringt es mir nichts an Mehrgefühl auf Dauer. Die Zeit verliert ihren Wert, alles unscharf, russisch wird zu Sprachgewirr, welches sich in Schwällen von boshafter Zunge auf die Mühlen der geschändeten Seele ergießt und trotz nicht vorhandener Antipathien wieder so etwas wie eine Regung in mir hoch holt. Ich weiß nicht, ob es der Neid ist, dass am Bett des hyperaktiven Sergej 8 Leute stehen und ich bloß meine 2 besten Freunde und meine Eltern sehe wenn ich denn überhaupt mal Besuch habe. Nein, es ist kein Neid, es macht mir Angst, dass ich es irgendwie geschafft habe, dass neben den 5 Personen, die meine derzeitige Handy Nummer haben niemand auch nur ansatzweise weiß, was los ist, obwohl es mir noch viel mehr Angst machen könnte, dass ich es selbst nicht weiß...
Aber ich weiß es nicht, weil ich es erst forciert, dann ignoriert und dann systematisch verborgen habe, erst vor der ganzen Welt und dann am Ende vor allem vor mir selbst. Die größtmögliche Täuschung ist die, wenn man sich selbst einreden kann, dass das Leben nur ein Spiel ist und das die die Konsequenzen immer nur für die anderen gelten und niemals das ach so tolle Selbstbild erreichen werden, die Gottheit des eigenen Seins, der Quell der allmächtigen Arroganz, wie konnte ich nur jemals so hoch fliegen und vergessen, dass schon ein winziger Flügel nicht der Hitze der Sonne widersteht, so wie es einst der Junge erfuhr, der in den Ozean stürzte als sich seine gewachsten Flügel entzündeten und sich seine Überheblichkeit gegenüber anderen zu seinem Untergang weideten.
Alexander, Salzprinz, komm nie wieder, warum fliegen Motten stets ins Licht.... Ganz sicher nicht bloß weil sie es können, doch andererseits wäre das noch die am wenigsten verstörendste Erklärung meiner Meinung nach. Wäre es eine bewusste Entscheidung der Motten, wären sie die geborenen Suizid-Lebewesen und würden damit die Bedeutung von Leben als wichtig und entscheidend deutlich in Frage stellen und damit mir und anderen wie mir die Hoffnung nehmen, an den Wert von so etwas wie Leben zu glauben. Warum ich mir über so etwas Gedanken mache? Motten können ins Licht fliegen, Brot kann schimmeln, ich kann mir über so etwas Gedanken machen und habe nichts anderes zu tun und keinerlei Ablenkungen von den essentiellen Dingen des Lebens, die so nichtig sind, wie sie es nur sein könnten, wenn das Leben eben nicht das von Bedeutung aufgeladene Konstrukt einer besseren Welt ist sondern einfach nur das Nichts in dem wir uns begegnen und verlieren, jeder für sich, allein in sich gefangen und ohne die Not des Gemeinen, des Ganzen, einfach Nichtig!
Ich will das nicht glauben können, das Nichts ist mir zu wenig, zu wenig ist mir das Sein, das Sein als Nichts, warum kann es nicht sein, wie ich es wollte? Als ich es wollte, zu meinen Bedingungen, zu meinem Zweck, warum ich keine Gottheit bin? Das ist die schlussendliche Frage, warum nicht ich, wenn es überhaupt möglich sei. Wenn überhaupt irgendetwas möglich ist, dann wird es vermutlich alles sein, was in seinem Umfang und Verarbeitungsverständnis unserem individuell ausgeprägten Gehirn zugänglich ist, zum Zwecke der Dominanz und der Fortentwicklung der eigenen individuellen Intelligenz im Sinne seines Schöpfers und somit selbst erfüllend in der Prophezeiung des Selbst einer Existenz die sich selbst schon überlebt hatte, bevor sie sich seiner Selbst bewusst ward.
Irgendwie ist Eliza schon eine ganz besondere Frau, wie mir scheint, ich glaube heute habe ich erstmals ihre zarte verletztliche Seite gesehen, wie sie da so ganz still und heimlich zwei Tage vor Weihnachten im Vorabend die Weihnachtsplatten aufgelegt hat und versucht ein wenig Fröhlichkeit weiter zu tragen, doch mich erreicht nur die tränenhafte Variante, warum weiß ich nicht, aber irgendwo ist wohl auch Weihnachten in der kindlichen Naivität meiner Vergangenheit ein Relikt und auch wenn ichs nicht eingestehen will macht es mich traurig an Weihnachten hier zu sein...

12/21/2012

Einundzwanzig

Während die ganze Welt im Chaos versinkt und sich auf das große Fest der Liebe vorbereitet warte ich auf meine OP, die mir ein weiteres Leben ermöglichen würde... In frühester Morgenstunde werde ich von den lustigen Krankenfahrern zur Chirurgie gefahren und dort dann in eine Art Warteraum mit Bett gelegt, wo ich mir erstmals vorkomme, wie ein Stück Fleisch, dass auf Halde gelegt wird, bis man sich darum kümmern kann, obwohl so fühlte ich mich schon vorher oft, aber das ist ja eine andere Geschichte. Im Radio dudeln sie mal wieder die üblichen Weihnachtsklassiker und mir wäre fast ein wenig Kotze hochgekommen, wenn ich denn noch etwas im Magen hätte, aber da ich schon seit gestern Abend nichts gegessen hatte, war das wohl sehr schwierig... Also versuchte ich es zu ignorieren und wartete auf die OP, leider waren heute auch noch die Champions-League Auslosungen und das auch noch zum gänzlich ungünstigsten Zeitpunkt, wenn ich unterm Messer liegen soll... also musste ich die Annästhesisten dazu bringen mir direkt nach dem Aufwachen mitzuteilen, wer der Achtelfinalgegner des BVB ist. Die OP-Vorbereitungsfragen und mich aufzuregen war für mich halb so wild, genauso ungerührt ließ mich das Wiegen auf dem Schlachtbrett aus Stahl und die Erläuterungen, dass ich trotz der nur 45 Minuten dauernden OP durchaus dabei draufgehen könne... Halb so wild, wenn man aus dem Tal des Todes kommt oder? Nunja, dann mal los... Kick me out!!!


12/20/2012

Zwanzig

So habe ich mich zwischenzeitlich auch gefühlt als ich das 5:1 unserer Truppe über Hannover miterlebte, in einer kleinen Abstellkammer auf meinem tragbaren Fernseher und voller Gefühlschaos, ob der anstehenden OP am morgigen Tag, auch wenn der Chirurg es schaffte mir ein wenig die Angst zu nehmen und die Zweifel an mir und meinem Überlebenssinn nahm. Die Entscheidung LEBEN zu wollen habe ich doch schon getroffen, also warum sollte ich mich jetzt noch schämen, jetzt dafür zu kämpfen?
Ich bin mir bewusst, dass es noch ein weiter Weg ist, bis ich wieder annähernd der bin, der ich einst war, aber wenigstens im Kopf hat sich wohl was getan bei mir, in wie weit es hilft, werden wir sehen... vielleicht sprechen auch bloß die Pillen aus mir... oder das Trauma, Glücksgefühle oder sonstwas... Das beschissenste am Pokalsieg heute ist die Auslosung der nächsten Runde, denn da gehts nach München, mit diesem Gedanken gehts dann mal ins Bett...

12/19/2012

Neunzehn



Was für ein abgefuckter Tag ist das eigentlich, wenn einem endlich bewusst wird, dass man beinahe das wertvollste weggeschmissen hat, was man besaß, sein Leben? Das kann man bestimmt auch anders herum sehen, ich muss mich mit Zweifeln herum schlagen, warum ich es verdient hätte, weiter leben zu dürfen und gleichzeitig die Entscheidung treffen, WIE es denn weitergehen soll? Der Geburtstag einer verlorenen Liebe, eines geliebten Verlusts und der einzig verbliebenen Freude meines Lebens, des großen Sterns überm Ruhrgebiet... und dann auch noch Pokal gegen Hannover... das könnte ne enge Kiste werden... und morgen dann die OP?
Ich glaube langsam, dass die Mauern der Seele einzustürzen drohen und ich dem ganzen nicht mehr standhalte...
Ich bin heute viel umhergelaufen, dass ich den Kopf frei bekomme, aber im Grunde dreht es sich doch alles immer zurück zu der Schuld, die ich mir aufgeladen habe, warum nur, warum?
Und das erwartet mich dann demnächst, na super... bis zum Lebensende oder Transplantation? Scheisse aber wer leben will, der kann nur so entscheiden, oh Mann, wie ich mir das hätte ersparen können... :(






12/18/2012

Achtzehn

Langsam schwindet meine Hoffnung, dass ich es schaffe bis Weihnachten aus dem Krankenhaus zu kommen, vor allem deswegen, weil ich mir nicht sicher bin, wie gut oder schlecht es mir wirklich geht. Klar vom Gefühl her würde ich sagen, ich bin einigermaßen fit, diese Dialysen scheinen echt was zu bringen, deutliche Verbesserung des Lebensgefühls, wenn man mich fragt, aber ich bin ja trotzdem noch komplett kaputt.

Kaputt ist auch ein gutes Wort, um den gewaltigen Björnholm zu beschreiben, der auch heute den kompletten Tag außer Schlafen und ab und zu mal verwirrt aufwachen nichts getan hat, Manni war den Großteil des Tages unterwegs und nicht zu sehen, so wie ich auch für meinen Teil, denn was soll man schon machen, ich könnte natürlich grübeln und mir einen Kopf machen, aber ich war viel zu happy, dass ich keine Angst mehr hatte mich in "unbekanntem" Terrain zu bewegen und nutzte diese Tatsache so oft ich konnte. Außer den bescheuerten Zugängen hielt mich ja nichts wirklich auf und so erkundigte ich die unteren Stockwerke des Gebäudes, die ich in den letzten Tagen ja nur in liegender Position gesehen hatte und wurde sogar teilweise wieder erkannt und gegrüßt. Merkwürdig, ich fühl mich eigentlich gar nicht so, als würde ich krepieren, wenn ich nicht regelmäßig dialysiere, eigentlich fühl ich mich fit, ich könnte wieder gehn, wenns nach mir ginge...

Aber da gab es ja noch genug Gründe, warum das nicht passieren sollte, zum Beispiel würde ich vermutlich nicht einen Tag überleben ohne die Dröhnungen, die man mir hier verpasst und vor allem wäre ich vermutlich wesentlich schneller wieder hier, als ich mir vorstellen kann... Also verbringe ich meine Zeit lieber damit mich von meinem alten Leben zu verabschieden, denn das hab ich ja schließlich auch erfolgreich ausgelöscht, kann man das so sagen?

Ich weiß es auch nicht, morgen is erstmal Fußball!!! Und ich sollte eigentlich in der Kurve stehen und stattdessen hänge ich hier rum und hoffe, dass mein Zimmernachbar mich an seinem Sky-Paket teilhaben lässt und ich bei ihm mitgucken kann :D Obwohl ich glaube der BVB wird sogar im Free-TV übertragen! Naja erstmal pennen!!!

12/17/2012

Siebzehn

Ich bin mir gerade gar nicht sicher, woher das Märchen um Rübezahl, dem Herrn der Berge stammt, ich vermute einfach mal, dass es sich um eine tschechische Volksweise handelt, die dann zusammen mit den Erzählungen von Yetis und Riesen zu einem bärtigen Giganten wurden, der durch die Karpaten zieht und Wirtshäuser leer futtert. Ich denke bei Rübezahl irgendwie immer an eine der Verfilmungen, da gibt es diese eine Szene, die mir in Erinnerung geblieben ist, Rübezahl betritt ein völlig heruntergekommenes Wirtshaus irgendwo am Berghang von „KeineAhnungWo“ und bestellt ein Rührei. Der Wirt knallt zwei Eier in eine kleine Pfanne und hofft dem Giganten damit genüge getan zu haben, der wird aber total wütend und in der nächsten Einstellung sieht man ihn dann da sitzen, wie er eine komplette Pfanne Rührei spachtelt, die so groß ist, wie vier zusammengeschobene Tische. Fröhlich schmatzend und mit einer lustigen Musik unterlegt sieht man einem Riesen beim Rühreiessen zu. Und so was fand ich als Kind richtig klasse.Ich würde den Film glaube ich gern mal mit den Augen von heute betrachten, vermutlich würde ich aus dem Lachen nicht mehr herauskommen, auch wenn viele dieser tschechisch, polnisch, vorzusammenbruchssowjetisch produzierten Märchenfilme wirklich richtige Klassiker sind und von einer Authentizität leben, die heutige Filme einfach nicht mehr hinbekommen. Aber wieso eigentlich Rübezahl?
Besucht ruhig mal den Blog hier...
Eigentlich wollte ich ja eine Parallele zum Weihnachtsmann herstellen bei unserem neuen Zimmernachbarn, aber das fällt mir ob der offensichtlichen Abgerissenheit und Verwahrlosung deutlich schwerer und die Assoziation mit Rübezahl trifft von Kleidungsstil, Bewegungsabläufen und Statur viel direkter den Punkt. Auch wenn der „Weihnachtsmann vom Dach“, der gerade aus seinem Wald kommt auch das Potential gehabt hätte dem Björnholm gerecht zu werden. Der Björnholm, das war der neue auf unserem Zimmer, Manni und ich waren beide ein wenig unsicher, denn er redete nicht mit uns, vermutlich hatte er ernsthafte psychische Probleme. Dazu war er in einem wirklich jämmerlichen körperlichen Zustand, bekam Besuch nur von einer Sozialarbeiterin und schlief den ganzen Tag. Irgendwie war er eine Mischung aus unheimlich und Pflegefall, aber man konnte ihm ja auch nicht wirklich helfen. Er tat mir irgendwie leid, als er da so niedergestreckt lag, wie ein gestutzter Riese auf den Brettern, nachdem ihn ein vorlauter junger Kerl von den Beinen geholte hatte mit irgend einem miesen Trick vermutlich, erinnern wir uns an das Märchen von David und Goliath! Ich glaube irgendwie, dass ihm übel mitgespielt wurde und er jetzt hier gelandet war, weil der Körper sich mit verabschiedet hat, nachdem die Psyche nicht beachtet wurde. Im Grunde so wie bei mir, ich weiß nicht, ich glaub ich brauch dieses Gefühl der Sonderstellung einfach, das offen damit umgehen, einen solchen Fehler begangen und bereut zu haben ist das Eine, wirklich dahinter stehen zu können, dass es Teil der eigenen Vita ist, Scheiße in Massen gestapelt zu haben ist eine ganz andere Sache, ich glaube, dass die Bewusstwerdung mir noch bevor steht und heute mit der 2. Dialyse ist dafür keine Zeit, es ist alles noch viel zu neu und frisch und auch aufregend irgendwie. Klar ein wenig Angst schwingt mit, aber die erste war ja auch schon höchst erfolgreich und das wird ja jetzt nicht großartig schlimmer werden können. Also ab dafür.

12/16/2012

Sechzehn

Der blaue Herr E. muss uns heute verlassen, was für ein Verlust. Nicht wirklich, aber ich hatte mich daran gewöhnt, wie verwirrt er sich immer ausdrückte und ständig in der Zeitung irgendwelche Schalke-Artikel suchte und dann darüber schwadronierte, seine Schwerhörigkeit war extrem anstrengend aber auch praktisch, da man so des Nachts wenigstens nicht allzu leise sein musste, aber eigentlich war er schon ein echt netter Kerl, wir (Manni und meine Wenigkeit) werden ihn sicher vermissen, wieder eine Unterhaltungsquelle weniger, die den tristen Alltag erträglich macht. Neben einigen sinnlosen Untersuchungen unter anderem der eines Ultraschalls der Schilddrüse war am heutigen Tag nicht wirklich viel los gewesen und so nutzte ich die Chance meine Haarpracht den Gegebenheiten anzupassen und sie kürzen zu lassen. Dabei lernte ich die interessante Friseurin aus dem vierten Stock kennen, deren Musikgeschmack ich als gelinde fragwürdig beschreiben mag. Einerseits auf Rammstein abfahren, aber dennoch von einem Silbermond Konzert schwärmen, von dem sie noch nicht einmal wirklich begeistert war. Lustigerweise habe ich dieser Frau die Rockstar Geschichte erzählt, quasi die Geschichte einer meiner Persönlichkeiten (als Mischung aus Chesney Little und dem nur kurz aufgetretenen James Jeans) und nicht meine eigene, aber ich denke das ist völlig in Ordnung, immerhin ist ja auch ein großer Teil davon wahr, dass ich einst Bandleader war und die Geschichte von Aufstieg und Fall, Drogen und Exzessen sind ja auch eine Seite der Wahrheit, die mich schlussendlich hier her gebracht haben. Wie gut das Reden doch tut, auch wenn vieles eine etwas andere Darstellung der Realität durchmachte, irgendwie ist mir die reine Wahrheit in einer solchen Situation dann doch zu schäbig und vor allem wollte ich nicht mittags um 12 heulend zusammenbrechen beim Frisör, es sollte ja nach vorne gehen, ich habe einfach die künstlerische Freiheit genutzt und aus einer deprimierenden Story eine krass interessante gemacht.
Diese indische Prinzessin, Wahnsinn, die ist doch tatsächlich eine Ärztin der Nephrologie hier, ich dachte eigentlich wirklich, dass sie nur zur verrückt bizarren Zwischenwelt gehörte, die ich auf meinem Dead-Walk in der Notaufnahme zu meiner Beruhigung erschaffen hatte, aufrecht gehalten durch den Daueradrenalinschub, aber nein sie machte auch die Schilddrüsenuntersuchung, vom Fleck weg hätte ich sie genommen, aber stattdessen habe ich sie bloß angeschmachtet und ich befürchte fast, dass sie das sogar mitbekam...
Aber egal, ich bin krank! Und sie ist meine Ärztin, klar habe ich mir auch eingebildet, dass irgendwas von ihr zurückkam, aber vermutlich war es nur eine Mischung aus Mitleid und Unverständnis, wie ich mit dem, was ich mir angetan hab noch so happy sein konnte und einfach alles irgendwie leicht zu nehmen schien. Ob sie mir wohl geglaubt hätte, wenn ich ihr die Wahrheit gesagt hätte, dass es sich dabei bloß um eine besonders ausgeklügelte Form des Überlebensinstinkts mit Selbstbetrug handelte? Vermutlich nicht! Ich glaube, dass sie wirklich nicht genau wusste, wie sie mich einzuschätzen hatte und das sorgte für diese besondere Spannung zwischen uns, die ich als prickelnd und sie vermutlich als irgendwie unangenehm empfand.

12/15/2012

Fünfzehn

Die Morgencrew aus dem Triumphirat der Schwestern flog umher und ich sollte die Protagonistinnen der nächsten Tage und Wochen in meiner Geschichte kennenlernen. Vermutlich waren es mehr, aber Drei von ihnen blieben direkt in Erinnerung, Eliza, Paige und Amira (die Namen wurden geändert). Drei Krankenschwestern für ein Halleluja. Und alle auf ihre Weise einzigartig. Wie Harpyien im Blutrausch strömten sie in die Zimmer, stellten sich vor, nahmen Blut und andere Proben und versuchten in möglichst kurzer Zeit möglichst alle Aufgaben zu erfüllen, die ihnen der Klinikmorgen vorschrieb. Ich weiß nicht, ob man mir schon wieder so starke Medikamente verabreichte, denn irgendwie fand ich die Mädels zwar interessant, aber es regte sich nicht im Geringsten etwas an meiner Libido, vielleicht war ich auch noch zu sehr geschädigt und von Unsicherheit meiner eigenen Zukunft verwirrt.
Herr E. jedenfalls versuchte direkt sein Glück und holte sich die Sicherheitskelle von Eliza, der Dominatrix mit Herz. Ich hätte aber ehrlich auch keine Lust mich von einem 75 Jährigen Knacker "Schätzchen" nennen zu lassen und die Reaktion ihm direkt mal ne schmerzhafte Spritze zu setzen war schon ein Statement, mit dem sie sich Respekt verschafft hätte. Ich bin mir nicht sicher, ob das wirklich geschehen ist, vermutlich nicht und es ist bloß Auswuchs meiner Phantasie, die sich genau so eine Situation gewünscht hätte, vielleicht zur persönlichen Unterhaltung oder einfach nur um nicht darüber nachdenken zu müssen, wie weit ich mich selbst an den Abgrund gebracht hatte, dieses Mal.
Das Hightlight des Tages war eindeutig das Frühstück, bei dem man mir schon Wackelpudding auftischte, eigentlich hätte ich ahnen können, dass das bloß der Prolog zu einer weiteren Runde Unsicherheiten und Nachdenklichkeiten sein würde. Zuckermessungen, Blutabnahmen, das ständige Meckern darüber, dass ich mit kurzen Haaren vielleicht besser aussehen würde, ließen mich auch endlich diese Entscheidung als Schritt nach vorne in ein neues Leben planen. Die Angst davor, war mit Katheter im Hals entsprechend groß, aber wenn man in der Klinik eine Friseurin hat, dann wird die sich ja mit sowas auskennen, also nahm ich mir vor, die Haare am nächsten Tag mit einer weiteren Portion Vergangenheit der Ewigkeit zu übereignen. Interessanterweise löste der Gedanke allein zum Frisör zu gehen gar keine Angst aus, das mit den Ängsten war sowieso komisch, die Spritzen, das Martern, die Qualen, das alles empfand ich halb so schlimm, entweder ich war endlich erwachsen oder irgendwas in meinem Gehirn machte mir klar, dass es notwendig sei, das jetzt einfach über sich ergehen zu lassen und Jammern hätte ja doch keinen Sinn, jedenfalls keinen Zielführenden.
Immer wieder an diesem Tag sah ich Weißkittel, die sich aber vor allem mit meinen Zimmernachbarn beschäftigten, ich fühlte mich doch sehr auf dem Abstellgleis, als wäre ich zerschellt und niemand interessiert sich für die Scherben meiner Seele, die überall herumlagen und eigentlich auch für alle offen sichtbar. Bis auf Manni, den Herrn D., der fragte sogar ab und an mal nach, wie es mir geht, ein echter Gentleman, alte Schule, toller Kerl. Jede freie Minute nutzte er, um in eines der anderen unteren Stockwerke zu fahren und dort spazieren zu gehen, vermutlich, weil er das Eingesperrtsein auf Station genauso frustrierend empfand, wie ich. Er war mir eine recht große Stütze, obwohl er gar nicht wirklich viel tat, aber es war als würde es ihm nicht egal sein. Wie so eine Art Mentor aus Verantwortung oder so. Vor allem an diesem Tag war ich ihm so dankbar, denn irgendwie schien sich mein Aufenthalt zuspitzen zu sollen, Gerede von einer OP und vorwurfsvolles Gerede wurden laut. Meine Eltern waren mit der Situation längst gnadenlos überfordert und hatten die letzten Enden ihrer inneren Ruhe verloren, rasteten aus, waren keine Hilfe mehr in diesem Zustand, es würde mir ganz alleine obliegen, diesen Karren aus dem Dreck zu ziehen. Ich bin nicht sicher, ob ich dazu in der Lage bin, ich bin derzeit überhaupt mit gar nichts sicher, das ist das Münster-Trauma, ich verliere hier einfach die Contenance.
Als ob, die Contenance habe ich bereits vor Jahren verloren, nur das hat mich am Ende hier her gebracht, ich war außer Kontrolle, das Karussell war zu schnell und ich habe keinen Absprung gefunden, jetzt ist die Achse gebrochen und ich kann immer noch nicht raus, oder vielleicht doch? Schlafen kann ich wenigstens mal. Zwar sind die Betten hier mega ungemütlich aber ist ja kein Kuraufenthalt. Im Schlaf muss ich mich nicht mit den dringenden Fragen der Gegenwart befassen, ich bin immer noch auf dem verdammten Karussell und es fliegt. Wie wird das alles enden, habe ich eigentlich auch so etwas wie Freunde, die sich mal sorgen,wo ich eigentlich stecke, nachdem ich mittlerweile den 3. Tag in Folge keinerlei Lebenszeichen von mir gegeben habe. Einen Freund habe ich jedenfalls endgültig abgeschrieben, die größte Niederlage meines Lebens, aber erst in diesen Tagen der absoluten Verzweiflung wird deutlich, auf wen man zählen kann. Mir war bewusst, dass es nicht viele sein werden, die es erfahren, noch weniger, die es überhaupt interessiert und eigentlich niemand, der helfen kann oder will.
Es ist schon fast tragisch, dass ich so dumm war und mir tatsächlich eingebildet hatte, dass sie sich ändern würde, diese verdammte unerschütterliche Hoffnung, alles könne gut werden, ohne dass man eingreift, auch dieser Trugschluss hat mich hier her gebracht, es reicht nicht, sich einzureden, dass man etwas verändert, es reicht nicht, wenn man so tut als wäre wieder alles gut und das Glück würde schon wieder herkommen, wenn man nur lange genug mit dem Speck vor seinem Gesicht herumwedelt, aber ansonsten in stillem abwartenden Nichtstun verharrt. Und genau das war es, was sie immer getan hatte, verharrt in der Erwartung, dass ich es schon auf die Reihe bekomme, nicht einmal als ich ihre Hilfe erflehte nahm sie mich ernst genug, um einen Teil von sich zu opfern. Es gab immer dieses Gefälle zwischen uns, ich war immer der jenige der mehr gegeben hat, als er durfte, um sich nicht selbst aufzugeben. Ich flog und lud mir ihr Gewicht auf, IMMER, doch nie habe ich bemerkt, dass es niemals anders herum war. Die Enttäuschung über diese Erkenntnis ist nicht mehr so groß, da ich den Schlag schon vor Monaten ertrug und trotz der Chance, die ich ihr gab, glaubte ich doch nie, dass sie es wirklich vermochte sie wahrzunehmen. Vielleicht konnte sie es einfach nie und ich habe ihr das aufgebürdet, doch gräm dich nicht Prinzessin, ich vergebe dir, dass dir die Kraft fehlt, die Freundin zu sein, die ich immer in dir sehen wollte, weil ich dich immer nur geliebt habe und auch nie der Freund sein konnte, der ich sein wollte und den du eigentlich gebraucht hättest. Die größte persönliche Niederlage, solange habe ich sie als Ausrede genommen, mich gehen zu lassen und den Wert von Freundschaften und Kontakten in Selbstaufopferung zu messen und darin, wie viele Tränen das Fass bis zum Überlaufen braucht, bevor es sich über den Rand ergießt. Es war unfair, es dir auf zu bürgen, aber genauso war es wohl Teil der Depression, dich nie losgelassen zu haben, das ist vielleicht das Einzige an der Geschichte, was MIR leid tun könnte, fast den ganzen dreckigen Rest unserer sogenannten Freundschaft hast du auf dem Gewissen, irgendwann wirst du wissen, warum und ich werde es dir irgendwann genau so verziehen haben, wie ich dir alles verzeihe. Doch bitte lass mich nun in Ruhe und halte kein Trugbild aufrecht, dessen du dir nicht einmal sicher bist, dass du es je sehen wolltest. Bye bye Baby!

12/14/2012

Vierzehn

Die Nacht hatte noch Überraschungen zu bieten, denn so gegen halb 12 oder auch eine Stunde später, das spielt hier nicht so eine Rolle wurde ich dann tatsächlich noch von der ITS auf Normalstation verlegt. Rasant war auch dieser Transport, auf dem Weg durch den Lastenaufzug Richtung 13 (welch ein Omen) und auf dem Weg noch einen kleinen Abstecher in der Röntgenabteilung auf Station 3. Und oh Schock, in genau dem Moment als der blonde Engel die Tür öffnete war mir wieder klar, wie schön doch das Nachtpersonal auch hier ist. Warum verstecken sich solch holde Maiden in der Dunkelheit? Vermutlich genau wegen solcher Spinner wie mir, die trotz ihres kaputten Zustandes keine Gelegenheit auslassen die jungen Schönen anzugraben... eigentlich tu ich das ja NUR in diesem bemitleidenswerten Zustand und je gesünder ich werde, desto mehr schwindet der Charme und vor allem mein Mut. Im Ernst, die meisten der Frauen hier würde ich im normalen Leben nicht einmal anlächeln können, aus der Angst vor Zurückweisung. Das bringt uns dann auch zurück zur „Tour de Hospital“. Ich kann mir kaum etwas spannenderes vorstellen als mitten in der Nacht mit einem Bremen-Fan in Baseballjacke durch das ausgestorbene Klinikum zu brettern. Und weil das alleine ja nicht richtig kickt machten wir das Ganze auf einer Notfallliege und in höchstem Tempo. Das Krankenhaus macht bei Nacht wirklich Spaß und bis auf die Schmerzen, woher auch immer sie kommen mochten fühlte ich mich eigentlich recht gut. Mir schwebte immer noch die (ich möchte das Wort „Schön“ nicht zu sehr überstrapazieren) schöne indische Prinzessin im Kopf herum. Oh weh, ich übertreibe schon wieder, sorry nein ich übertreibe nicht, nur was das indisch angehaucht angeht, da bin ich mir nicht sicher, aber eine Prinzessin könnte sie schon sein. Genau das sind doch die Begegnungen, die einem in Erinnerung bleiben, auch nach der „qualvollen“ Zeit der Entbehrungen in der Klinik. Und mit Entbehrungen meine ich vor allem die körperlichen, der Verzicht auf Beischlaf, gutes Essen, andere Genussmittel. Das Motto heißt wohl, „Nur gucken, nicht anfassen!“ Und ich denke schon wieder nur an die Frauen...

Und das obwohl ich noch in dieser Nacht mein Zimmer mit den beiden netten Herren E. und D. beziehen sollte. Der Herr E., ein echtes Original, blau aus familiärer Tradition, aber sonst auch keine Scheu sich daneben zu benehmen... Und mit blau meine ich Scheisse am Schuh und keine alkoholinduzierten Probleme, die ja in einem Krankenhaus durchaus mal vorkommen können. Der wahrscheinlich größte Mangel von Herrn E. war seine Schwerhörigkeit, aber wer will einem 75 Jährigen, den ich auf Mitte 60 getippt hatte eine solche Gebrechlichkeit auch übel nehmen, da ist das „blau“ sein mir und dem Zimmermitling aus schwarz gelbem Lager doch deutlich unangenehmer. Denn obwohl auch dieser mit 72 schon jenseits der Altherrengrenze der Jugendmannschaften ist, wirkt er um einiges frischer und mobiler. Ehrlich gesagt, als ich nachts erstmals ins Zimmer kam, hatte ich vor dem wirklich einen Moment Angst, wie das kalte Mondlicht so ins Zimmer rein schien und sein Gesicht einer Fratze gleich den Anschein eines Serienkillers machte. Doch direkt am nächsten Morgen stellte sich beim Frühstück heraus, dass er das Herz am rechten Fleck hängen hat, als die große Tauscherei der von der Küche falsch zugeteilten Lebensmittel begann... Beinahe wie im Krieg wurde da Margarine gegen Schmelzkäse getauscht und Wurst wechselte für ein Päckchen Brombeermarmelade den Besitzer. Das Brot war, nun ja ich bekam erst einmal nichts herein, ich mochte es nicht. Aber ich bin ja nun auch nicht als der große Frühstücksjunkie bekannt, wenn man mal in die Vergangenheit blickt.
Das Leid der Begierde sollte sich jedoch bald über mich legen, schon nach kurzer Zeit erinnerte ich mich an alles von früher, die Blutabnahmen, das ständige bereit sein für die nächste Hiobsbotschaft und das alles immer präsentiert von den kleinen Zauberfeen im weißen Kittel, meinen ach so geliebten Krankenschwestern.
Der Eingewöhnungstag verlief so wie ich ihn mir dachte, ruhig und distanziert, ich musste erst einmal klar kommen wieder hier zu sein und das für unbestimmte Zeit, doch voller Hoffnung auf ein gutes Ende... Neben Blutabnahmen und dem quälenden Gefühl von Schmerzen und Selbstvorwürfen, die mich ja hier her gebracht hatten und einer gehörigen Portion Angst wieder allein in Münster zu sein, ließ ich mich doch deutlich einschüchtern und außerdem lag ich plötzlich nach fast 2 Jahren der Einsamkeit wieder mit Menschen in einem Raum, fremden Menschen, die ich nicht direkt als das einschätzen konnte, was sie waren, Gefangene im gleichen Albtraum, aber eben schon wesentlich abgewichster als meiner Einer, ich wusste ja eigentlich bloß, dass ich nicht mehr in akuter Lebensgefahr schwebte, aber mehr sollte sich erst wesentlich später klären. Also war ich hier vor allem erst einmal unter Beobachtung und konnte als Testpatient für wütende Stich und Messattacken missbraucht werden. Scheinbar wusste man wirklich nicht so ganz, was mich so kaputt gemacht hatte, aber ich hab doch davon erzählt, was ich gemacht habe, gebt mir doch einfach meine Pillen wieder und peppelt mich wieder auf, lasst mich gehen und alles ist wieder gut. Von wegen, das hier ist Münster, erst mal ein wenig herum eiern, das gehörte schon immer zum guten Ton in diesen Hallen.

12/13/2012

Dreizehn

Das Krankenhaus ist eine Art Heimat geworden, das jenige in Münster allerdings, in gewisser Weise fühlt sich die erneute Einlieferung an, als würde man nach langer Zeit heim kommen. Alles wirkt so bekannt und vertraut und doch ist die Situation in der Notaufnahme anzukommen und als lebensbedrohlich eingestuft zu sein eine neue Erfahrung auf die ich auch hätte verzichten können wenn man mal ganz ehrlich ist. Seit knapp 15 Stunden meckert man mich jedes Mal an, wenn ich wieder aufstehen will. Es ist so, dass man mich wohl lieber im Liegen haben will, wer weiß schon, welchen Sinn DAS macht, vermutlich irgendwas mit der Versicherung.

Bünde, Westfalen
Was war denn eigentlich passiert? Nun ja, ich habe im Laufe der letzten Nacht entschieden, dass es so wie bisher nicht weitergehen konnte.... so gebrechlich und komplett neben der Spur, wie ich schon wieder seit knapp einer Woche bin. Also dachte ich, es wäre doch schlau, sich mal beim Hausarzt sehen zu lassen. Nun ja, wenn man mal ganz ehrlich ist, dann war das schon recht gewagt, denn ich war mir nicht sicher, ob ich diesen Weg überleben würde, im wahrsten Sinne des Wortes. Das Atmen fiel so schwer, dass mein Herz darauf reagierte und pumpte, wie ein Speedmetaldrummer auf Koks. Nachdem der Herr Doktor mich etwas beruhigte und mich direkt an die Klinik überwies, war mir schon recht klar, dass es ernst war, sehr ernst. Also ging es direkt zur Notaufnahme des Bünder Lukas Krankenhauses, wo man mich dann erstmal mit akuten Lungen und Herzproblemen eine satte Stunde ins Wartezimmer setzte, ins vollbesetzte, was in Anbetracht der Angst vor Enge und Menschen ebenfalls eine ernste Situation heraufbeschwor und sich im Anschluss bei der Untersuchung als Hauptursache eines extrem hohen Blutdrucks zeigen sollte. Tachikard war ich ja noch dazu und Luft bekam ich schon nicht, da babbelt mich der behandelnde Arzt auch noch zu, dass er meinen Bruder kennt und ihn für mich hält und solche Späße... ich weiß ehrlich nicht, ob ich so etwas wirklich witzig finde, während mein Lebenslicht bedroht ist auszugehen. Eine deutlich übergewichtige Ärztin gafft mich an, plappert mit einer merkwürdig erregten Stimme auf mich ein und redet immer wieder von einer Darmuntersuchung, bis sie mir voller Wollust ihren Finger in den Po schieben darf und feststellen muss, dass ich ja doch nicht aus dem Hintern blute, wie ich es gesagt hatte bei der Anamnese, aber die alte House-Regel, dass jeder Mensch lügt scheint in Ärztekreisen wirklich kein Mythos zu sein und deutlich wichtiger als man denkt. Denn eigentlich überprüfen diese Kasper alles, was man so sagt doppelt nach, warum auch dem Patienten glauben, der hat den Scheiss schließlich nicht studiert und ist nicht der Experte. Während ich da so lag und entkleidet wurde, den Sinn dahinter habe ich immer noch nicht begriffen wurde mir wieder klar, dass unsere Helden in Weiß manchmal doch deutlich von sich überzeugter sind, als es ihnen gut tut, aber dafür retten sie Leben, ich befürchte da bleibt eine gewisse Überheblichkeit gar nicht aus.
Münster
Ankunft so gegen 14:30 im RTW und das Ganze nach einer Fahrt durch die erste größere Schneehölle des Jahres, auf der Fahrt war ich die meiste Zeit einfach nur ängstlich ob des jungen Notarztes neben mir, der sich vor seiner Kollegin peinlicherweise mit einem Samsung Galaxy S3 zu profilieren versuchte... Wäre ich nicht mit dem Versuch des Überlebenskampfes beschäftigt gewesen, hätte ich mich vermutlich mit irgendeinem blöden Spruch unbeliebt gemacht. Stattdessen versuchte ich vor allem nicht an Worte wie Autounfall, Statistiken zum Thema Verkehrstote, Erfrieren, Herzversagen und anderes zu denken... und irgendwie meine verdammte Atmung in den Griff zu bekommen. Nebenbei fragte dieser junge Notarzt immer wieder irgendwelche Dinge über Blut im Stuhl und andere bizarre Dinge, die zu beantworten mir ob der akuten Atemnot extrem schwer fielen und das obwohl ich schon Sauerstoff zugeführt bekam. Alles in allem kam mir die Stunde Fahrt vor wie im Flug und vielleicht war es sogar besser, dass ich kaum etwas von dem Wetter sehen konnte, welches dort auf der anderen Seite der dreckigen Scheiben des Krankenwagens wütete.
Das Umladen meiner Person aus dem Wagen zurück auf eine Krankenhaustrage war einer dieser magischen Momente. Wer den Film „Bringing out the dead“ kennt und das Team mit Nic Cage und Tom Sizemore auch so verehrt, hätte seinen Spaß gehabt, denn genau daran erinnerte mich das als der junge Notarzt und der etwas ältere sich aufregten mich samt Lastkarre über die zugefrorene Liegend-Notaufnahme ins Gebäude zu schieben und das dann auch noch in Höchstgeschwindigkeit, weil man ja schon direkt die nächste Tour gebucht hatte. Und als ob das noch nicht schwierig genug gewesen wäre, schafften es die beiden auch noch jeden Notaufnahmisten anzupöbeln, wo sie denn eigentlich mit mir hin sollten.
Also im Fernsehen und aus Ärzteperspektive wirken diese NAs ja schon immer recht wuselig, aber das war die absolute Krönung, wirklich hektisch und spannend bestimmt, wenn man nicht gerade Patient in Lebensgefahr ist, wie man mir mehrfach eingetrichtert hat, ich denke vor allem um zu verhindern, dass ich da in meiner Panik wild durch die Gegend laufe, vielleicht hätte ich das auch gar nicht gekonnt, nur angefühlt hat es sich, als hätte ich, wahrscheinlich eine Folge des Adrenalins in Todesnähe. Nachdem ich so fast eine halbe Stunde zwischen Feierabend machenden Mitarbeitern der NA rumstand wurden mir zwischendurch immer wieder neue Ankündigungen gemacht, Dialyse, Blutkonserven, Zugang legen. bla bla, kritischer Zustand, Wortfetzen, immer wieder unterbrochen vom aus Arztserien bekannten Geräusch des Defibrilators aus dem Hintergrund. Das Ganze war schon höchst bizarr, ich weiß nicht einmal wie viele Ärzte und Krankenschwestern sich mir in kürzester Zeit vorgestellt haben und von meinem Unterbewusstsein wieder gelöscht wurden. Eigentlich kann ich mir Namen recht gut merken, aber vermutlich war das Stabilhalten meines Denkapparats fürs Gehirn zur Zeit wichtiger als flüchtige Bekanntschaften zu fetischistisch angehauchten jungen Frauen, die Namen der Kerle hätte ich mir eh nicht gemerkt. Ja ich weiß, den Schowi-Scheiss könnt ich auch weglassen, macht aber Spaß der Arsch zu sein.

Meine erste richtige Dialyse stand an, das war beängstigend, aber andererseits konnte ich jetzt endlich nachempfinden, was Lestat ständig durchmacht... 3mal die Woche, sehr heftig, denn mit meiner Nadelpanik bin ich hier doch deutlich fehl am Platz. Im Vergleich zu früher ist das hier zwar nicht mehr ganz die Topmodelklinik aber Charme und ein durchaus überzeugendes Aussehen können noch viele vorweisen und dazu haben einige einfach dieses gewisse Etwas, das den Aufenthalt trotz ernstester Lage beinahe zu einem Urlaub werden lassen könnte. Mit der Kompetenz der Angestellten bin ich jedenfalls sehr zufrieden, wäre ich der Kliniktycoon gäbe es erst einmal nichts zu beanstanden. Diejenige die mir den Hals zum Zugang für die Dialyse bereit gemacht hat, hätte ich in einer anderen Situation direkt angegraben und mir eine Abfuhr epischen Ausmaßes abgeholt und im Anschluss behauptet, dass es sich gelohnt hätte. Aber stattdessen fragte ich kleinlaut nach einer Urinflasche und Beruhigungsmittel und ließ die Zugangslegung beruhigt wie eine Hindu-Kuh über mich ergehen. Und von diesem Zeitpunkt an verschwimmen auch die Erinnerungen, denn genau kann man, also ich nicht mehr nachvollziehen was dann geschah.
Irgendwie lag ich lange Zeit auf der Trage und erfuhr nichts, weder über meinen Zustand, noch über das wichtigere Ereignis des Tages, die Beerdigung der Fankultur in deutschen Stadien durch die verfluchte DFL. Und ich hatte jetzt fast eine Woche nicht geschlafen, mit dem Vieh im Hals sah ich da auch keine Hoffnung, an die erste Dialyse kann ich mich auch gar nicht erinnern, obwohl es ja erst ein paar Stunden her ist und ich eigentlich nicht geschlafen habe, jedenfalls nicht, dass ich wüsste...Mal sehen wie es weitergeht, seit knapp 2 Stunden bin ich allein und trotz der objektiven Hektik, wie sie von außen wirkt, beruhigte mich die ganze Situation doch sehr und ich fühle mich erstmals wirklich gechillt, seit fast 2 Jahren, unfasslich, wie man im Todeskampf unter der größtmöglichen Anspannung für den Körper innerliche Ruhe erreichen kann.