1/01/2013

Isolation wegen Verdacht auf Noro Virus (eklig)

Wo wollen die mich denn hier isolieren? Im nächsten versifften Drei-Personen Zimmer ausm Krieg? Meine Laune ist bei nahe Null. Nach einer diarrhötischen Nacht scheint heute alles wieder gut zu sein, doch jetzt heißt es umziehen ins Nachbarzimmer, Vorteil Einzelzimmer, das ist doch schonmal was, das war es dann irgendwie wert. Kräftemäßig bin ich etwas angeschlagen, aber dank Isolation habe ich den ganzen Tag niemanden gesehen. Nur etwas, das mich sehr befremdet hat, einen dunkelbraunen Fleck auf dem Boden, ich tippe mal auf Kacke von irgendwem, der das Zimmer zuvor bewohnt hat. Obwohl ich das Reinigungspersonal am Mittag darauf hinwies wurde nur wieder kurz durchgefegt und dann raus aus dem Zimmer des bösen isolierten Tickmans... Was stimmt hier nicht?

12/31/2012

31 (eklig)

Silvester, die Parentas waren da, ich bekam komische Kreislaufabstürze und kotzte... dann Durchfall...

Während man sich das hier nicht erklären kann, erinnere ich mich daran, dass ich gestern einen Joghurt zurückgehen ließ, weil auf der Oberfläche schon Schimmel war und die Bauernpfanne schmeckte auch sehr merkwürdig heute Mittag. Eine Reinigungskraft habe ich seit ich hier bin auch nur auf dem Flur gesehen, hoffentlich habe ich mir nichts eingefangen, ach Sergej was vermisse ich dich langsam...

Man hat mir angeboten, mir das Feuerwerk vom Dach aus anzusehen, ein kleiner Deal zwischen mir und einer der Schwestern, leider wird das wohl nichts werden, da ich von der verfluchten Schüssel nicht runterkomme und das Feuerwerk dann wohl auf dem mobilen Klo am Fenster bewundere, SCHEISSE!

12/30/2012

30

Fick die Henne, hier ist es deprimierend, der Wind pfeift, ich langweile mich zu Tode, das Essen ist eher nicht so lecker, aber es gibt Licht am Horizont durch die Möglichkeit einer schnellen Entlassung.

Ich musste heute an Sergej denken, wie er die Verhältnisse hier beschrieben hat, ganz so schlimm ist es nicht, aber viel besser eben leider auch nicht. Ich bin froh, wenn ich endlich heim kann!

12/29/2012

29

Der Sündenfall, die erste Lüge, Blutschande, ich glaube es geht los. Geweckt wird hier spät, wirklich spät, 7 Uhr war es, als von jetzt auf gleich das Licht an geschmissen wurde und der Raum in gleißend hellem Strahl der Neonröhren brannte... Wahnsinn da ist man wach und dann steht auch schon die Schwester da und macht Dampf, Blutdruck, Sitzwaage und Fiebermessen, Freunde chillt euch mal. Ich dachte hier ist alles ein wenig ruhiger, aber nein, aber nein, direkt im Anschluss holt die kesse Blondine mit dem russischen Akzent mich schon ab zum Kathetertraining und den ersten Dialyseaktionen. Irgendwie komm ich mir total gehetzt vor, als könnte ich gar nicht mehr durchatmen, dann dieses unsägliche Dreibettzimmer, wo so etwas wie Privatsphäre ein Wort zum Sonntag wäre, aber definitiv nicht real. Der Engländer chillte die letzten Stunden vor seiner Entlassung bei ein paar Folgen Navy CIS auf seinem Laptop und ging pünktlich nach jeder Folge eine rauchen, bis er irgendwann gegen Mittag verschwunden war und ich mit dem 66 Jährigen Laberhans mit den Scheissbeschwerden allein war. Ohne Spaß, ein sehr netter älterer Herr, der mir zwar ein wenig zu viel redete und vor allem zu viel meckerte, aber eigentlich wahrscheinlich ein absoluter Pfundskerl ist, wie ich ihn bis jetzt erlebe.

Im Lauf des Tages geschah nicht viel, nur kamen meine Eltern und der Oberarzt ratterte einmal seine Erklärung der weiteren Vorgehensweise herunter und setzte mich ins Bild, was ich sehr interessant und aufschlussreich empfand. Aber sonst passieren hier halt sehr merkwürdige Dinge, es werden mehrmals die gleichen Proben Blut abgenommen, Time-Management ist ein Fremdwort und die Station ist trotz gefühlter Wuseligkeit chronisch unterbesetzt. Der erste Eindruck konnte sich nicht aufrecht halten lassen. Denn trotz allem sind es dann doch die negativen Aspekte die überwiegen, vielleicht ist es die Abwesenheit, der Leute, die einem den Aufenthalt so angenehm machen, der nubischen Prinzessinnen und der Studentinnen und der Praktikantinnen, die allem diese gewisse Etwas verleihen und nicht Dienst nach Vorschrift, der es hier ist. Ich bekomme gerade eine leichte Bielefeld-Depression glaub ich!

12/28/2012

28

In den frühen Morgenstunden war ich extra pünktlich aufgestanden, um mich wenigstens bei Nayla persönlich verabschieden zu können, diese persönliche Verabschiedung wurde einer der tiefsten Momente des Jahres 2012 für mich, während sie schon im Begriff war, die Station in Richtung Heimat zu verlassen, trat ich aus meinem Zimmer, die Blicke trafen sich und wir hoben beide in einem Moment grenzenloser Zweisamkeit den Grußarm in die Luft, lächelten und wortlos, schlicht, anmutig, ihrer würdig trennten sich still unsere Wege. Was für ein charismatischer Mensch. Dann geschah erst einmal nicht mehr viel, ich gab mich einer ausführlichen Morgenpflege hin und genoss grinsend die Ereignisse, die kommen sollten, der meckernde Sergej konnte mich nicht aus der Fassung bringen, auch nicht seine lustigen Geschichten, dass man in Bielefeld mit 16 Leuten in einem Raum liegt und das auf Holzbrettern und das Mittagessen wird vom Müll gesammelt und wenn man aus dem Fenster blickt sieht man die Straßenhunde und hungernde Katzen. Als würde ich in ein Kriegsgebiet verlegt, ich fand die Vorstellung höchstgradig witzig, meiner Stimmung konnte das keinerlei Abbruch bescheren, ich hatte gestern mal die Zustände von manisch-depressiv sein in der Psychosomatik angesprochen und vielleicht habe ich zwar die letzten Wochen nicht wirklich bemerkt, dass dieser Teil der psychischen Störung allgegenwärtig ist, vielleicht unterdrückt durch Medikamente, vielleicht auch durch die ständige Notwendigkeit einer rationalen Entscheidungsfähigkeit vom Gehirn weggeschaltet, war es schon ein Hochgefühl, neben dem Rolli herzulaufen und eigenständig aus dem Krankentransportwagen in die Psychosomatik zu gehen, dort dann wieder die Chance zu haben mit jemandem zu reden und die eigenen Versuche es in den Griff zu kriegen als gut gelobt zu bekommen. Einerseits ist das natürlich eine schöne Bestätigung andererseits führt es wieder zu der Problematik meiner Selbstüberschätzung und der ganzen damit zusammenhängenden Dinge, wie dem Kontrollwahn, dem Gefühl, eine Ahnung zu haben, wo man eigentlich keine hat, einfach dieses Hochgefühl, besonders zu sein. Immerhin werde ich gleich entlassen, noch weit vor dem ursprünglichen Zeitplan der Ärzte, jedoch gefühlt genau so, wie ich das vorhergesagt hatte. Warum passiert das immer wieder? Meiner Demut hilft so etwas sicherlich nicht, auch bescheidener werde ich dadurch sicher nicht werden. Ich mache mir grad wirklich ein paar Gedanken, ob es schon die richtige Entscheidung ist, zu gehen, ob ich in Münster nicht vielleicht doch noch etwas Aufenthalt genossen hätte, ich werde die Schwestern und die Stationsbelegschaft schon deutlich vermissen, sogar Santos den kleinen brasilianischen Glatzkopf, der mit seinem Putzwagen den ganzen Tag über die Station schleicht. Und ich werde auch den leicht überhektischen Stationsarzt L. vermissen, der es dann am Ende doch nicht mehr schaffte noch eine kleine Abschiedsvisite einzurichten. Außerdem schaffte man es ja auch nicht, den Abtransport geordnet von statten gehen zu lassen, keine große Abschiedsparty, kein großer Zapfenstreich oder so etwas, mehr der Weg durch die Hintertür... Eine Verlegung nach Bielefeld, irgendwie klingt das doch nach einem großen Abenteuer. Vor allem, wenn einem bewusst wird, dass man mit Preußen Münster Hools unterwegs ist, die ihre Krankenfahrt mit mir als Lieferung wohl eher als Eroberungsfeldzug empfanden. Der Fahrer lästerte die gesamte Fahrt über die „Scheiss-Ostwestfalen“ und deren versaute Genmasse, während der Beifahrer die ganze Zeit irgendwelche Radiosongs mitsang und sich dabei extrem cool fühlte mit seiner Hipster Brille und der schnittigen Kurzhaarfrisur und den zwischenzeitlichen scheinbar für ihn witzigen Anekdoten über Ortsnamen, die er als Bielefelder Außenbezirke identifizierte, weil sie ja so abgefuckt seien. Die ganze Fahrt über lachten die beiden und verhielten sich, als wäre sie auf Drogen und der Beifahrer hatte auch noch diese leicht irre Lache und ich fragte mich ernsthaft, warum die nicht über die Autobahn gefahren sind. Am Ende war es egal, denn trotz allem waren sie recht nett, wenn auch wirklich anstrengend, aber bestimmt empfände man mich auch als anstrengend, wenn man mich engagiert hätte, ins Feindesland zu fahren, um dort ein Päckchen abzuliefern. Na ja, witzig war dann als wir in Bielefeld vor der Klinik parkten mal direkt vorm Haus und im Weg von allem. Richtig rüpelhaft rumpelten die beiden dann zur Information und die Sekretärin schien zu denken, dass ich deren Betreuer bin und nicht umgekehrt. Sie waren so nett mich noch im Wartezimmer abzusetzen und machten sich dann wieder auf ihre Heimreise, richtige Spacken, der Verdacht drängte sich mir kurz auf, dass die Welt vielleicht doch untergegangen war, als ich im Krankenhaus gelegen habe und bloß nichts davon mitbekommen habe, die Welt jetzt nur noch von den Chaoten bevölkert wurde. Dieser Verdacht drängte sich ja bereits auf, als mich der komische blaue Krankentransporter morgens darauf hinwies, dass ich noch Knusperreste im Bart habe, mit der Erwähnung, dass er mich trotz meiner Farben nett fände. Irgendwie ist dieses fixiert sein auf Fußball bei diesen Krankenfahrern und Transportertypen extrem ausgeprägt, also zumindest sprechen die „Stichproben“, die ich in den letzten Wochen des Öfteren nehmen durfte eine deutliche Sprache in diese Richtung. Für eine statistische Ungenauigkeit ist das ganze dann einfach nicht repräsentativ genug. Aber egal...


Bielefeld
Die Anmeldung hier ist schon deutlich ostwestfälischer als alles, was ich die letzten beiden Wochen so durchchillt habe. Wie auf dem Amt zieht man eine Nummer und wird dann aufgerufen und als würde man ein Reisebüro betreten bekommt man plötzlich alle möglichen Werbebroschüren zur Klinik und dann werden noch die Finanzen abgeklärt: „Herr Tickman, ich rufe mal gerade jemanden an, der sie auf ihr Zimmer geleitet“... Wow, dachte ich... ohne dass ich danach frage, außerdem ist das alles so sauber hier, scheint als wäre ich auf eine bessere Weide umgezogen. Eine gefühlte Ewigkeit später kam dann auch der junge entnervte Zivi und nahm mir mein Täschchen ab und begleitete mich zum Fahrstuhl, mit dem es dann eine Station hoch ging auf einen heruntergekommen engen Flur. Der in einem Labyrinthsystem angelegt, wie ein Bunker ausgelegte Komplex schien nicht mehr der neueste zu sein und dennoch glänzte der gebonerte Boden, alles machte einen recht gepflegten Eindruck, auch wenn man der Klinik ihr Alter deutlich ansah. Aber wir wollen hier mal niemanden vorverurteilen, innerhalb kürzester Zeit sprachen mich bereits zwei sehr chicke junge Damen an und erkundigten sich, ob sie etwas für mich tun könnten, die erste zeigte mir den Aufenthaltsraum auf der Station, wo ich noch ein wenig warten sollte, weil mein Zimmer noch nicht komplett geräumt war. Die zweite bat mir direkt etwas zu trinken an und fragte mich nach der Sorte Mineralwasser, die ich trinken wollte, der erste Schock, es gibt verschiedene? Wahnsinn. Ich entschied mich für die Medium Variante und bekam dann eine gekühlte Flasche zum Selbsteinschenken und vertiefte mich ein wenig in die Broschüre der Klinik und die detaillierte Frühstücks und Abend-Speisekarte, auch diese war fast schon als dekadent zu bezeichnen, die Auswahlmöglichkeiten und Kombinationen waren im ersten Moment kaum fassbar. Während ich so da saß, kam dann auch der Stationsarzt vorbei und holte sich ein paar ihm fehlende Informationen, es handelte sich dabei um den Assistenzarzt Achmed, der sich tatsächlich einfach nur mit den Worten: „Hi, ich bin Achmed, der Arzt!“, vorstellte und dann grinste. Ich dachte schon an ein Deja Vu wegen meines lybischen Freundes in Münster, aber das Deutsch von Achmed war deutlich flüssiger und auch für mich komplett verständlich. Das einzige was mich beschlich war die Gefahr, dass der Herr sehr strebsam sein würde und viele unnötige Dinge in wildem Aktionismus anleiern wird. Mal sehen, wenn der Oberarzt ein vernünftiger Typ ist, wird der den sicher im Zaum halten können und wenn man vernünftig mit Leuten spricht, sind sie ja auch meist für Argumente zugänglich, ich werde mal versuchen so offen wie möglich die Situationen, die da kommen zu meistern, alles so weiter machen wie bisher, hinterfragen, was nötig ist und es dann durchziehen. Solange die Informationen frei zugänglich bleiben und ich involviert bleibe und mir nicht bevormundet vorkomme bin ich der brave Patient Alex und niemand wird ein Problem mit mir haben. Eine Blutentnahme wurde mir bereits angekündigt, die Einzige, ich lasse mich am besten gar nicht auf solche Lügen ein und stelle mich mal auf tägliche Entnahmen ein, neue Klinik, neue Tests, da muss man sich ja keiner Illusion hingeben, um dann später nur wieder enttäuscht zu werden. Aber lassen wir ihnen mal ihre Chance. Die Chance mir zu helfen, was ein erhabener Genuss für jeden Menschen muss das sein, dem Tickman zu dienen. Bleiben wir mal cool und genießen die Show.

12/27/2012

27

 Der Morgen stirbt nie“, war einst der deutsche Titel eines James Bond Films, den ich noch in die Kategorie anschaubar einsortieren würde auch wenn der Soundtrack und die Story doch eher von einer nicht hochqualitativen Natur waren. Aber hier ist es ungefähr genauso. Morgens passiert hier im Grunde alles, doch heute war kein besonderer Tag. Es ist Morgen und die netten Schwestern wecken das Patientenvolk, eigentlich ist alles wie immer, doch mitten ins anschließende Frühstück platzt doch so eine Knallcharge und will mir Blut abnehmen. Wieso das denn jetzt auf einmal wieder, die haben hier doch alle den Schuss nicht mehr gehört? Ach das habe ich schon so oft gedacht, dass es einfach trotzdem jedes mal einer neuen Überraschung eigentlich gar keine sein müsste. Und doch springe ich wie ein untrainierter Hund jedes mal auf den ersten Ball, den man mir hinhält an und wundere mich. Aber eigentlich ist es mehr so ein... „Oh, welch eine Überraschung, eine Überraschung!“ Also ließ ich es einfach über mich ergehen, vielleicht ist es ja ein gutes Omen. Tatsächlich war es das wirklich, denn kurz darauf kam Doktor L. Und in diesem Fall steht das L nicht für LOVE, oh Gott, habe ich das wirklich gerade geschrieben, hart. Müssen die Glücksgefühle sein, die seine Botschaft in mir auslösten. Denn laut seiner Aussagen würde ich noch morgen nach Bielefeld verlegt, wenn man mich dort in die Trainingseinheit zur CAPD bekäme, darum wollte er sich kümmern und es dann in die Wege leiten. Ich war erstaunt, dass er diese Aktion innerhalb kürzester Zeit, oder auch während ich einmal mehr mein Leben rezitieren konnte in der Psychosomatik, was ich scheinbar schon einmal gemacht haben soll, daran allerdings so gut wie keine Erinnerung habe. Ergebnisse dieses Gesprächs sind wohl vor allem die Bestätigung dessen, was mir schon bewusst war, dass ich nämlich einer Persönlichkeitsstörung unterliege, genaues wollte man mir noch nicht bestätigen, ich bin eigentlich sehr zufrieden mit der Herangehensweise an die Geschichte, direkt morgen bevor ich hier die Zelte abbreche, werde ich erneut dort auflaufen und nochmal eine Runde quatschen können. Ist schon witzig, wie sich alles entwickelt, wenn man einfach anfängt einen Weg zu gehen, wie sich dann die einzelnen Teile des Weges vor einem offenbaren, wie in einem dieser Echtzeitstrategiespiele, in denen sich der „Nebel des Krieges“ legt, wenn man mit Einheiten eines ausreichenden Sichtradius in unbekanntes Gebiet zieht. Na ja jedenfalls war das Gespräch mit der Psychiaterin höchstgradig erquickend und als ich zurück kam aus der Psychosomatik, gab es direkt einen dicken Nachschlag, nicht nur, dass schon fast wieder Essenszeit war, Doc L. Teilte mir auch mit, dass es sich wohl tatsächlich verwirklichen ließe mich noch morgen zu verlegen, dann nach Bielefeld, ein wenig näher an die Heimat und das klingt dann doch schon deutlich beruhigender, immer in kleinen Schritten zum Endziel 10. Januar. Dann in Bielefeld 2 Wochen absitzen und irgendwie überleben, aber dann geht’s heim und ich habe eine der größten Krisen meines Lebens halbwegs unbeschadet und mit vielen neuen Erfahrungen überstanden und bin hoffentlich daran gewachsen, es fühlt sich zumindest schon einmal so an.

Allerdings musste ich dafür jetzt noch einmal sehr stark sein. Eine zweite Dialyse innerhalb von 24 Stunden stand an und mein Essen würde auch erneut zum Schlingen verkommen, denn es war quasi ein „Do or Die“ Auftrag, den mir der Doc anbot, zugreifen oder Chance verstreichen lassen und noch eine Woche warten mit der Entscheidung. Ob die wohl mein Bett brauchen? Diese Frage wirft sich schon auf, wenn man das Gefühl bekommt, dass man losgeworden werden soll. Mir ist es egal, ich schlage ein und hoffe, dass es nicht zu anstrengend wird, melde mich noch kurz bei der Dread-Lady, dass sie, wenn sie mich besuchen will, nur noch heute in Münster die Chance hat und schlinge mein Mittagessen in mich herein. Nachdem ich das hinter mir habe und noch etwas Zeit habe lege ich mich kurz aufs Bett und freue mich einfach mal einen Moment, dass es bald vorbei ist. Klar natürlich wird es erstmal noch ein wenig härter, so wie man hier betreut wird ist es in Bielefeld sicher nicht zu machen, vor allem werden mir meine drei Premium-Schwestern fehlen... aber die Heimat rückt näher, irgendwie näher und doch mehr in die Ferne.

Sergej vermisse ich wahrscheinlich überhaupt nicht, denn irgendwie hat er außer Schnarchen und Rummeckern noch nicht viel zu meinem Aufenthalt hier beigetragen, auch wenn er an sich ein ernsthaft guter Typ ist, nur ein wenig spackig halt. Aber vielleicht ist das auch einfach nur der Frust über seinen Krankheitsverlauf. Irgendwie wird mir immer wieder bewusst, dass ich ja schon eine Ausnahmestellung habe, immerhin bin ich nicht hier weil mein Körper plötzlich den Dienst quittiert hat und kaputt gegangen ist, sondern weil ich mich aktiv um diesen Zustand bemüht habe. Wohl auch deswegen nimmt man mich in der Psychosomatik irgendwie ernst, es ist ja überhaupt mal ein recht schönes Gefühl ernst genommen zu werden. Vor allem dann, wenn man selbst so ein wenig auf der Suche nach dem ist, was wirklich hinter der ganzen Scheisse steckt, die man sich so in den letzten Jahren angetan hat. Als dann in der Dialyse das große Verabschieden losging und ich dachte, dass die indische Prinzessin nur noch wartete, dass ich sie umarmen möge, Schwester Fiesbeth mit einer Träne im Auge ein Wiedersehen herbeisehnte, ohne dass es mir schlechter gehen sollte, Schwester Iris in ihrer ganz eigenen leicht trottelig wirkenden Weise den Patienten Alex auf seine Dialyse vorbereitete kam ich mir vor wie in einem der 17 Enden von „Herr der Ringe“ in dem auch der letzte Wurm noch seine eigene Abschiedsszene hat. Glücklicherweise unterbrach die „Dread-Lady“ dieses Schrecktakel mit ihrem Erscheinen und wir hatten einen spaßigen Nachmittag! Wenn jemand es schafft, sich bei einer dieser unsäglichen Nachmittagskochshows so zu amüsieren, dass es wirklich schwer fällt die Fassung zu bewahren, dann ist das schon jemand besonderes. Generell ist die „Dread-Lady“ eine sehr wichtige Person für mich geworden, auch wenn uns eigentlich irgendwo das Leben trennt. Aber irgendwo trennt doch jeden Menschen von seinen Artgenossen das Leben als solches. Nur raufen sie sich trotzdem immer wieder zusammen und ab und zu gibt es dann halt auch mal eine Idealkombination, in der man auf jemanden trifft, der wie der perfekte Gegenpol zu funktionieren scheint und das ist dann immer wieder ein Gefühl großen Glückes für beide Seiten. Und genau so jemand ist Brie– die Dread Lady. Ich weiß nicht, irgendwie war ihre Stimme eine echte Wohltat für meine geschundenen Ohren, neben Sergej und dem immer gleichen Tonarten der Station war es ihre Stimme und die der nubischen Königin, die mein Ohr liebkosten. Hatte ich Karl erwähnt, der beeindruckt wirkte, dass ich jemanden wie Brie an mein Bett holen konnte als Besucherin, irgendwie hatte ich generell den Eindruck, als würden irgendwie alle denken, dass zwischen uns irgendwas laufen würde... hm, vielleicht sollte man das ja auch einfach mal machen, auch wenn es irgendwie gegen jede Wahrscheinlichkeit zu sein scheint, ich bin einfach nur komplett ausgehungert, nicht dass sie nicht echt ein großartiges Exemplar der weiblichen Spezies ist, aber halt einfach nicht mein Typ. Habe ich eigentlich noch so etwas wie einen Typ, nicht dass ich mittlerweile notgeil, die weibliche Form als bespringbar identifiziere und es im Grunde nur noch darum geht, ob SIE Titten hat oder so? Vielmehr habe ich mich weiterentwickelt und sehe größtenteils über das reine Aussehen hinweg, weil jegliche Oberflächlichkeiten seit den letzten Ereignissen keinerlei Bedeutungen mehr für mich haben. Wie krass es ist, dass ein Mensch, den ich vor einem halben Jahr erst wirklich kennenlernte a) ein Teil des Puzzle-Positiv geworden ist und b) so irre ist und für mich einfach mal eine Stunde mit dem Roller nach Münster tuckert und das im wundervollen Dezemberregen dieses Jahres. Keine Ahnung, womit ich sowas wieder verdient habe, aber mit solchen Fragestellungen habe ich mich ja in der Psychosomatik auseinander zu setzen. Habe ich das alles wirklich verdient, darf ich die Chance auf ein neues Leben noch einmal wahrnehmen? Ist das gerecht, habe ich nicht verdient jetzt den Schmerz zu ertragen? Die klare und einzige richtige Antwort ist: NEIN! Nicht zur Gerechtigkeitsfrage, vielleicht auch zu der, denn eine wahre Gerechtigkeit, so wie eine ausgeglichene Waage gibt es in der Realität nicht, weil es eine ausgedachte Idealvorstellung der Menschen ist, dass es eine Art Ordnung im Chaos gibt. Das Chaos ist die Realität und wenn man sich das bewusst macht, wird es deutlich leichter sich damit abzufinden, dass es nicht „Die Gerechtigkeit“ geben kann. Auch wenn ich die Idee des großen „Karmastroms“ in dem Alles zusammenhängt als sehr verlockend empfinde und auch davon überzeugt bin, dass es so etwas tatsächlich gibt, denke ich doch, dass die Basis dessen nicht die Ordnung sondern das Chaos ist und aus Chaos sind wir und zu Chaos werden wir.

Wie bin ich jetzt von den sinnfreien Donnerstagnachmittagskochshows zu so etwas essentiellem wie der Chaostheorie und den Fragen der Herkunft der menschlichen Spezies gekommen? Ach ja, das wird wohl der Einfluss der „Dread-Lady“ gewesen sein, die meine Gedanken durcheinandergewirbelt hat, aber im absolut positivsten Sinne, welchen ich mir vorstellen könnte. Und ich hab die ganze Zeit nicht an Sex gedacht, auch wenn mir das nie einer glaubt, wenn man so mit den Händen unter der Decke im Dialysebett liegt. Schweine, die ihr so was denkt, echt, die Hände sind nur da unten, weil es meistens schweinekalt in der Bude ist und man sonst nach vier Stunden Frostbeulen an den Handgelenken hat. Außerdem war Hitler schwul, habe ich gehört und der Hobbit war heute auch nicht neben mir. Ich nutzte die Zeit mit Brie mich in einer meiner Lieblingsdisziplinen zu profilieren, der guten alten Lästerei. Lange hatte ich mir bloß alles angehört, was so um mich herum geschah, so ungefähr 15 Tage lang mit heute, es wurde dann doch mal Zeit für einen kleinen Rückschlag, Sergej war natürlich das Hauptopfer meiner pööösen Schmähungen, denn er hatte sich in den letzten Tagen wirklich aufgeführt, wie das letzte Waschweib, das ewige Rumgejammere darüber wie schlimm doch sein verdammtes Schicksal sei, war nur die Spitze des Eisbergs. Ich hatte ihn ja als Russen identifiziert, aber irgendwas passte das nicht zu dem Image des jämmerlichen hyperaktiven Russen, ich wusste nur irgendwie nicht, was genau es war. Aber ich werde ja noch eine Dschungelparty miterleben und dann morgen früh. Aber erstmal nutzte ich jetzt die Zeit mich über ihn lustig zu machen, voll arschig eigentlich, der würde auch nicht über mich lästern, außer am Telefon, wenn er in Landessprache mit der Familie redete, auch das klang irgendwie am Ende gar nicht mehr ganz so russisch, wie ich dachte, auf jeden Fall Ostblock und ehemalige Sowjetunion aber ich befürchte es ist näher als Russland, auch wenn der deutsche Dialekt durchaus dem von „Filmrussen“ ähnelte, übertriebenes „ia“ und „rollende Buchstaben, dazu viel „nanananaa“ und „Schwäster, gib Wasser, Schwäster mach Fuß Hilfe in Bett!“, Schwäster, wann gibt`s Essen?“ Ein verrückter Kauz, echtes Original, ich glaube, wenn es ihn nicht gäbe ich hätte ihn für meine Tage im Krankenhaus erfinden müssen. Aber auch so einige andere Sachen, wie den verrückten Karl, der mir noch eine gute Reise wünschte und ein Zwinkern meiner Besucherin gegenüber andeutete. Haha, hab ich das nicht eben schon mal erzählt, sollte doch gar nicht so ein „Herr der Ringe“-eskes Verabschiedungszeremoniell werden und jetzt wiederhole ich schon Szenen, Als ich gegen 17 Uhr wieder auf meinem Raum war, hatte die Dialyse schon deutliche Spuren hinterlassen, vor allem mein Sack zog, als würde immer noch durchgängig Wasser gezogen, sehr unangenehm das. Wirklich sehr unangenehm. Vor allem als meine Eltern dann zu Besuch waren, um schon einmal die Reste meines eingeschleppten Hausstandes mitzunehmen. Tüdelidu, Fressflash, ob es in Bielefeld wohl auch so leckeres Essen gibt, fragte ich mich, warum drehen sich meine Gedanken nur noch um Essen, Weiber und den Umzug? Ist das denn echt so essentiell für mich derzeit? In einem Wort? JA!
Ich überlegte vor dem Einschlafen eine Weile, wie ich mich von der sanftmütigen Nubierin verabschieden sollte, irgendwie fand ich, dass ich ihr wenigstens Tschüss sagen sollte, auch wenn Schwester Rabiata ja schon den Vorschlag eines Besuchs in den Raum geworfen hatte. Aber mit Nayla hatte ich irgendeine besondere Bindung, was Besonderes, eingebildet oder auch nicht, ich fand sie wirklich beeindruckend. Aber leider war ich weder der alte Draufgänger noch der neue jugendliche Held in Glanzgewand, sondern irgendwo doch bloß der gefallene Ritter in der rostigen Rüstung.

„Schwester Scheherazade“ - Die Anmutige

Sie trägt ihr Haar jetzt offen, wie viel sagt das über den Beobachter aus, dass er das als erstes erwähnt, oder dass es ihm tatsächlich als erstes aufgefallen ist. Wie viel würde es aber erst über ihn aussagen, wenn es nichts Neues wäre und er es nur als etwas Neues erkannt hätte, obwohl sie bereits von jeher so aufgetreten wäre.

Ist es eine erwähnenswerte Eigenschaft eines Menschen, wie er sein Haar trägt, wenn es sich nicht um eine Frisur mit einer Aussagekraft derer von beispielsweise Dreadlocks oder der Künstlermähne handelt, oder auch die Fascho-Frisuren, irgendwie haben die eine echte Aussage. Aber das lange dunkle Haar offen zu tragen, und damit ihr von einem unglaublich interessanten Charakter geprägtes Gesicht zu umschmeicheln ist wohl von der Aussagekraft näher am Federschmuck vieler männlicher Vögel, die damit Brautwerbung betreiben. Das soll natürlich nicht heißen, dass anzunehmen ist, dass die Entscheidung der vermutlich anmutigsten aller Schwestern ihr Haar offen zu tragen eine Einladung zum Flirt auf Teufel komm raus sein sollte. Alex hatte sie beim ersten Aufeinandertreffen noch als eher schwierige Person eingestuft, mit der er Probleme bekommen könnte, vor allem weil sie neben der sie umgebenden Aura von Anmut und Güte auch diese Stärke einer Frau repräsentierte, die sich kaum etwas vorschreiben lassen würde. Vermutlich als eine von 2 Töchtern unter sonst Brüdern musste sie früh lernen sich durch zu kämpfen und das hat sie in allen Lebenslagen abgehärtet. Ihr Aussehen wollte sie niemals als Kapital nutzen, weil es ihr moralisch widerstrebt hätte sich dadurch Vorteile zu verschaffen, was von der Natur an sie gefallen war. Sie ist eigentlich eine sehr ruhige und nachdenkliche Person, die lieber mal ein dickes Buch liest, als sich am Wochenende auf die Rolle zu begeben und mit ihren Freundinnen eine Ladies-Night nach der anderen zu zelebrieren. Das Bedürfnis nach Harmonie und gegenseitigem Respekt entstammt ihrem Elternhaus und Erfahrungen in ihren Jugendjahren.
Merkt hier eigentlich noch jemand, dass ich keine Ahnung habe, wer sie eigentlich ist und dennoch stelle ich sie mir als einen wirklichen Engel in Zivil vor. Im Vergleich mit den Anderen übernimmt sie ohne große Umschweife in Notsituationen gerne das Kommando und füllt mit ihrer Erfahrung die Position der Anführerin ohne große Anlaufschwierigkeiten aus und blüht sogar noch auf, wenn Unvorhergesehenes geschieht und sie sich beweisen kann. Sie verbindet ihre sanftmütige Sozialkompetenz mit der Führung und Anmut einer nubischen Pharaonin, ohne auch nur Einem das Gefühl zu geben, sich über ihn erheben zu müssen aus bloßem Selbstinszenierungsdrang.
Sie ist die Klassensprecherin, die im zweiten Wahlgang gewählt wurde, wenn die Profilierungssüchtigen unter sich keinen sinnvollen Kandidaten ausmachen konnten, Generell war sie in der Schule auch eine von denen, die ein Alex niemals angesprochen hätte, die immer etwas hochnäsig wirkende Streberin aus Reihe 1, deren wahre Natur ihm immer verborgen geblieben wäre, weil seine Oberflächlichkeit immer die Haupttrennlinie zwischen beide gestellt hätte und alle Gemeinsamkeiten für den Schüler-Alex einen erheblichen Verlust im Ansehen bei seinen Freunden zur Folge gehabt hätten. Heute wäre er nur zu stolz eine Frau wie sie, Freundin nennen zu dürfen. Menschen wie sie retten die Tage vor dem Untergang und jeder darf sich glücklich schätzen, der so jemanden kennt.

Schnarch Sergej, schnarch!!!

Nichts menschliches ist in der bestialischen Schnarchmaschine neben mir zurückgeblieben, als würde er mich bestrafen wollen, dass ich morgen keine Dialyse habe und mich schon einmal im Voraus gefreut habe ein wenig Ruhe von dem Kasper zu bekommen. Heute Nacht schießt er den Vogel absolut ab, ich wusste gar nicht, dass ein Mensch in dieser Form fähig ist Geräusche zu produzieren, das Schnarchen, das leise Ratzen, was ich von diversen Menschen kenne, werde ich nie wieder als störend empfinden können. Dieses apokalyptische Schnarchen aus der Hölle jedoch wird mir ewig in Erinnerung bleiben, es ist lauter als meine Kopfhörer bei einer Lautstärke, die an Schlaf nicht denken lassen. Normalerweise würde ich niemals so laut Musik hören, aber es ist die einzige Chance, dass ich das diabolische Grunzen des Dschungelschnarchmonsters nicht hören muss. Klar ich könnte auch eine Schwester rufen und über mein Leid klagen, aber was soll das bringen, die werden ihm wohl kaum die Luft abdrücken oder mir zur Liebe alle paar Minuten eine verpassen, dass er gar nicht in diesen Schnarchrhythmus zu kommen vermag. Es sind ja schon einige bizarre Dinge vorgefallen, seit ich meine Reise begonnen habe aber dieses Untier ist absolut ohne Worte. Ich habe mittlerweile auch Tondokumente gesammelt, die von der seelischen Grausamkeit zeugen, die mir durch den Russenschnarcher zugefügt werden. Es ist die Form von Folter, die ich für höchst verwerflich halte. So unfair, dass der dabei auch noch schlafen kann und vermutlich NICHTS davon mitbekommt. Allerdings frage ich mich, ob man das vielleicht auch außerhalb meines Zimmers hören kann. Ist das jetzt wieder eine dieser audioverstärkten Stressreaktionen meinerseits, die ich ja auch schon in der Woche vor meiner Einlieferung mit meiner Heizung hatte, die vielleicht im Nachhinein gar nicht so laut war, wie ich sie wahrgenommen habe, Ich glaube in diesem Fall haben wir es tatsächlich mit einem Phänomen zu tun, immerhin hatte die Nachtschwester vor ein paar Nächten es scheinbar auch wahrgenommen. Immerhin mussten wir uns schon damals anschreien, damit wir uns bei dem Geschnarche überhaupt verstanden. Unfair finde ich bloß, dass dieser Arsch in seiner Wachzeit immer noch so einen auf Nett und Freundlich macht und mir dann die Nachtruhe stiehlt und die meiste Zeit seines Tages ebenfalls verschnarcht. Da ist es nur nicht ganz so schlimm, dann mache ich einfach den Fernseher lauter. Der folgende Tag wird ein wundervoller Tag für die Gerechtigkeit. Ich werde wohl den Braveheart und irgendwas anderes lautes in voller Klangqualität genießen und Sergej wäre gut beraten mich nicht daran zu hindern. Diese nächtliche Schlafverhinderung nehme ich ihm echt übel, es ist einfach so rücksichtslos und egoistisch. Ich würde doch irgendwie versuchen wenigstens so zu schlafen, dass die Schnarchproblematik nicht eine ganze Station wach hält oder in den Schmerz- und Schlafmittelkonsum treibt.

„Schwester Rabiata“ - Die Gern fies wäre!

Im Dunkeln sitzen, sei nicht gut, ich finde das höchstgradig inspirierend, doch wem soll man das schon klar machen, wenn die Stromrechnung der Arbeitgeber zahlt und der Arbeitgeber das Krankenhaus ist.

Irgendwo in der Universitätsstadt Münster musste irgendwann einmal der schöne Tag gewesen sein, an dem die sympathische Schwester Janina das Licht der Welt erblickte, natürlich war sie nicht von Geburt an Schwester gewesen, es sei denn ihre Eltern hätten schon vorher Nachwuchs gehabt, darüber ist an dieser Stelle allerdings nichts Genaueres bekannt und es hat auch keine Bedeutung für ihren Auftritt in der Geschichte, ihre schicksalhafte Begegnung mit dem gefallenen und geläuterten Engel Alex, der schon ihrer ersten Begegnung eine gewisse Bedeutung beimaß, ohne es überhaupt zu wissen.
Wenn man wie er, oft und gerne der Analyse von Menschen und Situationen frönt, eine Detailverliebtheit besitzt, die beinahe krankhafte Züge hat und auch sonst winzigste Kleinigkeiten zu Großartigkeiten aufzubauschen sucht, dann stellt man bei ihr als erstes eine Besonderheit fest. Besonderheiten haben alle Menschen, manche sind verborgen und andere sind offen für jeden sichtbar und doch verborgen. Bei ihr war es eine akustische Eigenheit, ihr Lachen. Ja am Anfang als die Stimmen auf der Station noch etwas fremd wirkten, war es das erste, das sich Alex einprägte, eine ganz besondere Art zu lachen, eine Kombination aus Keuchhusten und dem Unterdrücken eines explodierenden Losprusten. Vermutlich würde eine Analyse etwas ergeben, das sie aus Höflichkeitsgründen oft lieber nicht lachen sollte, allerdings immer wieder in die Situationen gelangt, in denen sie unpassend dem Lachen verfallen würde. Nach außen machte sie eigentlich eher einen soliden Eindruck, bodenständig und fokussiert, allerdings gleichzeitig eine Frau, mit der man Pferde stehlen könnte, wenn es keiner rausbekommen würde, Der Name, der „Schwester Rabiata“, den sie sich scherzhaft selbst eines Abends gab, nachdem sie eine vollkommen schmerzfreie Thrombosespritze bei Alex setzte, spricht eine ebenso deutliche Sprache, wie das immerwährende verschmitzte Lächeln und der Glanz ihrer Augen, die den geneigten Patienten in Verzückung versetzen und ihm jeden Tag ein wenig schöner werden lassen.
Sicherlich ist es für sie ob ihrer Niedlichkeit nicht leicht gewesen, sich selbst am Anfang ernst genommen zu fühlen, allerdings wird sie diese Problematik schnell abgeschüttelt und sich damit abgefunden haben, dass sie jeden Tag Opfer von männlichen Zuneigungsbekundungen sein kann. Aber die „Immer freundlich lächeln“ Variante funktioniert bei Clowns, also sollte sie für sie auch an Wirksamkeit nicht verlieren, Und wenn die Schicht dann vorbei ist, kann man ja eh im Fahrstuhl nach unten fahren und irgendwo wieder den Kopf klar kriegen.
Ob sie wohl einen Freund hat? Ist so eine Frage überhaupt zulässig in der Analyse einer helfenden Kraft des Gesundheitssektors. An dieser Stelle sollte wohl auch unser Alex wieder in die Geschichte integriert werden. Immerhin geht es ja die meiste Zeit vor allem um ihn und seine dämlichen Ideen davon, wie die Geschichte eigentlich verläuft, Und während er sich überlegt, ob er noch einmal losziehen soll, um den verdammten Süßigkeiten Automaten im vierten Stock zu plündern träumt sich Janina an einen Ort, weit weg von dem ganzen Klinikwahnsinn. Natürlich kann niemand außer ihr genau sagen, was sie denkt, aber als Erzähler dieser ganzen Charakterisierung obliegt es meiner Macht sie so anschaulich und authentisch, wie nur eben möglich zu skizzieren, ohne das Geringste zu wissen. Die bloßen Anhaltspunkte sind ihre Besuche bei unseren beiden Patienten aus Zimmer 229 und das über die Station wabernde unverkennbare Gelächter so wie das feenhafte Lächeln, wenn sie über die Station schwebt.

Und diese Attribute müssen jetzt mit ein wenig menschlichem Background angefüttert werden, den wir ja nicht kennen, da wir sie ja nur über den Kontakt zu Alex wahrnehmen können, schwierig, ihr zu glauben, dass sie keine Ahnung vom Bloggen und solcherlei Dingen hätte fiel Alex schon bei der ersten Erwähnung seiner Bloggertätigkeit auf. Eigentlich hätte er direkt fragen sollen, ob sie denn wenigstens ein Facebookprofil hätte, aber er wollte ja auch nicht den Eindruck machen, dass er einer dieser notgeilen Krankenschwesterfetischisten sei, auch wenn letzteres vielleicht doch zutreffen könnte, wenn man mal so genau darüber nachdachte... Aber dafür ist das hier nicht die richtige Stelle... „Schwester Rabiata“ ist vermutlich genau die Art Mädchen, die man in der Schule schon nicht ansprechen konnte, weil sie zu cool für einen waren, die beste Freundin, von der man irgendwie immer was wollte aber nie aktiv wurde, weil sie eigentlich am Ende doch der bessere Kerl war.

12/26/2012

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Der zweite Weihnachtstag beginnt extrem spät, geweckt wurde erst um 7 Uhr und dann hieß es kräftig Programm peitschen, um auch pünktlich verspätet zur Dialyse zu kommen, dort habe ich dann die ersten Scherze mit Schwester Fiesbeth gemacht und mich 4 Stunden chillend auf neue Abenteuer vorbereitet. Auch hier waren es wieder die Frauen, die mich faszinierten. Vor allem wohl die Krankentransporterin, die mich samt Bett abholte, irgendwie erinnerte mich dieses Mädel an jemanden, den ich kenne, vielleicht habe ich sie aber auch einfach schon einmal hier irgendwo gesehen, oder auch nicht, die Mädels hier sind alle ein Augenschmauß. Das ist soooo unfair, weil es die Illusion nährt, dass man auch nur im Geringsten eine Chance bei ihnen hätte, obwohl man genauerer Betrachtung ja doch nichts weiter ist als der Schinken, der von A nach B gelangen muss.

Sergej hatte heute seine erste Dialyse und meinte, dass es gar nicht so schlimm war, wie er gedacht hat. Ja klar, dafür pennt er jetzt auch schon wieder. Wahnsinn, der Kerl tut irgendwie den ganzen Tag nichts ausser Schnarchen und Pfurzen, dreimal den lieben Alex bitten, das Licht auszumachen oder eine Schwester zu rufen, damit er die dann anmeckern kann, dass seine Infusion nicht läuft oder er zu viel Wasser in den Beinen hat. Mit jedem Tag entwickelt er sich mehr zum absoluten Opfer in meinen Augen. Entweder weil er immer mehr zur Memme wird oder weil ich einfach immer besser mit meiner Situation klar komme und nur noch die postiven Aspekte erkenne, wie zum Beispiel die Tatsache, dass ich endlich mal den ganzen Tag hier sitzen kann und nichts anderes tun muss, als zu mampfen und mir diverse Filme reinzuziehen, die ich schon lange nicht mehr gesehen hab. In diesem Sinne sollte ich vielleicht jetzt schon einmal so etwas wie eine Liste der Filme machen, die bei der nächsten Heimsuchung meiner Dortmunder Wohnung durch meine Eltern ins Archiv zurück wandern sollen. Immerhin werden die mich ja gleich auch noch besuchen und mir ein paar Kleinigkeiten mitbringen, einiges mitnehmen, was ich hier nicht mehr zu brauchen glaube, denn scheinbar kommen die Dinge hier jetzt doch noch ins Laufen und mein Auszug beschleunigt sich auf unnatürlich schnelle Weise. Aber erst einmal Ball flach halten, wenn ich zum 11. Januar hier raus käme, wäre das schon ein deutlicher Erfolg in meinem persönlichen Logbuch, welches ich ja eigentlich gar nicht wirklich führe.

Wie ist das eigentlich? Ist das hier eigentlich noch Blogspot oder schon seit längerer Zeit eine der detailliertesten Aufzeichnungen in meiner Autobiografie überhaupt? Vielleicht ist es tatsächlich die autenthischste Phase der Autobiografie, da sie quasi während des Erlebens entsteht, was ja auch nicht wirklich oft jemand von sich behaupten kann, der über sich und seine Geschichte schreibt. Normalerweise ist es immer die lange Recherche der Vergangenheit, jene Vergangenheit, die dann im Nachhinein auch immer eine andere Farbe bekommt, je nachdem wie sich das Bewusstsein zum Sortieren entschieden hat, was als wichtig eingestuft wurde und was einfach der Verdrängung zum Selbstschutz zum Opfer gefallen ist. Die Wahrheit findet man in einer Autobiografie oft nur zwischen den Zeilen und auch nur, wenn der Autor nicht, wie ich durch diverse Persönlichkeiten gegangen ist, die alle eine eigene Geschichte der Vergangenheit erzählen würden, wenn man sie denn ließe.

Wie passend, dass ich morgen außer einem Termin in der Psychosomatik nichts interessantes auf dem Zettel der Erledigungen habe und dann erst wieder Freitag bei der Dialyse auflaufen muss. Im Grunde entschleiche ich zusehendst dem Patientenleben und werde zum Kurpatienten, der die Tage mit den angenehmen Dingen des Lebens und der Beschauung der wohlgeformten Früchte der Natur verbringen kann. Im Grunde wie so ein alter Stelzbock, der im Altersheim den Ärschen des Betreuungspersonals nach giert, bis er seine Hände nicht mehr bei sich lassen kann und eine Backpfeife kassiert, wo eine Anzeige wegen sexueller Nötigung die eigentlich richtige Reaktion wäre. Aber so einer bin ich nicht, bei mir finden solche Dinge maximal im Kopf statt und das wohlgeformte Wort ist das Schwert, mit dem ich den Jungfrauen zu imponieren suche. Ein wenig kitschig gerade, aber niemand sagte es wäre kein Platz für ein wenig romantische Verträumtheit in den Gedanken eines Jünglings mit Samenstau. Wollen wir es mal nicht so herunter spielen, eigentlich bin ich sexuell nicht gerade angetörnt hier, aber die böse Kombination aus der männlichen Griesgrämigkeit im Nebenbett und den Früchten des Fleisches auf zwei Beinen überall um mich herum... 

Ich möchte die Chance dieses Mal nicht verpassen, vielleicht in 10 Jahren einmal „Danke“ sagen zu können, für all die Hoffnung und die positiven Gefühle, die mir meine Heilung ermöglichen, für die verspielte Fürsorge, das Lächeln, die menschliche Wärme, trotz des Bewusstseins der tickenden Uhr und der eigenltichen Überlastetheit. Irgendjemand sollte sich einfach bei diesen Menschen bedanken, eigentlich jeden Tag, aber wenn das nicht möglich ist, dann wäre ich gern der jenige, der diesen Menschen zeigt, wofür sie das alles tun, der ihnen das Gefühl zurückgibt, das Richtige zu tun, der die Dankbarkeit zeigt, die leider viele Patienten beim Betreten der Station zu vergessen scheinen. Selbst in der größten Not gebührt es der Höflichkeit dankbar für Hilfe zu sein, auch wenn diese Menschen das beruflich machen, es vergehen zu viele Stunden, in denen man ihnen respektlos gegenüber steht und es für eine Selbstverständlichkeit hält, dass sie sich jeden Morgen darum kümmern, dass auch alle gewaschen und einigermaßen menschlich aus ihren Betten treten können, keine Schmerzen haben, ihre Werte bereits gemessen werden, nötige Blutuntersuchungen oder Schmerzmittel abgearbeitet werden. Man kann das einfach gar nicht oft genug erwähnen, dass dieser manchmal extrem stressige Job wichtig ist, für viele überlebenswichtig,wie für mich. Ich stelle mir gerade vor, wie wohl ein Krankenhausaufenthalt ohne die helfenden Hände des Stationspersonals ablaufen würde. Das Schlachthausbeispiel von vor ein paar Tagen drückt mir ins Gedächtnis, Fleisch auf Halde gelegt und wenn die werten Herren in Weiß die Muße haben, dann wird es mal beschaut, warten sie zulange ist nichts mehr da zum inspizieren und das welke und verwesende Fleisch stapelt sich in den Betten, weil es ja auch niemand wegräumt. Irgendwann sagen sich die Ärzte dann auch, dass sie die Arbeit zu abstoßend finden und warten in ihren Chefetagen auf neue Lieferungen, um bloß noch zu forschen. Der menschliche Faktor verschwindet und Krankenhaus bedeutet nichts anderes mehr als Leichenschauhaus mit teilweise lebendigen Körpern. Klingt das irgendwie bizarr abstoßend? Wie konnte ich denn jetzt so schreckliche Gedanken entwickeln, wo doch die Sonne scheint und eigentlich alles total blumig ist...

Na ja egal, gleich werden die Parentas hier hereinplatzten und mir ein wenig Futter bringen, damit ich weiter mampfen kann, eine meiner Lieblingsbeschäftigungen hier oben im Turm. Es klingt als wäre ich die essgestörte Version von Rapunzel und Sarumans Sohn, der zwischen dunklen Aussichten und seinen Haaren bloß noch das Fressen im Kopf hat, obwohl er seine Orkhorden auch in eine verrückte Mittelerde Schlacht auf der PS3 schicken könnte. Ich glaub ich fang schon wieder an zu überdrehen, ich sollte mal scheissen gehen... wenn mein Sack nur nicht so ziehen würde... das ist echt irgendwie unangenehm... Die Gedanken wurden unterbrochen von den Erzeugern, die sich wie die bucklige Verwandtschaft in die Hütte schlichen und man sich hätte fragen können, ob sie vielleicht eher gekommen waren um mich um mein Geld zu bescheissen oder mir Essen ab zu schwatzen. Aber die Gespräche waren informativ und brachten dann vermutlich sogar einen Gewinn mit sich, indem ihnen Ergebnisse anstanden. Außerdem konnten die notwendigen Austausche gemacht werden, die dringend notwendig waren, damit ich mich hier wieder etwas menschlicher fühle und weg komme von der Gammelfleischvorstellung von heute Mittag. Mittlerweile ist es dunkel und ich habe schon wieder ein wahnsinniges Abendmahl in mich hereingeschlungen. Ich frage mich echt, wie es eigentlich möglich ist, dass ich soviel essen kann, ohne dass es oben wieder herauskommt und ich mich so fühle, als hätte ich das alles gefressen, ja es sind wahre Fressattacken, ich befürchte das sie immer noch von den Tabletten kommen, denn auch wenn es mir so vorkommt, so lecker kann das alles gar nicht sein. Diese systematische Nahrungsvernichtung durch meinen unstillbaren Hunger fühlt sich teilweise an, als wäre ich so etwas wie ein Wolf geworden... Das Äußere stimmt nicht ganz mit dem Überein, wie ich mich fühle, aber wie stellt man sich so einen fressgesteuerten Mutanten mit Katheterleiden und der neuen Selbsterkenntnis von „Das Leben ist schön“ auch vor? Ich weiß es nicht, mir ist es auch egal. Sergej bekam heute von Schwester Rabiata auch mal ne Unze Schmerzmittel, damit er seinen schnarchenden Arsch auch mal aus dem Bett bewegt und sich mal ein wenig daran gewöhnt, nicht mehr das vorsitzende Russenfaultier zu sein, zu dem er sich die letzten Tage entwickelt hat, fragt der Vogel mich doch ernsthaft, ob ich ihm wohl die Füße ins Bett hebe. Ich hab das dann getan, weil ich auf mein Karma bedacht bin und außerdem ein sehr hilfsbereiter Mensch, auch in der Notsituation meiner selbst. Ich erwarte aber zum Glück von diesem vergammelten Kerl keinen Dank, oder gar dass er vielleicht heute Nacht ein wenig leiser schnarcht, oder irgendeine andere Gefälligkeit, die er nicht in der Lage sein wird, einzulösen...
Es ist einfach, wie es ist, wir hängen hier gemeinsam fest. Ich habe es angenommen, morgen könnte ich vielleicht noch ein wenig Schlaf bekommen, wenn der Freak bei seiner Dialyse ist, das würde mir ja sehr gefallen, aber wir sollten uns vielleicht wieder ein bisschen in Demut schulen, ich habe morgen selbst erst mal meine Psychosomatik abzuwickeln und dann mal gucken, wo ich überhaupt stehe. Derzeit würde ich sagen, dass ich angeschlagen bin, allerdings schon über den Schock hinaus und relativ geordnet, klarer als die letzten Jahre und deutlich positiver gestimmt, da es ja Dinge gibt, auf die ich zugehen kann, der Sumpf ist zwar da, aber er ist nicht mehr nur allgegenwärtig und eine Bedrohung sondern vor allem ein beinahe überwundenes Hindernis, welches sich in die Geschichten meiner Vergangenheit einreihen wird, wie die vielen anderen Hürden, die ich nahm um hier her zu gelangen und auch wieder fort von diesem Ort, was ja das Ziel ist.