12/25/2012

25

5 Uhr Nachts und ich liege plötzlich wach, draußen tobt der Sturm und ich frage mich, was bloß mit mir los ist, es geht mir irgendwie so gut, nicht eingebildet oder stark geredet, einfach so gut, so als ob ich jeden Tag etwas von der Last abwerfen kann, die mich so gepeinigt hat, als würde ich von Grund auf erneuert und hätte die Chance bekommen, DIE CHANCE, den alten Mr. Scrooge zu den Hunden zu schicken und es mit dem neuen Elan und der neuen Power anzugehen. Weihnachten, es ist so ruhig auf der Station, das könnte doch einen wundervoll chilligen Tag bedeuten, wenn man mir nicht irgendwelche dämlichen Dinge in den Weg wirft. Aber es deutet sich nicht an, dass meine innere Reinigung, die „Traumabewältigung“ nicht fortschreiten könnte. Vielleicht ist es dieser Ort, der es einfach sein musste, damit ich den Dämonen der Vergangenheit endlich ins Auge lachen kann und ihrer nicht mehr fürchte. Seit einigen Tagen ist es nicht mehr bloß der Wunsch hier einfach heraus zu kommen sondern, hier heraus kommen zu können, weil die Vergangenheit keine Schatten mehr auf mich wirft. Als noch völlig unklar war, wie lange ich eigentlich hier hospitieren werde war ich zerrissen, von meinen Gedanken zerfressen und im Zweifel mit mir, ängstlich ob des Ortes, der Isolation, Münster, Kindheitstrauma, wahrscheinlich ist einfach so viel von dem ganzen Cystinose und Dialyse-Transplantationswahnsinn in meiner Vorjugend nicht verarbeitet worden, dass ich mich jetzt 16 Jahre später mit gestutzten Flügeln der Sache erneut stellen muss, aber auch erst jetzt scheinbar dafür bereit bin und jede Erinnerung schlimmer wirkt als die tatsächliche heutige Erfahrung, wie es wohl tatsächlich war. Ich kann das nicht oft genug sagen, aber ich fühle mich von Tag zu Tag wie ein neuer Mensch, besser, natürlich ist das vor allem eine Wirkung der Medikamente und auch des allgemeinen Gesundheitszustandes, denn die Psyche muss sich sicher wesentlich länger erholen als ich mir das wünsche und ich habe noch einen sehr weiten Weg zu gehen aber es fühlt sich gut an, wenn man sich wieder an die Person erinnert, die man einst war, der Charmebolzen, der es schafft, dass die halbe Station auf kurz oder lang nach seiner Pfeife tanzt. Zwar scheinen einige der Ärzte mit meiner fröhlichen Art nicht ganz klar zu kommen, scheinbar muss ich weiterhin depressiv und traurig sein, damit ich nicht aus dem Rahmen falle, aber was wenn genau dieser Teil von mir sich von mir abgeschält hat, wie morsches Holz, das von einer gesunden Rinde blättert. Freuen sollten sie sich, dass ich Tag für Tag das Leben ein wenig mehr zu schätzen weiß, ihnen dankbar bin, dass sie mir ermöglichen noch einmal so fühlen zu lernen, vielleicht sind sie ja auch bloß neidisch, dass ich das Positive in meinem ganzen Unheil gefunden habe und die Disziplin habe mich nur noch daran aufzurichten, alles Negative auszublenden, nur noch das Ziel vor Augen wieder Alex zu sein. Der Alex, den nicht nur ich absolut geliebt habe. Mein Äußeres ist schon ein recht deutliches Signal, wie es mir geht, ich laufe nicht mehr in den Lumpen herum, in denen ich eingeliefert wurde, die Frisur benötigt morgendliche Pflege, die ich ihr angedeien lasse, ein winziges Detail, dass ich in den letzten 2 Jahren nahezu ignoriert habe, ich hatte ja nicht einmal mehr einen anständigen Kamm, um durch meine Yeti-Mähne zu kommen.

Gerade erfuhr ich, dass man mich hier schnellstens loswerden will, da man scheinbar nicht in der Lage ist mir Personal für die „CAPD-Schulung“ zur Verfügung zu stellen. Eigentlich ist das ja traurig, allerdings ist das ganze ja nun wirklich nichts, was man so dermaßen hoch hängen muss, wenn es nur das ist, was ich da gestern bei der Erstspülung gesehen hab, dann sollte es doch reichen, mir das zwei oder drei mal zu zeigen und dann probiere ich es aus und dann läuft das. Angedacht war jetzt von Ärzteseite scheinbar eine Verlegung an den Bünder Dienst, weil zwischen den Feiertagen einfach hier keine Kapazitäten seien und ich hier die Tage bloß absitzen müsste, das könnte ich aber wohl auch in Bünde oder Bielefeld, wenn ich das richtig verstanden habe. Wow, es fühlt sich fast so an, als würde ich auf ein Ziel hin fiebern können, ein erhabenes Gefühl, wenn die Nebelschwaden den Schicksalsberg freigeben und der Ringträger nur noch seine letzte Aufgabe erfüllen muss und den von Sauron geschmiedeten Meisterring ins Feuer werfen muss. Wobei das entscheidende Wörtchen wohl das „NUR“ ist, denn die Gefahren werden weiterhin an der Seite des Helden bleiben, sie sind seine Triebfeder, sein Antrieb und Strom, sie sind das, was ihn letztendlich zum Erfolg verdammt, der Held zu sein.

Ich glaube "Schwester Rabiata" hatte nicht so einen tollen Tag bislang, ich habe sie noch gar nicht verzweifelt leicht verwirrt lachen hören, aber vielleicht sollte ich mir viel weniger Gedanken darum machen, das Personal zu analysieren, auch wenn ich mich ja schon frage, warum heute so etwas Grandioses aus der Küche kam, zartester Schweinebraten an Kartoffeln mit einer unglaublichen Soße auf Bohnengemüse. Als Dessert gab es dann noch einen Schokopudding über Pfirsich garniert mit Mandelsplittern und zwei Stücke feinsten Christstollen, den ich mir jetzt noch einverleibe, nachdem ich den Gesamteindruck des Mittagsmals verarbeitet habe und einfach nur geflasht bin, wie lecker Essen sein kann. Ich hoffe, dass ich vor allem diesen Aspekt mit hier heraus nehmen kann, jegliches Essen zu mögen und den Geschmack voll entfaltet spüren zu können. Am Hunger sollte es nicht mangeln. Vielleicht schaffe ich es ja, doch noch so etwas wie ein guter Koch zu werden und dann auch Gerichte die ich eigentlich gar nicht mag in Köstlichkeiten zu verwandeln. Ich glaube eigentlich mag ich gar keinen Christstollen, dennoch schmeckt er faszinierend. Es kann doch nicht bloß der Hunger sein, der einfach ALLES hineintreibt in den ungesättigten Schlund meiner Gier. Ich komme immer wieder darauf zurück, dass mein Körper das Leben komplett neu erfährt dieser Zeiten, es ist wie neu geboren zu sein, alles ist neu und aufregend und doch hat man schon so viele Erfahrungen und im Hinterkopf spricht Yoda die magischen Worte, „Vergessen was du weißt, du musst!“

Ich glaube der Schnarcher nebenan ist absolut unglücklich, sein Shunt funktioniert nicht, jeden Tag muss er sich mit Überwässerung abfinden, wird allmorgendlich gequält und sieht, wie es mir immer besser geht, auch wenn ich versuche es nicht allzu deutlich zu machen, andererseits könnte er ja auch mal versuchen sich an mir ein Beispiel zu nehmen und mit Freundlichkeit und Disziplin die positiven Seiten allen Übels zu erkennen und mit ein wenig „Hakuna Matata“ und einer gesunden Portion Humor auch mal über die eigenen Defizite zu lachen und nicht ständig zu klagen und zu hadern, denn das hilft weder ihm, noch mir, noch jedem der ihm helfen möchte sondern sorgt bloß für Frust und auf Dauer Ablehnung, weil der Mensch sich nicht auf Dauer mit dem Scheitern beschäftigen möchte. Eine negative Einstellung führt aber auf dem langen Weg der Abwärtsspiralnebel irgendwann genau dort hin und nur dort hin. In den Abgrund des Scheiterns, ich könnte Buchbände darüber erzählen, wie das Leben einem mitspielen kann und wie oft man die Chance wahrnehmen kann sich zu ergeben und es zu zu lassen. Aber das mache ich nicht mehr, ist einfach sinnlos, weil es nur nach unten führt... und Unten ist einfach keine Richtung, die Sterne anstreben sollten.

Irgendwie glaube ich, dass die nubische Prinzessin genau die richtige für mich wäre, wenn man sich unter anderen Umständen kennen gelernt hätte. Ich weiß nicht, wie viel von den Andeutungen ihrerseits wirklich im Falle eines Falles ernst gemeint wären, aber ich glaube, dass sie schon eine richtig versaute Krankenschwester ist und seit sie ihr Haar offen trägt und im fahlen Mondlicht nachts in mein Patientenzimmer schleicht kann icb nicht sagen, dass ich sie nicht deutlichst attraktiv finde. Sogar so sehr, dass Sir Lancelot sich mal wieder blicken lässt, ich hatte ja schon Angst vor Impotenz gehabt, aber auch an dieser Front scheint wieder alles im relativen Lot zu sein. Das freut einen doch irgendwie. Ich sollte vielleicht mal so langsam anfangen, die Bilder zu konservieren und mich auf die Zeit nach dem Krankenhaus vorbereiten, wo nicht jede zweite Frau den Anschein macht, dass sie genau die richtige für dich ist und dabei auch noch so devot daherkommt, dass sie einem vor dem Schlafengehen ins Ohr flüstert, dass man nur klingeln muss, wenn man irgendetwas brauchen würde, egal was. Wer käme da nicht auf schmutzige Gedanken. Das ganze wird immer mehr wie ein versauter Traum in meiner Krankenschwesterfetischwelt und die einzige Person mit der ich das bespreche scheint zu denken, dass ich jetzt aus reiner Notgeilheit auf sie stände, klingt als würden sich da endlich wieder normale Probleme anbahnen, die so jeder attraktive junge Kerl meines Alters hat.

12/24/2012

Vierundzwanzig!

Was ist das besondere an dem großen Weihnachtszauber, mit dem alle herumlaufen und sich wirklich so etwas wie Freude durchs Gebäude wabert, echte Freude, auch bei jenen, denen es dreckig geht, die arbeiten müssen, getrennt von Heim und Herd, von den Freunden, der Familie.... ich habe heute endlich den Mut aufgebracht mal ein wenig rabiater zur Wäsche zu schreiten, mich extra fein gemacht, mal anständige Klamotten rausgesucht, irgendwie hatte ich schon heute morgen ein richtig gutes Gefühl. Faszinierend, wo ich eigentlich in absoluter Hektik bereit sein müsste mich zur Dialyse aufzumachen, dann noch die ominöse Erstspülung und das alles an einem Tag wo jeder nur noch den Weihnachtsbaum in den Augen hat. Der ruhigste Ort auf Erden ist das hier sicherlich nicht, die Stimmung ist deutlich gereizt und eigentlich könnte ich mich auch schon wieder aufregen, dass ich schlingen werden muss, weil das Frühstück zu spät kommt. Aber mein Gott, es ist alles in Ordnung. Mit ein wenig Galgenhumor, einem Lächeln und dem Willen nicht ewig zu bleiben lässt sich doch einfach alles ertragen, es ist wie es ist, man muss die Situation annehmen, wie sie ist. Nicht immer nur hadern, jammern und sich beschweren, das Leben bietet jedem die Chance es zu verwirklichen, wir sind nur oft zu träge es anzunehmen, zu träge oder blockiert oder sonst wie gehemmt.
8 Uhr
Eine dralle junge Transportbettfahrerin holte mich zu meinem Dialysetermin ab, wirklich ein nettes Mädel, etwas unschuldig aber ich glaube das gehört hier irgendwie ins Persönlichkeitsprofil, dass man zumindest den Anschein erweckt die Unschuld vom Land sein zu können. Vermutlich ist es, wie überall zu 80% Fassade und soll dem Patienten suggerieren, dass er nicht so viel hadern muss, dass es nötig ist, dass ihn eine junge Frau samt Bett durch das Klinikgebäude kutschiert, obwohl man viel lieber selbst gehen würde. Aber andererseits ist es auch irgendwie ein gutes Gefühl so umsorgt zu werden. Auch wenn es natürlich wie fast alles nur schöner Schein ist und im Endeffekt eben doch nur „business as usual“.
Um 8 Uhr 15 lag ich schon voll verkabelt an der Station und hatte bereits klar gemacht, wie ich zum Kitsch und Klimbim von Weihnachten stehe, nicht ohne mehrfach erwähnt zu haben, dass ich den Grinch als besten Weihnachtsfilm verehre. Ganz im Ernst ist in der Geschichte auch viel mehr Wahrheit als in den Erzählungen über fröhliche Menschen, die zusammen singen und feiern und alles im Glanz des scheinheiligen Tannenbaums, der symbolisch für die Inszenierungswut und das Zeigen von immer tollerer Pracht, Glitzer in den Augen jener, die geblendet sind. Tatsächlich fühlte ich mich beim Geräusch der Pumpen und Maschinen erhoben, klar, so wie ich das von früher her kannte, als könnte doch wirklich alles gut sein. Ich musste schmunzeln über den älteren Herr, der mir gegenüber große Probleme mit dem Ton des Fernsehers zuhaben schien, Unwichtigkeiten, die ihn belasteten, ich fand es lächerlich, dass es für ihn scheinbar essentieller war für ein paar Stunden nach Hause zu können um sich in einer dann doch gezwungenen Atmosphäre dem aufgezwungenen Weihnachtsfest hinzugeben, als die Tatsache, dass er überleben würde und vielleicht diese paar Stunden gerade der Anfang einer neuen Chance für ihn sind.
Dialysestationen sind ja vielleicht nicht gerade wirklich gemütliche Orte aber wenn man nur will kann jeder Ort, der Ort sein an dem man gerade ist. Und damit der einzig richtige Ort, es ist nur eine Sache der Einstellung, Situation analysieren und annehmen. Immer das beste daraus zu machen klingt vielleicht wie Idealismus und Naivität aber das Gegenteil ist das ständig unzufriedene Streben nach einem nie erreichbaren Idealzustand und das führt unweigerlich zum Gefühl des Scheiterns, sollte also als Option nicht einmal angeboten werden dürfen. Aber viele nehmen diese Option dann trotzdem gerne wahr, weil es ihnen an geistiger Größe fehlt ihr Potential auszuschöpfen.
Ein Arzt besuchte mich in der Dialyse und erkundigte sich forsch nach Teilen meiner Geschichte, die ja nun doch nicht gerade das leichteste Gepäck ist, was man sich am „Heiligen Abend“ aufladen möchte... Aber da ich keinerlei Ängste mehr verspüre mich zu offenbaren und auch die Reaktion mir keinerlei Scham mehr einschießen lässt kann ich frei von der Leber weg erzählen, dass ich systematisch 2 Jahre lang versuchte mich langsam und qualvoll zu exekutieren. Klar klingt sowas höchst schockierend, aber noch wesentlich schockierender ist es, wenn man sich mit den Folgen auseinandersetzen kann oder in meinem Fall muss, weil der Plan bloß ein weiterer Fehler in der Gewahrwerdung des Wertes von Lebens ist. Den Wert des Lebens zu erkennen ist vielleicht die größte Herausforderung, der sich das bewusste Wesen des Menschen zu stellen hat. Wenn der Weg dorthin über den Weg des Todes und das Tal der Schmerzen führt, dann ist das eben so. Wie mir gestern die Tränen übers Gesicht liefen, als Timon und Pumba das „Hakuna Matata“ intonierten, weil es einfach so wahr ist. Der König der Löwen, die moderne Fabel zum Thema Selbstfindung, in dem Film steckt so viel, es ist eine Schande, dass ich solange gebrauchte habe, diese Tatsache zu erkennen. Aber sei es drum, für manche Dinge braucht man eben etwas länger,, manchmal ein Leben lang und im schlimmsten Fall überschreitet man auch die ein oder andere Grenze, während man das Ziel wieder ins Visier nimmt. Bloß Aufgabe darf keine Option sein, es kommt mir seit Tagen so vor, dass ich gar nicht weiß, wieso ich mich eigentlich so gehasst haben muss, mir den eigenen Tod herbei zu wünschen. Womit sollte ich das eigentlich verdient haben?
 
Der Arzt sah sich meinen Verband an und meinte dann in einem Anfall von Aktionismus diesen wechseln zu müssen. Vermutlich war mal wieder nicht kommuniziert gewesen, dass es später noch einmal zu einem erneuten Wechsel kommen sollte bei der sogenannten Erstspülung. Aber sei es drum, solange es nicht schmerzt oder solcherlei sollte er mal machen, war ja auch mal ganz nett, wenn einem einer sagt, ob eigentlich alles in gewünschtem Maße aussieht. Diese Bestätigung tat schon wirklich ganz gut, einfach auch mal zu hören, dass alles so verläuft, wie es sollte, trotz der geringen Informationsdichte, die ich hier ab und an schon bemängeln musste. Nachdem dieser Verbandswechsel dann erledigt war erlebte ich den bisherigen Höhepunkt des Tages mit einem weiteren Patienten, leider ist mein Namensgedächtnis nicht das, was es einst war und daher nenne ich ihn einfach mal den „Kalif der Weihnacht“. Er erkundigte sich nach meiner Geschichte und gänzlich unverhofft entsponn sich ein Gespräch auf einer Ebene wie ich seit Jahren kein Gespräch mehr geführt habe, von einem gegenseitigen Respekt und Verständnis geprägt, als würde man sich schon ewig kennen. Mein persönliches Weihnachtswunder. Es gibt doch im Leben immer wieder diese Weichen, die man nicht sieht, weil man an ihnen vorbei hastet, diese Momente die man Jahre später für Dinge verantwortlich machen kann. Wenn man während eines solchen Moments bemerkt, dass es sich um einen solchen handelt, das fühlt sich an wie ein direkter Handkuss aus der Chefetage des Seins. Die Dialyse verging wie im Flug, nicht einmal der krächzende Hobbitmutant neben mir, der sich dauerhaft und im immer gleichen Ton beschwerte konnte mir das nehmen. Genau dieses Gespräch hätte vielleicht zu einem anderen Zeitpunkt viel Leid von mir abgehalten, aber wer in Kategorien wie „hätte, wäre, wenn“ denkt, der sollte sich sowieso erst einmal deutlich hinterfragen. Tiefe Gespräche mit fremden Menschen erheben mich immer auf eine gewisse Ebene, wenn diese dann auch noch in Inhalt und Anschauung so auf meiner Linie sind, gibt mir das die deutliche Hoffnung, dass ich bei weitem nicht so kaputt bin, wie ich es immer annehme. An dieser Stelle kann ich dann ja auch mal einstreuen, dass ich am 27. einen Termin in der Psychosomatik wahrzunehmen habe, warum genau habe ich entweder überhört oder nicht gesagt bekommen, ich finde jedenfalls das klingt interessant. Ich habe heute Morgen gelacht, so ein schönes Gefühl, ich hatte es schon vergessen gehabt. Es gab einfach in den letzten Jahren keine wirklichen Gründe mehr für ein Lachen, ein gefühltes Lachen, wie befreiend so etwas sein kann, wahrlich wundersam. Neben der Information zur Psychosomatik wurde dann auch so etwas wie ein ungefährer Fahrplan mit mir besprochen, indem man mir mitteilte, dass eigentlich nur noch ein wenig Einspülen und Training her muss und man dann bereit wäre mich auch gehen zu lassen. So was hört man ja gern, wenn ein Arzt, jemand der etwas zu sagen hat sagt, dass man ja nicht tagelang hier herum liegen muss, obwohl eigentlich alles erledigt ist. Na ja ganz so war es wahrscheinlich dann auch wieder nicht zu verstehen, aber ein Bett ist eben auch nicht ewig frei... mir soll`s ja recht sein. Licht am Ende des Tunnels. Irgendwie gibt einem so was Hoffnung, dass man sich richtig entschieden hat, nicht aufzugeben.
Leider konnte ich keine Nachricht mehr an meinen „Kalifen der Weihnacht“ mit der doch ebenso beeindruckenden Vita wie der meinen mehr hinterlassen, da im Anschluss an meine Dialyse eine gewisse Hektik dafür sorgte, dass man die Erstspülung dann kurz in einem kleinen Nebenraum durchgeführt hat und ich weiß gar nicht, ob ich früher ne volle Hohlnuss war oder einfach nichts gecheckt habe, aber etwas simpleres als den Prozess der CAPD habe ich selten gesehen, idiotensicher. Auf die Trainings freue ich mich schon, klar hatte ich schon irgendwie etwas Respekt vor der Nummer, aber früher schien das alles viel komplizierter gewesen zu sein. Vielleicht war das aber auch der Situation geschuldet, dass meine Mutter mit ihrer ungezügelten Art die Fähigkeit zu besitzen scheint alles mit Stress und Komplexität aufzuladen, selbst die simpelste Kleinigkeit. Ich glaube es gibt eigentlich nur eine wichtige Regel. Desinfektion ist GOTT. Wenn man sich daran hält und nicht vollkommen hornochsig ist, sollte es nicht gelingen großartige Fehler zu produzieren.

Gegen 13 Uhr war ich dann auch wieder auf der Station und durfte mich dem mies gelaunten Sergej gegenübersehen, aber irgendwie ist mir das auch so egal, was der Kerl für ein Problem hat, soviel schlechtes Karma umgibt diesen Menschen, das kann schon nicht gesund sein. Wie der vergiftete Apfel, der zusammen mit den Gesunden im Korb liegt und das Leben aussaugt wo er kann. Mir kann das nichts anhaben heute. Es ist eine weitere Prüfung, ich könnte einstimmen in die Unzufriedenheit und hadern, aber WAS sollte es bringen. Wenn diese Vorgehensweise jemals etwas gebracht hätte, wäre die Menschheit nicht so verkommen und neidvoll auf ihre gegenseitigen Nichtigkeiten. Wer sich nicht wehrt, der wird auch nicht gerettet. Sergej ist stinksauer, hat Schmerzen und macht auf mich den Eindruck eines sehr unzufriedenen Menschen, aber das hat er sich vermutlich komplett selbst zu zu schreiben. Das Leben gibt uns immer nur soviel zu tragen, wie wir auch wirklich zu tragen im Stande sind. Das System ist narrensicher, auch wenn es Idioten wie mich gibt, die seine Fehlbarkeit in ihrer ganzen Arroganz des menschlichen Forscherdrangs finden wollen und den Fehler des Systems zu sehen scheinen, der nicht da ist. Der einzige Fehler ist, sich selbst nicht im Konzept zu sehen, zu denken man würde außerhalb des Systems agieren können. Eine Wahnsinnsvorstellung, die schon die schlausten Köpfe an den Rand ihres ach so überlegenen Verstands gebracht haben... Ich sage euch was, scheißt auf das Alles, es ist Weihnachten, seit 11 Tagen habe ich gerade das erste Mal die Sonne gesehen und es ist ein überwältigendes Gefühl, wie der Kuss eines Engels, nur herabgestiegen um meiner gewahr zu werden und mir ein Licht zu sein in der Dunkelheit, der Umnachtung, des Schattens, der sich so lange meiner bemächtigt hatte, wie der Nebel, der die Tage über dem Land lag und alles in den Dunst legte. Die Rückkehr Gandalfs kommt mir in den Sinn, als am Horizont das weiße Licht des Stabes die beinahe siegreichen Horden des dunklen Herrschers zu Staub zermalmt und über die Ebene ein Schwall von Licht und guter Energie den Sieg für unsere Helden bringt, vorerst. Es ist bloß die Schlacht um Helms Klam, doch ein Sieg ist immer ein guter Grund, den Krieg nicht verloren zu geben. Und so werde auch ich keinen Krieg verloren geben, dessen Sieg ich in einer atomischen Chance irgendwo wahr zu nehmen vermag. STAY STRONG – ABER STAY!
Ein Wort wie Aufgabe hat mir noch nie gelegen, wie konnte ich mich damit nur so sehr identifizieren? Ich war, ich muss umnachtet gewesen sein, mir fehlt derzeit sogar das Verständnis für viel von dem, was mein Handeln beeinflusste, wie ein Kriegsgefangener der nach Hause kommt und seine Taten nicht begreift, wie ein Wanderer, der nach jahrelangem Umherirren endlich seinen Weg zurück findet und sich fragt, wie er ihn je verloren haben konnte, wie der brennende Funke, der das Feuer erneut entfacht, als die Glut schon erloschen schien... Wie das Leben, das in den toten Körper zurückfährt, ja genau, wie die verdammte Wiedergeburt einer mythischen Sagengestalt, der Scheintote, dessen bereits festgestellter Tod bloß ein Irrtum war, bereits vergraben und verscharrt mit den Händen durch Erdhügel grabend um wieder ans Licht des Tages zu kommen, es nur einmal noch sehen zu können als größtes Ereignis, welches der Kosmos zu bieten hat. Verflucht, das klingt als wäre ich komplett high! Dabei fühle ich mich so klar und „normal“... Verrückte Weihnachten hier im Krankenhaus, vielleicht hatten Lando und Charistian ja doch recht, dass die merkwürdigen Gashahnattrapen an der Wand wirklich so etwas wie ein Beruhigungsgift durch den Raum leiten, damit die Leute schlafen... und weil heute Weihnachten ist gibt es irgendwas für die Junkies. Und in der Station tanzt der Hexensabbat um den Tannenbaum und singt mit krächzender Stimme: „Merry Christmas, I don`t wanna fight tonight!“ Joey Ramone sei dank für dieses Stück Musik, mein absolutes Lieblingsweihnachtslied. Auch wenn ich heute irgendwie gar keine Weihnachtsmusik ertrage und lieber das Sunshine Live Programm der Mix-Mission laufen habe, weil es so schön sphärisch und neutral ist, die Botschaft wenigstens einmal im Jahr keinen Streit vom Zaun zu brechen und alles cool sein zu lassen hat etwas sehr sehr tröstliches, auch für den Grinch in mir...
Welch beklemmender Moment gerade, als das verdammte Webradio nicht mehr lief. Ich bin nicht sicher, was hier heute noch passiert, aber ich hoffe einfach mal, dass Sergej keine russische Polkaparty angeleiert hat und ich mich am Ende des Tages noch mit den Auswüchsen fremder Kulturen auslassen muss, nichts gegen den Kalifen, denn der war ja ultra gechillt aber einer von den grießgrämigen Stinkstiefeln in meinem heiligen Abend reicht mir echt ohne Gnaden!
Und genau aus diesem Grund musste ich mich einfach erdreisten zur von mir in Kindertagen so erinnerten Bescherungszeit ein wenig Rabatz zu machen. DEEP PURPLE – CHILD IN TIME
Das ist der Hit für mich in genau diesem Moment, es ist die Hoffnung auf Wacken, darauf dass alles wieder metallisch wird und die Qualen ein Ende nehmen, die ganze Power soll herauskommen und das tut sie gerade, ich kann mich kaum bremsen lauthals mit zu schreien...
Es wurde dann am Ende ein doch recht besinnlicher Abend, bei einer Runde Scrabble und sehr viel schlechter Luft, dem Gefühl, dass man irgendwie auf Droge sei und viel Schokolade und hemmungslosem Schlemmen. Leider wurde irgendwann der Hals etwas schwer, Eliza ist böse gewesen und hat deshalb Weihnachtsdienst. Aber ich fange langsam an sie ins Herz zu schließen, toll war auch, dass man uns als Familie irgendwie in Ruhe gelassen hat und wir ein richtig schön harmonisches Fest verleben konnten. Am Abend kam noch Schwester Amira herein und ich weiß nicht, bisher hatte ich die ja auch als eher bürstig und etwas distanziert erlebt aber in diesem Moment, wie sie da so hereingeschwebt kam, engelsgleich, da hätte man sich auch direkt in sie herein verlieben können. Sie ist einfach toll irgendwie, wie ein Traum aus 1000 und einer Nacht. Und hinter der harten Schale scheint eine weiche Amazone zu schlummern, die auch einfach nur mal in den Arm genommen werden möchte.

12/23/2012

Dreiundzwanzig

Der Tag vor Heilig Abend, nach der Nacht im Dschungel werde ich geweckt von den Amazonen der Station, die mit ihrem Charme beinahe Räume erhellen und jeden noch so frühen Morgen zum Sonnenbad der Glückseeligkeit machen. Klingt schon wieder absolut übertrieben, gelle? Das liegt hier an der Kombination aus absoluter Tristesse und Abwesenheit irgendwelcher Reize, mit der einzigen Ausnahme der Schwestern und dem alltäglichen Wahnsinn der Nichtigkeit, wie die einen Morgen um halb 7 nach unruhiger Nacht neben einem schnarchenden Ungeheuer aus dem Kaukasus zu beginnen und seine Hauptfreude aus dem Lächeln der Prakikantinnen und Schwestern zu ziehen, während man voller Hoffnung auf die erste Tagesmahlzeit wartet und immer wieder bemerkt, dass es im Krankenhaus eben vor allem das Wort krank ist, das den Tag bestimmt, wie gesund man sich auch fühlen mag. Das erste Drama kündigt sich bereits an, wenn die Gedanken vom Gang zur Morgentoilette zu kreisen beginnen, das Gefühl wieder frisch und reinlich zu sein unter der Abwägung der Strapazen, die dazu führen, sich so fühlen zu können. Ich weiß ja nicht, wie abnormal ich bin, aber mir scheint es hier eine Art umgekehrte Reihenfolge zu geben, die ich persönlich für unsinnvoll halte, ich esse eigentlich lieber erst und mache mich im Anschluss tagesfrisch. Und mit tagesfrisch meine ich sauber und frisch frisiert. Mitten in die Gedanken zur Morgenhygiene und der Reihenfolge der Martern, die kleinen Dinge des Lebens meistern zu können huscht die thrombosespritzende Eliza und versucht mit ihrem ganz eigenen Charme aus dominant und verspielt eine lockere Atmosphäre zwischen uns aufrecht zu erhalten. Das macht es auch für mich erträglicher, den Sinn, den ich nicht sehe in den Injektionen zu finden, den es ja dann trotz Einbildung und guter Propaganda irgendwie nur auf dem Papier gibt. Wie sagte doch heute morgen schon mein russischer Zimmergenosse so treffend, „Krankenhaus ist kein Kuraufenthalt“.
Während ich noch grinsend über die Neckereien im Bett hocke macht sich mein Kollege schon mit größter Sorgfalt für den Tag bereit, indem er das „Bad“ eindieselt und seinen von Wasser gefüllten Körper säubert. Und gerade als ich das ständige Plätschern und den süßlichen Duft russischen Moschusochsen aus meinen Gedanken verdränge betritt die Wochenendvisite das Zimmer. Ich hatte sie gestern schon wahrgenommen, allerdings nur teilweise, da ich dem Schlaf deutlich zugeneigter gewesen war. Heute aber konnte ich sie in ihrer Gänze erfassen und als eine deutlich positive Erscheinung identifizieren. Bestimmt wieder die Medikamente, die in meinem Kopf aus einer durchschnittlich attraktiven, ich vermute mal Assistenzärztin so etwas wie einen morgendlichen Engel in Weiß produzierten, die fast feengleich in den Raum hinein schwebte, ein Lächeln aufsetzte, sich nach dem Befinden erkundigte und weiter huschte, und das alles noch weit bevor es so etwas wie Sonne am Himmel zu erblicken gab. Es ist scheissefrüh, es ist Sonntag und man fragt sich, wie lang so ein Tag wohl werden kann, wenn alle wichtigen Dinge des Tages noch vor dem Frühstück von der Agenda verschwinden. Ob hier wohl irgendwem bewusst ist, wie sehr man unwichtige Dinge durch die Strategie alles innerhalb der ersten halben Wachstunde hochstilisiert und damit den Rest des Tages zur unausweichlichen Qual des Wartens auf irgendetwas, das nicht passiert degradiert? Oder wollen hier einfach alle den ganzen Tag eine ruhige Kugel schieben und nichts tun und dafür lohnt es sich dann wohl, morgens um 7!!! auf einen Sonntag das komplette Programm abzuwickeln? Ich bin mir nicht sicher. Aber Sicherheit sollte man sich hier sowieso abgewöhnen, das kann auf Dauer nur zur Enttäuschung werden, denn sicher ist bloß, dass der Tageslauf nicht anhält, irgendwie pletschert es so vor sich hin, Informationen sind der Kaffeesatz im Sieb der kaputten Maschine und niemand weiß, wann es neue gibt oder ob diese nicht vielleicht schon in der nächsten Sekunde verworfen werden können. Bislang habe ich keine weiterführenden Informationen erhalten, wie es mit mir weitergehen soll, klar morgen Dialyse aber sonst? Wer weiß schon, was das alles bedeuten soll? Schön war, dass mich gestern Abend noch mein Chirurg besuchte und mir ein gutes Gefühl hinterließ, als er mit seiner Arbeit zufrieden schien. Keine wirkliche Information für die Zukunft, bloß so etwas wie ein minimales Gefühl von Seelenfrieden, irgendetwas richtig gemacht zu haben, wenigstens vom Gefühl her. Gefühl insgesamt, eigentlich schon die größte Überraschung, denn eigentlich war ja das Gefühl in den letzten dunklen Tagen ein eher seltener Gast in meiner Persönlichkeit. Aber scheinbar ist es noch irgendwo in den Schluchten meines Ichs verborgen und wartet bloß darauf sich wie ein Phoenix aus der Asche auf ein Comeback vorzubereiten. Das könnte mir gefallen denke ich.
Doch erst einmal liegt ein weiterer grauer Tag vor uns, getaucht in trübstes Regenwetter mit dem Ausblick auf eine Menge Nichts im Umland der Uniklinik. Als hinge seit Wochen ein Schleier über dem Sein, jeden Tag das gleiche Bild, grau, grau und noch mehr grau, zur Abwechslung gibt es alle zwei oder drei Tage auch mal dichtes Grau in Form von Nebel, der die Sicht dann vollends einhüllt und das Gefühl der Ziellosigkeit, der alles durchdringenden Ungewissheit des Seins und Aussichtslosigkeit unterstützt. Ob Jaqueline wohl mit einem Kerl wie mir... ? Sollte ich echt schon wieder so weit sein, dass sich alle Gedanken bloß wieder auf die einzigen positiven Dinge meines Aufenthalts hier beschränken, weil das Nichtstun und Warten, unterbrochen von Schmerzen beim Husten verursacht durch den infektiösen Zimmernachbarn, den man mir hier hingelegt hat um mein Leid zu verlängern. Vielleicht ist das aber auch genau die Strafe, die ich in jenem Moment verdiene, eine Spiegelvariante meiner Selbst sozusagen. Mir zu zeigen, wie rücksichtlos ich all die Zeit meine Probleme als den Mittelpunkt aller Wichtigkeit dargestellt und nach außen proklamiert habe? Die Parallelen sind doch sehr auffällig, das großspurige Auftreten, das Sergej hier, Sergej da, „Schwester tu dies, Schwester tu das!“ verbunden mit der nörgeligen Unzufriedenheit und ständigem Meckern, Unverständnis in jeder noch so kleinen Geste, eigentlich ein netter Kerl, der sich wie ein Kotzbrocken aufführt, medikamentenbedingt? So werden es die Schwestern sich sicher einreden, um sich nichts vorwerfen zu müssen, denn ganz ehrlich, ihnen eine Schuld für solches Fehlverhalten anzudichten wäre vermessen und unfair. Die tun nun wirklich ihr Allerletztes, wie schrecklich es doch ist, dass hoffnungsvolle junge Frauen ihr Weihnachten mit undankbaren und größtenteils unansehnlichen kranken Menschen verbringen müssen, während überall anders die Familien zusammenrücken und sich dem Zauber von Weihnachten hingeben und vielleicht der ein oder andere friedliche Neuanfang gestartet werden mag. 
Wie vor 98 Jahren in den Schützengräben des ersten Weltkriegs. Keinerlei Fortschritt und doch sangen damals Feinde zusammen Weihnachtslieder und zeigten, dass der Mensch mehr ist als das kalte Bestienwesen, dass ich die meiste Zeit in ihm sehe. Ich stehe im 13. Stock am Fenster und blicke auf den Stadtrand von Münster, Regenwetter, Wind und alles erinnert irgendwie an den Nürburgring, die Anmut von Nibelungen Liedern, dazu ein hyperaktiver Russe, der von gutem Wetter spricht und einer schönen Stadt, als würde die Realität sich für ihn längst verabschiedet haben. Wer weiß, was sie ihm in die Arznei gekippt haben, ich glaube ja langsam, dass er gänzlich irre ist, fing er doch heute schon an mir zu erzählen, dass wir jetzt ab Morgen Waffenbrüder seien, weil wir beide Dialyseverwundete wären. Als ich gestern meine Kriegsdokus guckte empfand ich es schon fast als ulkig, dass ich plötzlich der jenige auf der Station zu sein scheine, der „SEI SOLDAT“ als Kommando ausgibt. Ich wüsste irgendwie wirklich gern, was aus diesem Verrückten geworden ist, der damals nachträglich gesehen, ja doch einen 12 Jährigen deutlich prägte mit seinen Durchhalteparolen im Schlamm der Nephrologie, von Blut verschmiert und im Schlachtengetümmel der Überlebenden. Wenn ich nicht so „reflektiert“ wäre würde ich fast behaupten, dass ich heute dieser alte Haudegen sein könnte....
Die Nordschleife als Galgenschlinge der Hoffnungslosen zieht sich enger um meinen Hals ohne, dass es eine Bedrohung des Lebens mit sich ziehen könnte. Bloß das Gefühl der Ausgeliefertheit, diese endlos wirkende Einsamkeit, ein Regentropfen im Meer der Strömungen, Fluten endloser Wässer hernieder stürzend, dem Wahnsinn doch so nah und ferner als ich es je war. Schwebend, pulverisiertes zerstäubtes Wasser, wie Dunsthauben aus Quasaren lebensspendendem Erdensaft, überall und nirgends, hier und dort, schwebend, durchsichtig, unsichtbar und doch massiv!
Das Mittagessen, Reis, Hähnchenflügel und Blumenkohl, so sehr durchgegahrt, dass es sogar mir einigermaßen geschmeckt hat, allerdings hatte ich noch nie diesen Drang gehabt, so etwas essen zu wollen. Mit ihrer bescheuerten Idee einer Diät schießen die sich nur so weit ins Bein, dass ich natürlich von Tag zu Tag abnehme, weil ich es einfach nicht mag, wenn man mir a) vorschreiben will was und b) wann ich es essen soll. Aber wenigstens schmecken die Gerichte einigermaßen, sogar die, die ich eigentlich gar nicht mag und bei einigen Dingen lasse ich mich ja auch ganz gerne überraschen, dass es doch schmecken kann, ich sage nur Eintopf am Vortag, da hätte man mit ner Wettquote gestern nen richtigen Jackpot gewinnen können, wenn man getippt hätte, ICH würde Eintopf essen. Medikamente schießt es mir in den Sinn! Vermutlich ist das tatsächlich der Hauptgrund warum ich nicht vor Wut rot anlaufe und stoisch einfach esse, was sie mir hinstellen, einfach weil die Medis mich so sehr betäuben, dass der Sinn der Sache einziges Entscheidungskriterium wird. Und diese ganzen Marmeladen, ich wusste nicht einmal, dass ich die mag, Rote Grütze, wie ich mich da rein setzen kann, verrückt!
Sergej scheint das Wetter wirklich zu gefallen, fasziniert steht er oft minutenlang am Fenster überblickt das verregnete Panorama und redet von Schnee bei 13 Grad, als sei es bloß eine Sache der Vorstellung sich einen Winterwunderwald mit Schneesturm und fliegendem Weihnachtsschlitten vorzustellen. Und Knecht Ruprecht oder Prinz Weihnacht halten sich den Bauch und lachen den strahlenden Kindern ins Gesicht.
Ich sehe da draußen nur einen wahnsinnig deprimierenden verregneten grauen Schleier, der wie die natürliche Abbildung meines Seelenzustands fungieren könnte, um mich herum scheint langsam so etwas wie Weihnachtsstimmung aufzukommen, doch in meinem Herzen ist bloß Winter. Genau so grau wie alles hier, der Tag gleicht bloß einer nicht gewährten Sonne und das seit Wochen, was wird es bloß für ein Gefühlschaos in mir auslosen, sollte ich sie jemals wieder zu sehen bekommen. Und wieder warte ich. Derzeit vor allem auf die Ankunft meiner Angehörigen, die mit mir den Sonntagnachmittag verbringen mochten, doch auch hier schwindet langsam erneut die Hoffnung, es dauert alles schon wieder sooooooo lang. Aber keiner kann da etwas für, die Zeiten sind halt so, wenn der Hobbit wandelt!
„Deine Augen machen Bling Bling und alles ist vergessen!“ Das könnte man hier auch des öfteren mal zu den Mädels sagen, die sich hier abrackern und mit den unzufriedenen Kranken und deren teilweise völlig überzogenen Ansprüchen konfrontiert sind. Eigentlich soll man ja nicht gehässig sein und sich über das Leid anderer erfreuen, aber mein ungeduldiger Freund hier auf der Bude könnte vielleicht mal ein wenig Demut gebrauchen, von nur Schnarchen und herum meckern wird man weder gesund noch sammelt man bei irgendwem Sympathien. Auch wenn man für die eigenen körperlichen Gebrechen nicht wirklich etwas können muss, sollte man doch wenigstens soviel Anstand und Geduld aufbringen, das Personal seine Arbeit erledigen zu lassen und nicht ständig nach der Schwester krähen, weil die eigenen Arterien zu verkalkt sind um eine vernünftige Bluttransfusion über die volle Distanz zu ertragen. Was soll ich eigentlich sagen? Ich welke hier Tage vor mich hin, verliere Stunde um Stunde von meiner Lebensuhr in der ich nicht aktiv bin, weil es nichts gibt, wofür ich mich aktivieren müsste... Und dieser Wurm sollte noch froh sein, dass er keine Schmerzen hat und was tut er stattdessen, wie ein Rohrspatz verbreitet er schlechte Laune und da bringt es auch nichts, dass er die Krankenhausküche schmäht und mir alles abgeben will, irgendwie sollte man sich doch auch mal ein wenig am Riemen reißen können, ich schaffe das doch auch und ICH bin psychisch ein Wrack und Geduld ist nun wirklich keine meiner heraus stechenden Eigenschaften. Aber ich schaffe es die Situation angemessen und im Rahmen der Gegebenheiten zu ertragen. Klar würde ich auch viel lieber Streifzüge durchs Gebäude machen und mich irgendwie davon ablenken, dass morgen Weihnachten ist und ich allein im Turm von Saruman festhänge und morgen dann den ruhigsten Tag des Jahres mit einer tollen Premiere der sogenannten „Spülung“ meines neuen Kathethers zu beginnen. Dazu noch eine tolle Dialyse, was könnte man sich besseres wünschen, wahrscheinlich bin ich dann morgen Nachmittag so dermaßen gerädert, dass ich an der Pseudo-Festivität einer kleinen Weihnachtssiesta den absoluten Spaß maximal Lestat zu Liebe spielen müsste, aber eigentlich ist mir das viel zu dämlich. Es könnte morgen doch tatsächlich der Tag werden an dem ich mich von den letzten menschlichen Emotionen meiner Kindheit und den damit verbundenen Traumata zu lösen vermag. Sehr passend dazu ist auch das Radioprogramm, wo ich gerade „Die young“ von Kesha durch die Boxen jage und dann fetzt direkt Cro hinterher und macht sogar mir gute Laune, lächerlich eigentlich, aber das die derzeitige Situation bizarr und lächerlich ist muss ich ja nun auch nicht in jedem Absatz dreimal erwähnen!
Mittlerweile ist es 15 Uhr und was hat sich geändert seit heute morgen? Hm kurz überlegen, NICHTS, ewig schnarcht der Sergej, nicht einmal laute Musik übertont das Urwaldgrollen seiner verrotzten Nebenhöhlen, ich bin nicht sicher ob es ihm selbst bewusst ist, wie sehr er mich damit in den Wahnsinn treibt, aber ich ertrage es mit Ruhe, Tee und dem Wissen, dass es ja nicht für immer ist. Irgendwann wird sein verdammtes Blut eingelaufen sein und dann wird er sich wieder aufmachen und verschwinden, auch wenn ich große Sorgen habe, dass ich diesen Jammerlappen nie mehr loswerde...

12/22/2012

Zweiundzwanzig

Seit drei Tagen bin ich irgendwo zwischen Sein und Scheiden, im Meer der absoluten Ungewissheit, auf Tränen vollen Wogen setzte ich über zu den Iden des Lebens, doch legte sich der Nebel unheilvoll über das was in Hoffnung geboren und ich sehe nicht den Weg. Wie es weiter geht, möchte ich gern wissen, doch was gilt es zu fragen? Weihnachten, ja hm, alles verliert die Bedeutung und ich will bloß eines, Überleben und hier raus. Wie? Keine Ahnung, seit der OP bin ich scheinbar keine Priorität mehr oder sowas, als ob ich mich um alles jetzt selbst kümmern müsste, vielleicht hätte ich die drei Tage eingeschränkte Bettruhe zum Schlafen nutzen sollen, aber ich kann ja auch nicht den ganzen Tag schlafen, ich will irgendwas tun. Wie sinnvoll man die Zeit hätte nutzen können? Aber ich fühle mich wie ein Patient 2. Klasse, als sei mein Schandmal, wie ich hier landete mir ins Gesicht gemeißelt und ich werde nur noch aus Mitleid geduldet unter den Lebenden, als „Dead Man Walking“ als Leichnam unter Ihnen, wie die schaurige Gestalt, das Grauen, der Spiegel, dem sich niemand stellen kann. Und ich bleibe allein mit meinen Selbstvorwürfen und der Ungewissheit und dem Gefühl nichts tun zu können, weil man es mir gar nicht mehr zutraut, dass ich gewillt bin IHREN Kampf wieder zu führen, warum sonst hätte ich eingeschlagen, als mir der sanfte Verführer eine letzte Chance zu generieren suchte? Lasst sie mich doch nutzen, sagt mir was ich tun muss, Schmerzen? Gebt mir Schmerzen, wenn es der Katharsis dient. Rückschläge, her damit dient es der Katharsis werde ich es durchstehen, Qualen, mehr Qualen, erneute Seelenkriege, so sei es, muss ich über weitere Grenzen gehen? Wenn es sein muss, ich tu es ja, aber stattdessen straft mich das Leben nun mit dem größten Schlagwerkzeug, welches es hat, mit Ignoranz. Leben ist Schmerz und Schmerz ist so ziemlich die heilsamste Methode zu Selbsterkenntnis aber ein gerettetes Leben ohne Perspektive, ohne das Gefühl, es zu spüren, ohne das Bewusstsein seiner Existenz, ohne die Chance auf die Chance zur Chance ist wertneutral und dem Tod keinesfalls vorzuziehen. Der Tod ist mir so nah, dass er zu jeder Meinung direkt eine Notiz vermerken könnte und doch fühle ich mich objektiv mal von der völligen Abwesenheit von positiver Emotion so lebendig, wie seit Jahren nicht. Aber warum sollte es dafür schon zu spät sein? Ich bin nicht begeistert, dass es die letzten Tage sein könnten und niemand Anteil daran nimmt, generell nimmt niemand an irgendetwas Anteil, es ist eigentlich total traurig, doch ich bin nicht einmal in der Lage diese Emotion zu verspüren, weil ich versuche stabil zu bleiben, fokussiert, das Ziel im Auge, das Leben im Blick, nur dafür zu existieren, der psychische Sturz muss warten, der See ist zwar voll gelaufen und die ersten Dämme würden sich mit Freuden niederknien, sich ins Tal zu ergießen, den ganzen Weg frei zu brechen, die Dörfer zu zerschmettern, angehäuft mit der Dummheit, der Naivität, dem Versagen des Vergangenen, des Schadhaften, welche eine Industrie der Angst, der Kontrolle, der Selbstverleugnung, der Aufgabe initiierte. Doch der Damm bricht nicht, die kleinen Bruchstellen werden schnell gestopft, doch die Flut steigt und steigt. Niemand sieht es außer mir, ich vermag es nicht zu sagen, sie in Panik zu versetzen würde niemanden retten, es gäbe nur mehr Ungewissheit, mehr Opfer, am Ende muss ich mir auf meine Selbstvorwürfe weitere Berge aufhäufen, die sich ins Tal ergießen um meine Existenz zu fluten und am Ende nichts als zerstörte leere Ödnis hinterlassen werden.

Was genau ist eigentlich passiert, dass ich am Ende dieses Weges landen musste, der niemals meiner war, oder aber genau mein Weg und deswegen hart und steinig wie die sprichwörtliche Hölle. Ich will es immer so mythologisch neutral als möglich ausdrücken, doch wir sind so sehr von unserer kindlichen Religionsprägung verätzt, dass es Teil unserer Existenz ist in Kategorien wie Himmel und Hölle zu denken, auch wenn sie keinerlei Bedeutung für uns haben. Gott und Teufel als Kreaturen für Gut und Böse zu benutzen, ohne ihrer wahren Bedeutung nur nahe zu sein, die sie als mythische Figuren über Jahrtausende ansammeln konnten. In vielen Ländern der Erde wird Gastfreundschaft groß geschrieben, das Miteinander ist ein hohes Gut in vielen Kulturen der Welt, doch wenn wir auf uns gerichtet sind, auf unseren innersten Kern, den Punkt zwischen Gut und Böse, dann sind wir bloß noch Menschen, Überlebende des Sinnlos-Holocausts der Zeit und verloren im Allen des Nichts. Wie ich. Trotz der einigermaßen ruhigen Lage meines Zimmers und dem tollen Besuch zweier meiner besten Freunde bringt es mir nichts an Mehrgefühl auf Dauer. Die Zeit verliert ihren Wert, alles unscharf, russisch wird zu Sprachgewirr, welches sich in Schwällen von boshafter Zunge auf die Mühlen der geschändeten Seele ergießt und trotz nicht vorhandener Antipathien wieder so etwas wie eine Regung in mir hoch holt. Ich weiß nicht, ob es der Neid ist, dass am Bett des hyperaktiven Sergej 8 Leute stehen und ich bloß meine 2 besten Freunde und meine Eltern sehe wenn ich denn überhaupt mal Besuch habe. Nein, es ist kein Neid, es macht mir Angst, dass ich es irgendwie geschafft habe, dass neben den 5 Personen, die meine derzeitige Handy Nummer haben niemand auch nur ansatzweise weiß, was los ist, obwohl es mir noch viel mehr Angst machen könnte, dass ich es selbst nicht weiß...
Aber ich weiß es nicht, weil ich es erst forciert, dann ignoriert und dann systematisch verborgen habe, erst vor der ganzen Welt und dann am Ende vor allem vor mir selbst. Die größtmögliche Täuschung ist die, wenn man sich selbst einreden kann, dass das Leben nur ein Spiel ist und das die die Konsequenzen immer nur für die anderen gelten und niemals das ach so tolle Selbstbild erreichen werden, die Gottheit des eigenen Seins, der Quell der allmächtigen Arroganz, wie konnte ich nur jemals so hoch fliegen und vergessen, dass schon ein winziger Flügel nicht der Hitze der Sonne widersteht, so wie es einst der Junge erfuhr, der in den Ozean stürzte als sich seine gewachsten Flügel entzündeten und sich seine Überheblichkeit gegenüber anderen zu seinem Untergang weideten.
Alexander, Salzprinz, komm nie wieder, warum fliegen Motten stets ins Licht.... Ganz sicher nicht bloß weil sie es können, doch andererseits wäre das noch die am wenigsten verstörendste Erklärung meiner Meinung nach. Wäre es eine bewusste Entscheidung der Motten, wären sie die geborenen Suizid-Lebewesen und würden damit die Bedeutung von Leben als wichtig und entscheidend deutlich in Frage stellen und damit mir und anderen wie mir die Hoffnung nehmen, an den Wert von so etwas wie Leben zu glauben. Warum ich mir über so etwas Gedanken mache? Motten können ins Licht fliegen, Brot kann schimmeln, ich kann mir über so etwas Gedanken machen und habe nichts anderes zu tun und keinerlei Ablenkungen von den essentiellen Dingen des Lebens, die so nichtig sind, wie sie es nur sein könnten, wenn das Leben eben nicht das von Bedeutung aufgeladene Konstrukt einer besseren Welt ist sondern einfach nur das Nichts in dem wir uns begegnen und verlieren, jeder für sich, allein in sich gefangen und ohne die Not des Gemeinen, des Ganzen, einfach Nichtig!
Ich will das nicht glauben können, das Nichts ist mir zu wenig, zu wenig ist mir das Sein, das Sein als Nichts, warum kann es nicht sein, wie ich es wollte? Als ich es wollte, zu meinen Bedingungen, zu meinem Zweck, warum ich keine Gottheit bin? Das ist die schlussendliche Frage, warum nicht ich, wenn es überhaupt möglich sei. Wenn überhaupt irgendetwas möglich ist, dann wird es vermutlich alles sein, was in seinem Umfang und Verarbeitungsverständnis unserem individuell ausgeprägten Gehirn zugänglich ist, zum Zwecke der Dominanz und der Fortentwicklung der eigenen individuellen Intelligenz im Sinne seines Schöpfers und somit selbst erfüllend in der Prophezeiung des Selbst einer Existenz die sich selbst schon überlebt hatte, bevor sie sich seiner Selbst bewusst ward.
Irgendwie ist Eliza schon eine ganz besondere Frau, wie mir scheint, ich glaube heute habe ich erstmals ihre zarte verletztliche Seite gesehen, wie sie da so ganz still und heimlich zwei Tage vor Weihnachten im Vorabend die Weihnachtsplatten aufgelegt hat und versucht ein wenig Fröhlichkeit weiter zu tragen, doch mich erreicht nur die tränenhafte Variante, warum weiß ich nicht, aber irgendwo ist wohl auch Weihnachten in der kindlichen Naivität meiner Vergangenheit ein Relikt und auch wenn ichs nicht eingestehen will macht es mich traurig an Weihnachten hier zu sein...

12/21/2012

Einundzwanzig

Während die ganze Welt im Chaos versinkt und sich auf das große Fest der Liebe vorbereitet warte ich auf meine OP, die mir ein weiteres Leben ermöglichen würde... In frühester Morgenstunde werde ich von den lustigen Krankenfahrern zur Chirurgie gefahren und dort dann in eine Art Warteraum mit Bett gelegt, wo ich mir erstmals vorkomme, wie ein Stück Fleisch, dass auf Halde gelegt wird, bis man sich darum kümmern kann, obwohl so fühlte ich mich schon vorher oft, aber das ist ja eine andere Geschichte. Im Radio dudeln sie mal wieder die üblichen Weihnachtsklassiker und mir wäre fast ein wenig Kotze hochgekommen, wenn ich denn noch etwas im Magen hätte, aber da ich schon seit gestern Abend nichts gegessen hatte, war das wohl sehr schwierig... Also versuchte ich es zu ignorieren und wartete auf die OP, leider waren heute auch noch die Champions-League Auslosungen und das auch noch zum gänzlich ungünstigsten Zeitpunkt, wenn ich unterm Messer liegen soll... also musste ich die Annästhesisten dazu bringen mir direkt nach dem Aufwachen mitzuteilen, wer der Achtelfinalgegner des BVB ist. Die OP-Vorbereitungsfragen und mich aufzuregen war für mich halb so wild, genauso ungerührt ließ mich das Wiegen auf dem Schlachtbrett aus Stahl und die Erläuterungen, dass ich trotz der nur 45 Minuten dauernden OP durchaus dabei draufgehen könne... Halb so wild, wenn man aus dem Tal des Todes kommt oder? Nunja, dann mal los... Kick me out!!!


12/20/2012

Zwanzig

So habe ich mich zwischenzeitlich auch gefühlt als ich das 5:1 unserer Truppe über Hannover miterlebte, in einer kleinen Abstellkammer auf meinem tragbaren Fernseher und voller Gefühlschaos, ob der anstehenden OP am morgigen Tag, auch wenn der Chirurg es schaffte mir ein wenig die Angst zu nehmen und die Zweifel an mir und meinem Überlebenssinn nahm. Die Entscheidung LEBEN zu wollen habe ich doch schon getroffen, also warum sollte ich mich jetzt noch schämen, jetzt dafür zu kämpfen?
Ich bin mir bewusst, dass es noch ein weiter Weg ist, bis ich wieder annähernd der bin, der ich einst war, aber wenigstens im Kopf hat sich wohl was getan bei mir, in wie weit es hilft, werden wir sehen... vielleicht sprechen auch bloß die Pillen aus mir... oder das Trauma, Glücksgefühle oder sonstwas... Das beschissenste am Pokalsieg heute ist die Auslosung der nächsten Runde, denn da gehts nach München, mit diesem Gedanken gehts dann mal ins Bett...

12/19/2012

Neunzehn



Was für ein abgefuckter Tag ist das eigentlich, wenn einem endlich bewusst wird, dass man beinahe das wertvollste weggeschmissen hat, was man besaß, sein Leben? Das kann man bestimmt auch anders herum sehen, ich muss mich mit Zweifeln herum schlagen, warum ich es verdient hätte, weiter leben zu dürfen und gleichzeitig die Entscheidung treffen, WIE es denn weitergehen soll? Der Geburtstag einer verlorenen Liebe, eines geliebten Verlusts und der einzig verbliebenen Freude meines Lebens, des großen Sterns überm Ruhrgebiet... und dann auch noch Pokal gegen Hannover... das könnte ne enge Kiste werden... und morgen dann die OP?
Ich glaube langsam, dass die Mauern der Seele einzustürzen drohen und ich dem ganzen nicht mehr standhalte...
Ich bin heute viel umhergelaufen, dass ich den Kopf frei bekomme, aber im Grunde dreht es sich doch alles immer zurück zu der Schuld, die ich mir aufgeladen habe, warum nur, warum?
Und das erwartet mich dann demnächst, na super... bis zum Lebensende oder Transplantation? Scheisse aber wer leben will, der kann nur so entscheiden, oh Mann, wie ich mir das hätte ersparen können... :(






12/18/2012

Achtzehn

Langsam schwindet meine Hoffnung, dass ich es schaffe bis Weihnachten aus dem Krankenhaus zu kommen, vor allem deswegen, weil ich mir nicht sicher bin, wie gut oder schlecht es mir wirklich geht. Klar vom Gefühl her würde ich sagen, ich bin einigermaßen fit, diese Dialysen scheinen echt was zu bringen, deutliche Verbesserung des Lebensgefühls, wenn man mich fragt, aber ich bin ja trotzdem noch komplett kaputt.

Kaputt ist auch ein gutes Wort, um den gewaltigen Björnholm zu beschreiben, der auch heute den kompletten Tag außer Schlafen und ab und zu mal verwirrt aufwachen nichts getan hat, Manni war den Großteil des Tages unterwegs und nicht zu sehen, so wie ich auch für meinen Teil, denn was soll man schon machen, ich könnte natürlich grübeln und mir einen Kopf machen, aber ich war viel zu happy, dass ich keine Angst mehr hatte mich in "unbekanntem" Terrain zu bewegen und nutzte diese Tatsache so oft ich konnte. Außer den bescheuerten Zugängen hielt mich ja nichts wirklich auf und so erkundigte ich die unteren Stockwerke des Gebäudes, die ich in den letzten Tagen ja nur in liegender Position gesehen hatte und wurde sogar teilweise wieder erkannt und gegrüßt. Merkwürdig, ich fühl mich eigentlich gar nicht so, als würde ich krepieren, wenn ich nicht regelmäßig dialysiere, eigentlich fühl ich mich fit, ich könnte wieder gehn, wenns nach mir ginge...

Aber da gab es ja noch genug Gründe, warum das nicht passieren sollte, zum Beispiel würde ich vermutlich nicht einen Tag überleben ohne die Dröhnungen, die man mir hier verpasst und vor allem wäre ich vermutlich wesentlich schneller wieder hier, als ich mir vorstellen kann... Also verbringe ich meine Zeit lieber damit mich von meinem alten Leben zu verabschieden, denn das hab ich ja schließlich auch erfolgreich ausgelöscht, kann man das so sagen?

Ich weiß es auch nicht, morgen is erstmal Fußball!!! Und ich sollte eigentlich in der Kurve stehen und stattdessen hänge ich hier rum und hoffe, dass mein Zimmernachbar mich an seinem Sky-Paket teilhaben lässt und ich bei ihm mitgucken kann :D Obwohl ich glaube der BVB wird sogar im Free-TV übertragen! Naja erstmal pennen!!!

12/17/2012

Siebzehn

Ich bin mir gerade gar nicht sicher, woher das Märchen um Rübezahl, dem Herrn der Berge stammt, ich vermute einfach mal, dass es sich um eine tschechische Volksweise handelt, die dann zusammen mit den Erzählungen von Yetis und Riesen zu einem bärtigen Giganten wurden, der durch die Karpaten zieht und Wirtshäuser leer futtert. Ich denke bei Rübezahl irgendwie immer an eine der Verfilmungen, da gibt es diese eine Szene, die mir in Erinnerung geblieben ist, Rübezahl betritt ein völlig heruntergekommenes Wirtshaus irgendwo am Berghang von „KeineAhnungWo“ und bestellt ein Rührei. Der Wirt knallt zwei Eier in eine kleine Pfanne und hofft dem Giganten damit genüge getan zu haben, der wird aber total wütend und in der nächsten Einstellung sieht man ihn dann da sitzen, wie er eine komplette Pfanne Rührei spachtelt, die so groß ist, wie vier zusammengeschobene Tische. Fröhlich schmatzend und mit einer lustigen Musik unterlegt sieht man einem Riesen beim Rühreiessen zu. Und so was fand ich als Kind richtig klasse.Ich würde den Film glaube ich gern mal mit den Augen von heute betrachten, vermutlich würde ich aus dem Lachen nicht mehr herauskommen, auch wenn viele dieser tschechisch, polnisch, vorzusammenbruchssowjetisch produzierten Märchenfilme wirklich richtige Klassiker sind und von einer Authentizität leben, die heutige Filme einfach nicht mehr hinbekommen. Aber wieso eigentlich Rübezahl?
Besucht ruhig mal den Blog hier...
Eigentlich wollte ich ja eine Parallele zum Weihnachtsmann herstellen bei unserem neuen Zimmernachbarn, aber das fällt mir ob der offensichtlichen Abgerissenheit und Verwahrlosung deutlich schwerer und die Assoziation mit Rübezahl trifft von Kleidungsstil, Bewegungsabläufen und Statur viel direkter den Punkt. Auch wenn der „Weihnachtsmann vom Dach“, der gerade aus seinem Wald kommt auch das Potential gehabt hätte dem Björnholm gerecht zu werden. Der Björnholm, das war der neue auf unserem Zimmer, Manni und ich waren beide ein wenig unsicher, denn er redete nicht mit uns, vermutlich hatte er ernsthafte psychische Probleme. Dazu war er in einem wirklich jämmerlichen körperlichen Zustand, bekam Besuch nur von einer Sozialarbeiterin und schlief den ganzen Tag. Irgendwie war er eine Mischung aus unheimlich und Pflegefall, aber man konnte ihm ja auch nicht wirklich helfen. Er tat mir irgendwie leid, als er da so niedergestreckt lag, wie ein gestutzter Riese auf den Brettern, nachdem ihn ein vorlauter junger Kerl von den Beinen geholte hatte mit irgend einem miesen Trick vermutlich, erinnern wir uns an das Märchen von David und Goliath! Ich glaube irgendwie, dass ihm übel mitgespielt wurde und er jetzt hier gelandet war, weil der Körper sich mit verabschiedet hat, nachdem die Psyche nicht beachtet wurde. Im Grunde so wie bei mir, ich weiß nicht, ich glaub ich brauch dieses Gefühl der Sonderstellung einfach, das offen damit umgehen, einen solchen Fehler begangen und bereut zu haben ist das Eine, wirklich dahinter stehen zu können, dass es Teil der eigenen Vita ist, Scheiße in Massen gestapelt zu haben ist eine ganz andere Sache, ich glaube, dass die Bewusstwerdung mir noch bevor steht und heute mit der 2. Dialyse ist dafür keine Zeit, es ist alles noch viel zu neu und frisch und auch aufregend irgendwie. Klar ein wenig Angst schwingt mit, aber die erste war ja auch schon höchst erfolgreich und das wird ja jetzt nicht großartig schlimmer werden können. Also ab dafür.

12/16/2012

Sechzehn

Der blaue Herr E. muss uns heute verlassen, was für ein Verlust. Nicht wirklich, aber ich hatte mich daran gewöhnt, wie verwirrt er sich immer ausdrückte und ständig in der Zeitung irgendwelche Schalke-Artikel suchte und dann darüber schwadronierte, seine Schwerhörigkeit war extrem anstrengend aber auch praktisch, da man so des Nachts wenigstens nicht allzu leise sein musste, aber eigentlich war er schon ein echt netter Kerl, wir (Manni und meine Wenigkeit) werden ihn sicher vermissen, wieder eine Unterhaltungsquelle weniger, die den tristen Alltag erträglich macht. Neben einigen sinnlosen Untersuchungen unter anderem der eines Ultraschalls der Schilddrüse war am heutigen Tag nicht wirklich viel los gewesen und so nutzte ich die Chance meine Haarpracht den Gegebenheiten anzupassen und sie kürzen zu lassen. Dabei lernte ich die interessante Friseurin aus dem vierten Stock kennen, deren Musikgeschmack ich als gelinde fragwürdig beschreiben mag. Einerseits auf Rammstein abfahren, aber dennoch von einem Silbermond Konzert schwärmen, von dem sie noch nicht einmal wirklich begeistert war. Lustigerweise habe ich dieser Frau die Rockstar Geschichte erzählt, quasi die Geschichte einer meiner Persönlichkeiten (als Mischung aus Chesney Little und dem nur kurz aufgetretenen James Jeans) und nicht meine eigene, aber ich denke das ist völlig in Ordnung, immerhin ist ja auch ein großer Teil davon wahr, dass ich einst Bandleader war und die Geschichte von Aufstieg und Fall, Drogen und Exzessen sind ja auch eine Seite der Wahrheit, die mich schlussendlich hier her gebracht haben. Wie gut das Reden doch tut, auch wenn vieles eine etwas andere Darstellung der Realität durchmachte, irgendwie ist mir die reine Wahrheit in einer solchen Situation dann doch zu schäbig und vor allem wollte ich nicht mittags um 12 heulend zusammenbrechen beim Frisör, es sollte ja nach vorne gehen, ich habe einfach die künstlerische Freiheit genutzt und aus einer deprimierenden Story eine krass interessante gemacht.
Diese indische Prinzessin, Wahnsinn, die ist doch tatsächlich eine Ärztin der Nephrologie hier, ich dachte eigentlich wirklich, dass sie nur zur verrückt bizarren Zwischenwelt gehörte, die ich auf meinem Dead-Walk in der Notaufnahme zu meiner Beruhigung erschaffen hatte, aufrecht gehalten durch den Daueradrenalinschub, aber nein sie machte auch die Schilddrüsenuntersuchung, vom Fleck weg hätte ich sie genommen, aber stattdessen habe ich sie bloß angeschmachtet und ich befürchte fast, dass sie das sogar mitbekam...
Aber egal, ich bin krank! Und sie ist meine Ärztin, klar habe ich mir auch eingebildet, dass irgendwas von ihr zurückkam, aber vermutlich war es nur eine Mischung aus Mitleid und Unverständnis, wie ich mit dem, was ich mir angetan hab noch so happy sein konnte und einfach alles irgendwie leicht zu nehmen schien. Ob sie mir wohl geglaubt hätte, wenn ich ihr die Wahrheit gesagt hätte, dass es sich dabei bloß um eine besonders ausgeklügelte Form des Überlebensinstinkts mit Selbstbetrug handelte? Vermutlich nicht! Ich glaube, dass sie wirklich nicht genau wusste, wie sie mich einzuschätzen hatte und das sorgte für diese besondere Spannung zwischen uns, die ich als prickelnd und sie vermutlich als irgendwie unangenehm empfand.