3/19/2023

... und ich habe gebetet - Teil 2

Ich weiß, dass mein "Gegenüber" einen tief verankerten Glauben hat und sehr empfänglich ist für Alles, was aus dieser Richtung an sie herangetragen wird. Ihr kennt meine ganzen kritischen Schriften über Doppelmoral und das sich Verlieren in pervertierten Ideen eines wahren Glaubens, der nicht auf Papier steht oder in Kommentarspalten, sondern bloß gespürt werden kann.

Also dachte ich mir, ich teste mich selbst und folge einfach mal dem Link zu einer genau zu diesem Zeitpunkt stattfindenden Veranstaltung, auf der mein Gegenüber tatsächlich ist. Ich kann euch sagen, das war ein Kulturschock. Junge Erwachsene stehen in einer improvisierten Kulisse vor einer Bühne aus Paletten und unfassbar hässlichem Lichtdesign und bewegen sich wie in Trance zu mantraartigem Indiepopgedudel von einer auf der Bühne stehenden Band, die mit entrücktem Gesichtsausdruck Texte wiederholt. "FUCK!", dachte ich und versuchte mich trotzdem darauf einzulassen. Es dauerte eine Weile, ich zog meine Parallelen zu dem, was ich mir auf Konzerten ansehe, im Grunde ja was ganz Ähnliches, nur eben mit vernünftigem Licht und E-Gitarren und viel mehr Bombast, Unterhaltung eben, das hier ist ja eher was Intimes, Geschmäcker sind verschieden. Nichts zu verurteilen, auch wenn es sich komisch anfühlt beim Zusehen von Außen, aber ich denke, wer noch nie auf einem Powerwolf-Konzert gewesen ist und mit der Musik nichts anzufangen weiß, wird dabei ein ähnliches Gefühl haben.

Doch dann wurde es irgendwie wirklich merkwürdig, da liest dann ein Typ, der von seinen Vibes auch Teil der Manson-Family hätte sein können von seinem Handy Bibeltexte ab, die man auch bei der nötigen Hingabe auswendig hätte lernen können. Im Anschluss zeigt er auf zwei Gemälde, die wohl von ihm zu sein schienen und weist darauf hin, dass man sie käuflich erwerben kann, weil das der Gemeinde hilft und jeder solle darauf gucken und für sich eine Geschichte mitnehmen... Auf dem was der Stream zeigte waren faktisch links eine schwarze Spirale zu sehen und ein breiter beige-brauner Streifen auf hellblauem Untergrund. Mein erster Eindruck war tatsächlich: "Charlton Heston fehlt!" Ich habe die Szene aus "Die 10 Gebote" bzw. aus der Bibel gesehen, als Moses das Meer teilt (das müsste 2. Mose, 14,25 oder 26 um den Dreh sein), die Spirale ist dabei sein magischer Stab. Ich hätte gern gewusst, was wohl diese ganzen Menschen vor Ort, die durch das ganze Ambiente und das gerade Erlebte beeinflusst waren so gesehen haben. Ob wohl auch nur einer die Assoziation aufgemacht hätte, dass da in der Mitte ein Kackstift in der Buxe und ein leerer Toilettenpapierhalter zu sehen waren? Denn das war leider meine zweite Assoziation.

Und dann kam noch ein gemeinsamer Schrei und die Verabschiedung, ich würde so eine Veranstaltung tatsächlich gerne mal komplett live vor Ort erleben. Ich habe bei solchen Veranstaltungen halt immer die Angst, dass hier Verwirrung und Verzweiflung, Verblendung und das Bedürfnis nach Hilfe und Weltflucht ausgenutzt werden. Ich bin skeptisch, dass es nicht echt ist und Menschen nur eine Rolle spielen, weil sie Teil einer Gemeinschaft sein wollen oder im Falle der Organisatoren solcher Veranstaltungen sich am Leid derer bereichern, die wirklich glauben.

Denn das ist für mich der entscheidende Punkt, immer gewesen, es gibt NICHTS aber auch gar nichts, das wahren Glauben ersetzt, es ist das tiefste Gefühl, das Menschen im Stande sind wahrzunehmen und keine weltliche Macht hat auch nur den Anspruch darauf, dies zu beurteilen.

Und dann schrieb mein Gegenüber, dass Autofahren und Schreiben nicht zusammenpassen.
... und ich habe gebetet.

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